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Comeback für die Mainzer City – Wie geht es nach Corona weiter?

Geschlossene Cafés, Restaurants und Läden prägen aktuell das Stadtbild. Ein teilgeöffneter Einzelhandel – die gängige Shopping-Vorstellung ist außer Kraft gesetzt. Einkaufserlebnisse, auf die man vor Corona Wert gelegt hat, sind zunächst Geschichte. Die Pandemie verändert die Entwicklung der Innenstädte rasant.

Jan Polívka, Juniorprofessor für „Nachhaltige Wohnbestandsentwicklung“ an der Universität RWTH Aachen, spricht von einem „Teilchenbeschleuniger“ im Zusammenhang mit Corona. Durch noch mehr Homeoffice und Online-Shopping werden auch weniger Laden- und Büroflächen gebraucht. Investoren wie am Zollhafen, die auf große Bürobauten setzten, sehen nun alt aus. Komplette Blöcke in der Stadt stehen aktuell leer, ganz zu schweigen von hunderten leeren Zimmern in Hotels und Wohnheimen. Alte Strukturen aufzubrechen, so Forscher, indem Orte flexibel und für mehr als nur eine Funktion genutzt werden, könne ein Weg für die Zukunft sein.

Dominique Liggins, ehemaliger
Citymanager, sieht die Zukunft
trotz Corona positiv

Diese Einschätzung teilt auch Dominique Liggins, der ehemalige Mainzer Citymanager: „Online-Handel und mobiles Arbeiten werden eine deutlich höhere Bedeutung haben als zuvor. Das hat einen unmittelbaren Effekt auf die Innenstadt als Einkaufs- und Arbeitsort“. Entscheidend sei, ob und wie Gewerbetreibende, Immobilieneigentümer und Stadtverwaltung aktiv werden, um die Innenstadt von einer gleichförmigen Konsummeile mit Büros und Restaurants zu einem Erlebnisraum zu entwickeln.

Dabei ist auch insbesondere die Ludwigsstraße zu nennen, an der die Boulevard Lu GmbH (Bau Gemünden) vor genau diesen Fragen steht, wenn es um den Umbau des alten Karstadt-Areals geht. Hier geht es darum, wie Handel in Zukunft gelingen soll. „Das hat alles gar nichts mit Corona zu tun, weil diese Selbstverstümmelung der Mainzer Geschäftslagen von der Stadtpolitik selbst eingeleitet wurde. Aus dieser Mausefalle findet aktuell keine der Fraktionen heraus“, sagt zumindest Emil Hädler, emeritierter Architektur- Professor. Seine Überlegungen weisen auch das so genannte Mainzer „Tripol“-Konzept zurück. Demnach bestünde die Innenstadt aus den Einkaufszentren Brand, Römerpassage und Ludwigsstraße. Hädler wendet ein: „Mainz ist historisch im Trapez gewachsen, nicht im Triangel. Dieses Trapez aus Ludwigsstraße, Schillerstraße, Großer Bleiche und Schusterstraße bis zurück zum Höfchen und Gutenbergplatz ist das Leitkonstrukt des Wiederaufbaus der 50er-Jahre, aus dem heraus die neue Ludwigsstraße entstanden ist.“ Demnach zählten Große Bleiche, Schusterstraße und Schillerstraße ohnehin zu den wichtigen Geschäftsstraßen. „Die Citymeile mitten hindurch ist eine Ergänzung. Erst vor 20 Jahren wurde der ‚Tripol‘ aus dem Hut gezaubert und stellt das Prinzip auf den Kopf. Dies hat dazu geführt, dass in der Priorisierung der Citymeile von Römerpassage, Karstadt und Brand die Lagen an der Großen Bleiche und in der Schillerstraße verödet sind“, so der Professor. Auch das müsse wiederbelebt werden. (Mehr dazu sowie zum Projekt Ludwigsstraße im nächsten sensor.)

