aus der Allgemeinen Zeitung von Michael Bermeitinger / Foto: Harald Kaster
Wo immer sich in Mainz eine Baugrube auftut – die Archäologen sind schon da. Gern auf den Spuren der Römer, aber nicht nur, denn die 2000-jährige Stadt bietet unter der Straßenebene spannende Spuren aller Epochen. Derzeit wird südlich des Römerschiffmuseums, wo im Dreieck zwischen Neutorstraße und Rheinstraße das Archäologische Zentrum (AZM) entsteht, die Mainzer Festungszeit offengelegt. Hier zeigt sich nun Stück für Stück das System der Bastionen, Gräben, Mauern und Wällen, und man hofft, bald auf die Reste des Neutors zu stoßen.
Römerzeit liegt einige Meter tiefer
Schon 1848 beim Bau der Eisenbahn, die damals auf der heutigen Rheinstraße durch die Stadt fuhr, waren am Neutor bedeutende Funde gemacht worden. Etwa das sogenannte Schwert des Tiberius, das heute in einem Londoner Museum zu sehen ist.
In diese Epoche dringt man nun nicht vor, „denn tiefer als die vorgesehene Baugrube für das AZM, etwa fünf bis sechs Meter, dürfen wir nicht graben,“, so Dr. Marion Witteyer, Leiterin der Mainzer Außenstelle der Direktion Landesarchäologie, „und die Römerzeit liegt doch einige Meter tiefer.“
Das Baufeld liegt auf dem Gebiet der mittelalterlichen, ersten Vilzbach-Siedlung (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Altstadtgebiet rund um den Graben), wo einst Ziegel und Fliesen gebrannt wurden. Vilzbach lag vor der mittelalterlichen Stadtmauer, wurde später aber zerstört und durch den Bau der barocken Festungsanlage im 17. Jahrhundert auch nicht mehr aufgebaut.
Bis zu 16 Meter hoch
Grabungsleiter Theomas Dederer wusste durch vorliegende Pläne aus jenen Zeiten, was ihn wo erwartet oder besser: erwarten könnte. Denn die Pläne zeigen manchmal nur Geplantes, das tatsächlich nie vollendet wurde, „oder sie zeigten vielleicht auch absichtlich eine nicht ganz korrekte Darstellung, um etwaige Gegner zu täuschen“, sagt Dederer. „Wir erleben immer wieder Überraschungen“, etwa wenn plötzlich Mauern auftauchen, die nirgendwo verzeichnet waren oder aus noch älterer Zeit stammen.
Seit November arbeiten sich die Archäologen von Süd nach Nord durchs Gelände. Derzeit sind die Keller des Wohnhauses zu sehen, in dem Wachen des Neutors lebten, dann der Graben vor der Festung und die Widerlager der darüberführenden Brücke, dahinter dann eine Mauer aus der Zeit der Bundesfestung aus dem 19. Jahrhundert und jene der Barock-Festung.
Auch wenn die Mauerreste nicht sehr hoch sind, so lässt sich schon an der schieren Breite des mehrere Meter dicken Bruchsteinmauerwerks erahnen, wie mächtig die Festungswälle einst waren. Bis zu 16 Meter hoch über dem Graben lag die Wallkrone. Neben diesen Bauwerken findet sich auch noch Überreste neuerer Zeiten, etwa ein Gestell, auf dem ab etwa 1860 ein großes Wasserrohr den Festungsgraben querte.
Schlüssel fürs Neutor woanders suchen
Bereits in sechs Wochen könnten die Überreste des Neutors freigelegt werden, das bereits Mitte der 1890er Jahre aufgelassen worden war. Das einzige für Fuhrwerke geeignete Tor im barocken Festungsring in Richtung Süden hatte mehr und mehr den Verkehr behindert, wurde nun abgebaut, während die Wallanlagen erst nach dem 1. Weltkrieg geschleift wurden.
Den Schlüssel fürs Neutor muss man allerdings an einem anderen Ort suchen – den hatten die österreichischen Festungstruppen, als sie 1866 zu Krieg und Niederlage gegen den alten Bundesgenossen Preußen auszogen, einfach mitgenommen. Heute liegt er mit den Schlüsseln von Gautor, Münstertor und Raimunditor in einem Wiener Museum.