Vor sechs Jahren wurde die Mainzelbahn eingeweiht mit über 20 Kilometern Strecke. Es gab zwar einigen Zoff in Hechtsheim, quietschende Räder und enge Kurven, geklagt hat aber niemand, wie Jochen Erlhof, Geschäftsführer der Mainzer Mobilität zufrieden feststellt. Nun sind Bundes- und Landesgelder für die Förderung des Tram-Ausbaus da, der ÖPNV passt bestens zum Klimaschutz, und Bürger sollen sowieso weniger aufs Auto als auf Bus und Bahn setzen.
„Doch nicht nur deswegen starten wir diesen Beteiligungsprozess über 15 Monate“, so MVG-Chef Erlhof, „wir müssen einfach die Klimaziele erreichen, und das geht nur über ÖPNV. Und da die Busse und Busfahrer angesichts wachsender Fahrgastzahlen bald nicht mehr ausreichen werden, muss Straßenbahn her.“ Zum Vergleich: Ein Bus hat etwa 50 Plätze, eine Straßenbahn dagegen 150 bis 180. Erlhof weiter: „Wir erwarten in Zukunft weitere Fahrgast-Zuwächse, auch aus anderen Stadtteilen und auch von der Neustadt bis zum Höfchen“. Es gibt also ambitionierte Pläne, die Straßen der Stadt bis 2030 mit Trassen zu versehen, die vom Heiligkreuzquartier in Weisenau bis an den Dom und von dort durch die Bleiche und die komplette Neustadt bis an den Zollhafen / Kaiser- Karl-Ring führen. Betont wird dazu der Stadtratsbeschluss von 2020, der konkret drei (Bau-)Abschnitte definiert: ein kurzer Abschnitt in der Binger Straße, die Anbindung des Heiligkreuz-Viertels in Weisenau sowie der größte Brocken, der „Innenstadtring“ vom Dom über die Bleiche und Bauhofstraße, quer durch die Neustadt, parallel zur aktuellen Linie auf dem Kaiser-Wilhelm- Ring. Während es zur Binger Straße bereits ein „Bürgerbeteiligungsverfahren“ gegeben hat, befinden sich die anderen Projekte noch tief in der Prüfphase.
Binger Straße
Etwa 250 Meter lang ist die Strecke zwischen Münsterplatz und Alicenplatz, die bald Gleise erhalten soll. Dann können die vom Schillerplatz kommenden Straßenbahnen, die in Richtung Bretzenheim und Lerchenberg wollen, am Münsterplatz links abbiegen und zur Haltestelle Hauptbahnhof West fahren (und umgekehrt). Die Fahrzeiten der Bahnen würden – da sie nicht mehr über den Bahnhofsvorplatz müssen – deutlich verkürzt. Dieser „Bypass“ soll die an ihre Kapazitätsgrenzen stoßenden Bus- und Tramhaltestellen auf dem Bahnhofsvorplatz entlasten. Mit der Umgestaltung soll sich auch die Situation für die Radfahrenden und die Fußgänger verbessern. Es handelt sich zwar nur um einen kurzen Abschnitt, die Umgestaltung aber durch die Lage als Haupteinfahrt und -ausfahrt in die Stadt sei sehr schwierig zu meistern. So muss etwa der Durchgangsverkehr, der vom Alicenplatz über die Binger Straße und die Große Bleiche zur Rheinstraße führt, reduziert werden. Daher ist geplant, die Durchfahrt durch die Große Bleiche an deren Ende im Bereich des Ernst-Ludwig- Platzes für den motorisierten Individualverkehr zu sperren. Als Ausweichstrecke biete sich die Parcusstraße / Kaiserstraße an. Beim „Einsetzen“ der Straßenbahn wird zudem eine sogenannte „Zeitinsel“ geschaffen. Das heißt: Wenn die Straßenbahn in der Fahrbahnmitte hält, muss auch der Auto- und Radverkehr stoppen, damit die Fahrgäste sicher über diese „Zeitinsel“ gehen und in die Tram einsteigen können. Dazu wird eine Ampelanlage für Autos und Fahrräder installiert. Die Entwurfsplanung hat begonnen, im folgenden Planfeststellungsverfahren können Bürger Einwendungen einreichen. Nach einem Stadtratsbeschluss Ende 2023 sollen 2024 wieder mal Bauarbeiten Nähe Münsterplatz beginnen.
