Medienschaffende haben offenbar das Bedürfnis, gerne die Welt von oben zu betrachten – was keine schlechte Eigenschaft ist, denn so behält man den Überblick. Nein, hier ist nicht vom weithin sichtbaren Redaktionsgebäude des ZDF die Rede, das auf dem Lerchenberg thront, sondern von zwei „Baustellen“ in der Innenstadt, auf denen derzeit viel Betrieb herrscht. Zum einen wird derzeit das so genannte Inter I-Hochhaus auf dem Uni-Campus einer gründlichen Sanierung unterzogen und damit zum „Medienhaus“ verwandelt. Zum anderen startete in einem der Bonifazius-Türme am Hauptbahnhof gerade so etwas wie die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Fernsehen im Wandel
Im 22. Stockwerk des Bonifazius-Turms A residieren seit ein paar Monaten Florian Hager (40 Jahre) und seine Stellvertreterin Sophie Burkhardt (Foto) samt einem Team aus 30 bis 40 Mitarbeitern. Sie basteln an ihrer Medienrevolution, die Etablierung des neuen, jungen Programms von ARD und ZDF. Am 1. Oktober fiel von hier aus der Startschuss für den ersten großen öffentlich-rechtlichen Online-„Kanal“ namens „funk“, der die Zielgruppe der 14-bis 29-jährigen Zuschauer erreichen soll. Nach jahrelangen Diskussionen hatten sich die Länder 2015 auf das neue Digitalangebot geeinigt. Im Gegenzug werden die Digitalkanäle EinsPlus und ZDFkultur eingestellt.
Mit „FUNK“ eröffnen ARD und ZDF ein weiteres Experimentierfeld, abseits des linearen Fernsehens. Nach Ansicht von SWR-Intendant Peter Boudgoust ist das neue Online-Angebot „auch so etwas wie die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Journalismus“. Die gebührenfinanzierten Anstalten dürfen nun erstmals ganz legal ihre GEZ-Millionen im Netz ausgeben. 45 Mio. Euro beträgt der vorgesehene Etat. Für viele private Anbieter erschreckend, denn die jungen Wilden gehen mit dem Geld auf große Einkaufstour: „Viele Player aus der Web-Video Branche haben positiv auf uns reagiert“, sagt Florian Hager. „Wahrscheinlich, weil wir mit Geld kommen. Aber wir kaufen uns keine Youtuber und kleben unser Logo drauf. Wir wollen neue Inhalte schaffen.“
Wer nicht mit YouTube, Facebook, Snapchat oder Instagram aufgewachsen ist, wird umdenken müssen, um zu verstehen, was geplant ist: Es geht dem Team nicht um einen neuen Kanal mit Sendungen, die schon im Ersten, Zweiten oder in den Dritten Programmen laufen und auch nicht nur um eine reine Homepage: „Ein Nutzer stößt auf einer Internetplattform, die er sowieso nutzt, auf ein Format von uns. Das ist dann quasi die Eintrittskarte“, sagt Sophie Burkhardt. Deshalb gibt es verschiedene „Einstiegspunkte“. Dahinter fächert sich dann die neue Welt auf und ein angeklicktes Webvideo interagiert wiederum mit anderen Formaten. „Wir konzentrieren uns daher auf die Entwicklung von Formaten und Inhalten, die im Idealfall den jungen Leuten über ihre normale Mediennutzung rangespült werden.“
Medienriese auf dem Campus
Vernetzung – so etwas Ähnliches findet auch derzeit auf dem Uni Campus statt und es betrifft die künftigen Medienschaffenden. Das Inter I-Hochhaus wird zum Mainzer Medienhaus umgebaut. In dem markanten Gebäude werden über sieben Hochschul-Standorte zusammengefasst, die bisher in der Stadt verteilt waren: Büros, Seminarräume, Medientechnik und eine Bibliothek. Die Herrichtung kostet um die 16 Mio. Euro. Die bisherigen knapp 200 Wohnheimplätze werden an anderen Standorten wie Binger Schlag und Kisselberg untergebracht. In einem zweiten Bauabschnitt soll das Technikgebäude entstehen.