Martin Lepold ist Sprecher der
Mainzer Werbegemeinschaft

Pandemie als Brandbeschleuniger
Aber auch die besten Konzepte können nur dann umgesetzt werden, wenn es gelingt, das Virus langfristig in den Griff zu bekommen. Für eine Innenstadt, die in Zukunft weiter lebenswert bleiben soll, kämpfen seit mehr als einem Jahr vor allem Handel und Gastronomie. „Manchmal kann ich mein Glück kaum fassen“, sagt Martin Lepold, der im letzten Jahr in den Ruhestand gegangen ist. In der Augustinerstraße betrieb der Juwelier und Sprecher der Mainzer Werbegemeinschaft ein Trauringstudio. „Vielleicht hätte ich nach 35 Jahren als Inhaber nicht mehr den Ehrgeiz gehabt, mir zu beweisen, dass ich stärker bin als Corona.“ Für viele Einzelhändler, die bereits vorher Probleme hatten, habe die Pandemie wie ein „Brandbeschleuniger“ gewirkt, ist sich Lepold sicher. Wege aus diesem Tief sucht er weiterhin mit der Werbegemeinschaft. Ob es Alternativen zum Shutdown geben könnte, vermag Lepold nicht zu beurteilen: „Ich bin weder Virologe noch Politiker. Das ist alles Kaffeesatzleserei. Meine Aufgabe besteht darin, wöchentlich die Mitgliedsbetriebe über die Neuerungen zu informieren.“ Auch dies sei nicht so einfach, zumal die Gesprächskultur gelitten habe. „Früher haben wir an einem großen Tisch gesessen und uns gemeinsam ausgetauscht. Das ist aktuell nichtmöglich.“ Zuletzt organisierte die Werbegemeinschaft Test- Kits für die Mitarbeiter der Betriebe. „Die werden uns wohl auch noch eine ganze Zeit lang begleiten“. Von der Politik wünsche er sich an vielen Stellen ein zügigeres Reagieren. Als Beispiel nennt er die Luca-App, die Zettelwirtschaft überflüssig mache. „Im Gespräch sind solche Sachen immer. Jetzt sollte es aber allmählich darum gehen, die App zu harmonisieren und mit den Gesundheitsämtern zu koordinieren.“

Mobilität ist für die neue City-Managerin Sandra Klima ein zentraler Aspekt (Foto: Sascha Kopp)

Kritische Situation
Auch die neue Mainzer Citymanagerin Sandra Klima ist sich sicher, dass der Weg aus der Krise nur im Kollektiv gelingt: „An Lösungen arbeiten wir zurzeit alle gemeinsam. Im Alleingang geht es nicht.“ Die Entwicklung des Einzelhandels sei im vergangenen Jahr unterschiedlich verlaufen, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes gezeigt hätten, so Klima. Demnach habe die Branche insgesamt zwar ein Plus von mehr als fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet, der Textilhandel habe aber knapp ein Viertel seiner Umsätze verloren. „Der Handelsverband Deutschland (HDE) sprach Ende 2020 davon, dass die Händler hierzulande während des Lockdowns rund 700 Mio. Euro pro geschlossenem Verkaufstag eingebüßt haben. Im Bekleidungshandel sehen sich knapp drei Viertel der Händler in Existenzgefahr.“ Die ersten Wochen in ihrem neuen Job hat Sandra Klima dazu genutzt, die Lage zu analysieren und Kontakte zu knüpfen: „Ich will einen Schulterschluss aller Vereine“, sagt sie. Aber: „Es wird die Epoche ,nach Corona‘ nicht geben“, so Klima. „Wir müssen den Weg in eine neue Normalität finden. Handel war schon immer Wandel. Nur, dass Corona uns die Entwicklung der nächsten zehn Jahre vorweggenommen hat.“ Bei all dem sei auch die Mobilität ein zentraler Aspekt. Prinzipiell sei sie eine Freundin des Ausbaus von Radwegen und dem Ziel, Fahrradstadt zu werden. Dennoch müsse ein Konsens mit Autofahrern gefunden werden, „die Menschen müssen in Mainz weiterhin gut parken können. Wir können nicht davon ausgehen, dass die Kunden aus dem Umland ohne Auto kommen können.“

Jan Sebastian ist Vorsitzender des
Handelsverbands Rheinland-Pfalz
und Inhaber des Juweliergeschäftes
„Willenberg“ in der Schillerstraße

Mehrwert schaffen
Jan Sebastian ist Vorsitzender des Handelsverbands Rheinland- Pfalz und Inhaber des Juweliergeschäftes „Willenberg“ in der Schillerstraße. Der Unternehmer plädiert dafür, dass sich Mainz als Einkaufsstadt neu erfinden muss: „Die Innenstadt sollte zu einem Erlebnis werden, an das sich jeder Besucher erinnert und somit gerne wiederkommt“, sagt er. Wie das konkret aussehen könnte? „Die City muss schnell erreichbar sein, die Parksituation entspannt, die Plätze und Straßen sauber und attraktiv, mit geöffneter Gastronomie und kleinen Attraktionen wie Walking Acts. Den Besuchern der Stadt sollte durch Aktivitäten jeglicher Art, im Handel, der Gastronomie, durch Schausteller und den Kunstschaffenden, ein echter Mehrwert geboten werden.“ Von der Politik auf kommunaler Ebene fordert Sebastian, jegliche Hemmnisse zu beseitigen, die daran hindern, die Innenstadt zu erreichen. Außer-dem: „Es muss geprüft werden, ob Gebühren, Hebesätze oder die Gewerbesteuer ausgesetzt oder verringert werden können.“ Die Überbrückungshilfen sieht Jan Sebastian nur halb zu Ende gedacht: „Es wird dabei außer Acht gelassen, dass auch Selbstständige Geld zum privaten Überleben benötigen. Hier muss nachgebessert werden. Wenn Bausparverträge oder private Renten aufgelöst und Gespartes aufgebraucht ist, bleibt nur die Insolvenz.“ Eine entscheidende Säule für eine attraktive Innenstadt sei immer die Gastronomie. Sie fördere das Verweilen dort, so Sebastian, weshalb die Ausweitung der Außengastronomie grundsätzlich unbürokratisch und gebührenfrei ablaufen sollte. Solange die Infektionslage sich jedoch so darstelle wie momentan, werde nicht viel mehr übrigbleiben, als die Einschränkungen hinzunehmen.