Heiligkreuz-Viertel
Im Heiligkreuz-Viertel sollen bald 6.000 Menschen leben, die ersten Wohngebäude sind bereits bezogen. Dass dieses Neubaugebiet an das Straßenbahnnetz angeschlossen werden soll, darüber herrscht im Stadtrat Konsens. Für Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger genießt der Anschluss des Neubaugebietes daher Vorrang vor dem Innenstadtring. Welche Trasse hier infrage kommen würde, wird noch untersucht. Dabei ist durchaus mit Protesten der Anlieger in der Oberstadt zu rechnen. Soll die Tram an der Philippsschanze von den bestehenden Gleisen abbiegen und vorbei am Katholischen Klinikum über die Straße An der Goldgrube bis zur Hechtsheimer Straße fahren, um so zum Heiligkreuz-Viertel zu kommen? Böte sich ein Abzweig am Pariser Tor an, um durch die von Kleingärten geprägten Bereiche in Richtung Hechtsheimer Straße zu gelangen? Oder soll die Tram eine etwas weitere Schlaufe fahren, um an der Ecke Geschwister-Scholl-Straße / Emy-Roeder-Straße abzubiegen und so das Heiligkreuz-Viertel zu erreichen? Untersucht wird für eine mögliche Trasse der gesamte Bereich zwischen Goldgrube und Emy-Roeder-Straße.
Innenstadtring: Alt- und Neustadt
Am spektakulärsten gestaltet sich die Planung für die Innenstadt. Neue Gleise durch den Stadtkern und die Neustadt sollen mit den bestehenden verknüpft werden. So könnten vom Schillerplatz Gleise wie einst durch die Ludwigsstraße verlaufen, vorbei an der Quintinskirche in die Schusterstraße und Flachsmarktstraße. Von dort aus geht es weiter über die Bauhofstraße in die Neustadt und da über die Hindenburgstraße und Sömmerringstraße bis zu den vorhandenen Gleisen im Bereich Bismarckplatz / Kaiser-Karl-Ring. Soweit die Theorie. Doch die Strecke durch die baumbestandene Hindenburgstraße stieß im Ortsbeirat Neustadt bereits auf Kritik. Auch Steinkrüger sieht die Idee einer Tramlinie durch die Hindenburgstraße skeptisch: „Das ist eine der schönsten Alleen von Mainz.“ Geprüft werden daher auch Alternativrouten, zum Beispiel durch die Rheinallee. Ins Gespräch kam kürzlich sogar eine Trasse durch die enge Wallaustraße. Zudem soll auch eine Tramstrecke durch die Große Bleiche geprüft werden. Projektleiter Christian Jakobs
betont, es gebe noch keinerlei Festlegung für eine dieser Neustadt-Varianten. Für die Hindenburgstraße spreche, dass dies die kürzeste und damit auch schnellste Strecke sei. Vom Stadtkern aus könnte die Tram über die Bauhofstraße und Hindenburgstraße fahren, am Rande des Goetheplatzes entlang über die Kreyßigstraße, um dann auf die vorhandenen Gleise am Kaiser-Karl-Ring zu stoßen. Alter Baumbestand in der Hindenburgstraße könnte vom Ausbau tangiert sein, dort wo Haltestellen eingerichtet oder Kurven eingebaut werden müssten, so Jakobs. Wie viele Bäume dafür gefällt werden müssten, sei derzeit nicht zu sagen. Der Allee-Charakter der Hindenburgstraße bliebe jedenfalls erhalten. Auch bei einer Streckenführung über die Rheinallee wären Bäume betroffen, verdeutlichte MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof. Bei dieser Lösung in der Nähe zum Neubaugebiet Zollhafen läge die Strecke allerdings am Rand der
Neustadt. Vom Stadtkern über die Flachsmarktstraße kommend, könnte die Straßenbahn nach rechts in die Großen Bleiche abbiegen, um beim Schloss auf die Rheinallee zu stoßen. Das Kuriose: Die aktuelle Baustelle auf der Rheinallee bis 2023 müsste wieder verlängert werden, um die Trasse hierher zu verlegen. Daneben würde es zu einer weiteren Verkehrsproblematik auf einer der Hauptverkehrsachsen von Mainz kommen. Neu in der Debatte taucht die Wallaustraße – zwischen Hindenburgstraße und Rheinallee – auf. Dabei würden die von der Bauhofstraße kommenden Straßenbahnen einige Meter über die Kaiserstraße fahren und den 117er Ehrenhof kreuzen, um in die Wallaustraße zu gelangen bis hin zum Kaiser-Karl-Ring. Der Denkmalschutz schlägt hier schon die Hände über dem Kopf zusammen. Zudem würde es zuckeln zwischen Mietwohnungen in dieser schmalen Straße, die Parkplatz- und Raumnot sich weiter verschärfen, Lärm und andere Probleme folgen: Jede Trasse durch die Neustadt hat ihre Vor- und Nachteile.