Für OB Michael Ebling ist das Projekt ein konsequenter und auch städtebaulich intelligenter Schritt zur weiteren Profilierung des Medien-Standorts Mainz. Für andere wiederum ist das geplante Medienhaus ein verwaltungsintensives Monster und man fragt sich hinter vorgehaltener Hand, ob die Zusammenlegung von Räumlichkeiten den Bedürfnissen kleiner unabhängiger Kreativ-Einheiten gerecht werden kann. Mehr als 4.500 Studierende – von der Buch- oder der Theaterwissenschaft über die Publizistik, das Medienrecht oder die akademische Journalistenausbildung bis hin zum Mediendesign und der Medieninformatik der Hochschule Mainz sollen sich dann dort auf ihre Berufe in der Medienwirtschaft vorbereiten. Bis das so weit ist, haben erst einmal die Handwerker das Sagen.
Schöne heile Medienwelt…
Auch die Bauarbeiten, die das Team von Florian Hager im Bonifazius-Turm A angestoßen hat, sind bisher (von außen) nicht sichtbar. Die Inneneinrichtung ähnelt einem Co-Working Space mit leichten Anklängen bei modernen Startups, kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass auch hier hart gearbeitet werden muss. So etwas stellt gerade für Kreative eine besondere Herausforderung dar. Doch schon vor dem Einzug ins Gebäude ging die Entwicklung der ZDF-neuen Gewächse los: Über 30 neue Webvideo-Formate sind jetzt am Start und werden zusammen mit der Zielgruppe weiterentwickelt. Darunter interaktive Webserien oder Comedy, die in Zusammenarbeit mit der „bildundtonfabrik köln“ entstanden sind, eine TV-Produktionsfirma die u.a. mit Jan Böhmermann zusammen arbeitet.
Die Inhalte splitten sich generell in drei Bereiche auf: Information, Orientierung und Unterhaltung. Die potenziellen Nutzer sind in vier Altersgruppen unterteilt – und in männliche und weibliche User. Das Mainzer Team trifft viele von ihnen, Schulklassen usw., um zu sehen, was sie auf ihrem Smartphone auswählen und welche Formate bei ihnen ankommen. „Die zeigen uns dann zum Beispiel ihr Handy und sagen uns, welche Apps sie morgens ansehen“, sagt Burkhardt. Und Hager betont: „Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unseren Inhalten dahin gehen müssen, wo die Nutzer sind und sie nicht dahin zwingen müssen, wo wir sind.“
Wie schafft man es nun, junge Menschen dazu zu bringen, sich die Formate des Jungen Angebots reinzuziehen, wenn sie denn mal online sind? Die Antwort: Bloß nicht zu viel „altes Fernsehen“. Das Junge Angebot darf ruhig anecken. Das war bisher nicht so ganz einfach bei den alten Öffentlich-Rechtlichen. Doch der Kampf um die Aufmerksamkeit in Sozialen Netzwerken gleicht derzeit einem Marathon im Vollsprint. Das Junge Angebot konkurriert international mit Maker Studios und Disney, bei uns mit den Netzwerken der Bertelsmanngruppe und Multi Channel Networks. Wer da bestehen will, muss wie Mainz 05 gegen Bayern München bestehen und eindeutige Wettbewerbsnachteile mit gutem Scouting und innovativen Ideen wettmachen.
Das ist nicht nur für Mainz etwas ganz Neues, das wird auch unsere gesamte Mediennutzung in Zukunft weiter auf den Kopf stellen. Valentina Kerst, die Leiterin des rheinland-pfälzischen Landesrates für digitale Entwicklung und Kultur, sieht in einer gut vernetzten Gemeinschaft der Medienschaffenden untereinander eine wichtige Voraussetzung, um den digitalen Wandel der Branche zu meistern. Der Standort Mainz würde insbesondere von jungen Kreativen, trotz der hier ansässigen großen Medienhäuser, noch nicht als attraktiv genug wahrgenommen. Dazu brauche es ein bedeutendes Alleinstellungsmerkmal. Möglicherweise ist das, was derzeit in Mainz entsteht, ein erster Schritt dahin.
von Ejo Eckerle und David Gutsche
Foto: Jana Kay