 

„Das Ganze ist mit viel Risiko behaftet“,
Christoph Kozubek vom Weinhaus Bluhm

Das Thema Außengastronomie spielt für das Weinhaus Bluhm in der Badergasse aktuell keine Rolle. „Das Ganze ist mit viel Risiko behaftet“, sagt Christoph Kozubek von der Gaststätte. „Den Apparat hochzufahren, kostet viel Geld. Wenn dann, wie kürzlich geschehen, der Laden nach drei Tagen doch wieder geschlossen werden muss, kann man die Vorräte aus dem Keller gar nicht schnell genug verbrauchen, dass es sich auch nur ansatzweise lohnen würde.“ Seit 30. Oktober ist der Betrieb für Gäste geschlossen. Über Wasser hält sich das Weinhaus mit einem to-go-Angebot. Die wechselnde Wochenkarte, mit der sich das Angebot danach richtet, was saisonal auf dem Markt ist, sei anfangs sehr gut angenommen worden. Wieder richtig ins Restaurant zu gehen, ist eine Vision, die im Shutdown immer häufiger zu hören ist. Doch sollten irgendwann Geimpfte das Privileg erhalten, Gaststätten wie das Weinhaus Bluhm besuchen zu dürfen? Davon möchte Kozubek in Zeiten der dritten Welle nichts hören. „Es geht nicht um irgendwelche Privilegien. Es geht darum, Grundrechte zurückzubekommen. Land und Bund müssen zu einer einheitlichen Ordnung gelangen, um die Welle endlich mal zu brechen.“

Planen für die Zeit nach Corona
Die Landesregierung setzt mit dem Projekt „Innenstadt-Impulse“ auf die Stärkung der Citys. Pop-up-Stores, Marketing und lokale Online-Marktplätze sollen gefördert werden. Den Kommunen stünde so mehr Spielraum zu als bei der klassischen Städtebauförderung, heißt es aus der Staatskanzlei. Mainz wird dabei eine halbe Million für das laufende Jahr und 2022 zur Verfügung gestellt werden. „Ziel des Projektes ist es, Zukunftsperspektiven für die Innenstädte modellhaft aufzuzeigen“, so die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU). Mit „Mainz startet durch 2021“, das an das Programm „Mainz hilft sofort“ von 2020 anknüpft, nutzt die Stadt die Mittel des Landes, um für das öffentliche Leben zu investieren. „Wir brauchen die richtigen Konzepte, um unsere Innenstadt fit für die Zukunft zu machen. Das geht aber nur gemeinsam. Die Palette reicht von schnell umzusetzenden Aktionen nach dem Herunterfahren der Corona-Beschränkungen bis zu mittel- und langfristigen Maßnahmen, die zu einer Attraktivitätssteigerung führen sollen.“ Die Landesmittel hätten auch ermöglicht, dass Mainz weiterhin auf hohem Niveau investieren könne. Mit dem Soforthilfe und Folgeprogramm sei es zudem möglich gewesen, zusätzliche Förderung im Bereich Wirtschaft, Ehrenamt, Familie, Kultur und Zusammenhalt zu schaffen, erklärt Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). Allerdings hatte der Kämmerer im vergangenen Jahr wegen der Einschränkungen durch Corona rund 54,5 Mio. Euro weniger Gewerbesteuer im Stadtsäckel und schließt das Jahr 2020 dennoch mit einem Plus von etwa 50 Mio. Euro ab. Im laufenden Jahr 2021 ist jedoch bislang ein Minus von fast 10 Mio. Euro entstanden, das sich auf geschätzte 60 Mio. Euro Miese für das Jahr 2021 vervielfachen wird.

Allem Pandemie-Unglück zum Trotz blickt zumindest Dominique Liggins nicht allzu verdrießlich in die Zukunft. Denn letztlich habe Mainz eine grandiose Basis, eine aufregende Bevölkerungsstruktur und ein weites Umland vor der Haustür, das seinesgleichen sucht und konsumfreudig sei – wir werden sehen …

Text Alexander Weiß & David Gutsche
Fotos Stephan Dinges