Unmut bei Anwohnern
Manch einer fragt sich, warum in einer Stadt wie Mainz, in der alles fußläufig gut zu erreichen ist, überhaupt eine weitere Straßenbahnstrecke durch die Neustadt gebraucht wird. Abgesehen von der Unfallgefahr in der Fahrradstadt Mainz durch die Spurrillen der Straßenbahn, in denen erst kürzlich wieder ein ukrainischer Flüchtling verunglückt ist, gibt es in Mainz diverse – auch bestehende grüne – Mobilitätsmöglichkeiten: Carsharing wird forciert, E-Roller, E-Mofas, E-Busse, meinRad- Räder, Wasserstoff-Experimente, dazu Straßenbahnanschlüsse am Kaiser-Wilhelm-Ring und am Zollhafen. Perspektivisch gesehen forciert die Mainzer Mobilität sogar das autonome Fahren, ganz ohne Busfahrer. Das Pilotprojekt EMMA2 mit dem kleinen Elektro-Shuttle läuft seit zwei Jahren an der Unimedizin. Den dort stark frequentierten Rundkurs teilte sich EMMA2 mit Einsatzfahrzeugen, PKWs, Lieferfahrzeugen, Fahrradfahrern und Fußgängern. Eine herausfordernde Umgebung für ein autonomes Fahrzeug, ähnlich herausfordernd wie etwa eine Wallaustraße. Die Kfz-Hersteller sind jedenfalls bereit, sobald fahrerloser Verkehr erlaubt ist. Manch einer rechnet mit der Einführung in Deutschland um 2025 bis 2030. So etwas würde die personellen Probleme bei der Mainzer Mobilität lösen, bedeutet aber auch steigende Arbeitslosigkeit. Viele Anwohner – gerade in der Neustadt – sind jedenfalls nicht unbedingt begeistert von den Ausbauplänen, solange nicht auch diese Lösungen zukunftsfähig durchdacht sind.
Alternativlos?
Bei der Mainzer Mobilität ist man sich jedoch sicher, dass auch eine weitere Trasse durch die Neustadt Sinn mache, man hier Fahrgastzuwächse erreiche und erreichen müsse und auch Bürger aus anderen Stadtteilen auf einer weiteren Trasse die Neustadt erreichen wollten. Doch als gesichert gilt das nicht. MVG-Chef Erlhof weiß um die Probleme und spricht davon, einen „Interessensausgleich hinzukriegen“. Dies sei auch bei der Mainzelbahn gelungen. Das autonome Fahren sieht er aus seiner Sicht „nicht so schnell kommen in den nächsten 10 bis 15 Jahren“. Es werde weiterhin bei Bus und Straßenbahn bleiben. Die Altstadt sei zudem das Ziel vieler Besucher und die Neustadt der bevölkerungsreichste Stadtteil. Beide müssten besser ans Straßenbahnnetz angeschlossen werden, meint auch Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger. Johannes Köck, Leiter der Angebotsplanung bei der MVG, betont, dass es beim Innenstadtring nicht darum gehe, „die Straßenbahnen im Kreis fahren zu lassen“. Vielmehr sollen neue Linienangebote geschaffen werden, damit Fahrgäste zum Beispiel aus Vororten wie Gonsenheim oder Hechtsheim schneller an ihr Ziel im Stadtkern kommen. 15 Monate laufen nun wie stets verschiedene Formate der Bürgerbeteiligung, in denen bisher viele städtische Mitarbeiter zu sehen sind. Zudem erarbeitet die Stadt parallel „Leitlinien zur Bürgerbeteiligung“, damit nichts aus dem Ruder laufe. Ob es einen Bürgerentscheid wie bei der Citybahn in Wiesbaden gebe werde, lautete eine Frage bei der Beteiligung bereits: „Das sieht die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung nicht vor“, so MVG-Chef Erlhof. Entscheiden über das Projekt soll der Stadtrat. So etwas wie den Bürgerentscheid zum Bibelturm will man auf alle Fälle vermeiden.
Infos zum Straßenbahn-Ausbau: www.m-wie-zukunft.de
Text David Gutsche Fotos Stephan Dinges