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2×5 Interview mit Henriette Clara Herborn: Neuer Roman „Schmerz“

Henriette_1seite_web Interview Mara Braun Foto Jana Kay

Henriette Clara Herborn (36 Jahre)
Autorin & Barchefin
Aktueller Roman: Schmerz (Leinpfad Verlag)

Wie bist du zum Schreiben gekommen und was bedeutet es für dich? Ich wusste, dass ich schreiben will, bevor ich dazu handwerklich in der Lage war. Als Kind habe ich den Erwachsenen alles zu Protokoll gegeben, irgendwann hatte ich ein Diktiergerät, mit dem ich meine Gedanken festhalten konnte. Ich muss schreiben – das geht gar nicht anders. Ich sehe in meinem Talent nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Verantwortung, der ich gerecht werden will. Und die Freiheit, die mir das Schreiben verleiht, ist wunderschön, auch wenn die Überarbeitungen harte Arbeit sind.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Ich setze mich vor eine leere Seite, versuche, den Kopf auszuschalten – und lasse es passieren. Ich sehe mich da auch eher als Werkzeug. Mein Talent und meine kreative Kraft, das sind Geschenke. Die Frage, wer da der Handwerker ist, geht mir zu weit. Dazu will ich mich lieber nicht äußern, das ist auch eher der Vorstellung jedes Einzelnen überlassen, denke ich.

Wie recherchierst du Themen? Recherche spielt bei meiner Arbeit eher weniger eine Rolle. Mir geht es mehr darum, wie ich mir Dinge vorstelle und um ein Spiel mit den Klischees, die in meinem Kopf vorhanden sind. Zu viel Recherche schränkt die Kreativität eher ein, statt sie zu beflügeln. Es geht mir ja nicht darum, wie die Dinge sind, sondern darum, wie Menschen sich Dinge vorstellen. Ich habe den aktuellen Roman einer Psychologin zum Lesen gegeben, die fand alles sehr stimmig. Ich frage eher hinterher nach, beispielsweise bei der Polizei, mit der ich schon arbeite. Aber der Fall der Dahlie, der ist exakt recherchiert.

Dein Kriminalroman spielt mit der Geschichte von Elizabeth Short, die als „Schwarze Dahlie“ berühmt geworden ist. Was hat dich daran fasziniert? Ich bin vor über 20 Jahren auf die Geschichte gestoßen und sie hat mich nie losgelassen. Zum einen sind Serienmörder mein großes Thema, und dann liegt die Faszination des Falls darin, dass der Mörder nie gefasst wurde. Und natürlich in Short selbst. Die hat, würde man heute sagen, unter prostitutionsähnlichen Umständen gelebt, um der Pupsigkeit ihrer Herkunft zu entkommen. Aber hinter ihrer Fassade muss noch mehr gewesen sein. Sie hatte etwas sehr Dunkles an sich – vielleicht hat sie die Todesnähe auch gesucht.

Warum hast du den Roman in der Zukunft angesiedelt? Einerseits gibt mir das die Freiheit, Settings nach meinen Bedürfnissen zu verändern, Häuser abzureißen und ähnliches. Dann denke ich, die Kommunikationslosigkeit der Gesellschaft, die ich thematisiere, wird in den kommenden Jahren zunehmen. Außerdem ist Shorts Tod im Januar 2017 genau 70 Jahre her, das fand ich passend.

 

Mensch

Du bist nach dem Abitur durch Europa und Asien gereist. Was hat dich daran gereizt? Die Idee, Abenteuer zu erleben, alleine und ohne Geld unterwegs zu sein. Es gab Situationen, in denen ich mein Leben aufs Spiel gesetzt habe. Ich bin in Regionen vorgedrungen, die vor mir kein Weißer gesehen hatte. Man bringt ein anderes Verständnis mit zurück, für Menschen und ihr persönliches Umfeld – und ein anderes Mitgefühl dafür, wie es Leuten geht, die sich fremd fühlen. Außerdem empfinde ich heute pure Dankbarkeit für unseren Wohlstand, einen vollen Kühlschrank oder einfach Toiletten.

Zudem hast du dich als Yoga-Lehrerin und Reiki-Masterin ausbilden lassen. Ach, das liegt hinter mir. (lacht) Im Grunde mache ich heute dasselbe, nur in anderer Form. Es geht mir um das Hier und Jetzt, darum, etwas positiv weiterzugeben. Auch an der Bar, meiner zweiten Berufung neben dem Schreiben, bekommst du von mir mehr als ein Getränk. Der Kontakt mit Menschen, mit meinem Team als Barchefin, Beziehungen – das braucht man, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Am Ende geht es immer darum, wer man ist, in der Begegnung mit anderen genau so wie in den Momenten mit sich selbst.

Was fasziniert dich am Thema Schmerz, auch in Verbindung mit Sexualität? Es ist leicht zu glauben man weiß, wer man ist. Aber wer du wirklich bist, zeigt sich in Krisen-und Extremsituationen: Tod, Angst, Schmerz. Das Leben tut weh. Wir empfinden Schmerz auf zig Ebenen, zum Beispiel Wachstumsschmerz, wenn Dinge sich ändern. Schmerz ist ein Katalysator, eine Ausdrucksform. Das gilt auch für Sexualität. Im Roman nutze ich die SM-Neigung des Täters, um ein Feindbild aufzubauen und zu zeigen, da steht jemand außerhalb der Gesellschaft. Das sehe ich aber nicht so, es ist ein Spiel mit Klischees.

Wieso sind vor allem deine Frauenfiguren so klischeehaft – und warum lassen die sich so scheiße behandeln? Ich empfinde es so, dass viele Frauen nicht selbstbestimmt leben. Sei es die Ehefrau, die von ihrem Mann hängen gelassen wird oder der Verbalporno, den ich mir anhören muss, wenn ich an einer Baustelle vorbei gehe. Klar ist die Frage, warum Frauen sich das gefallen lassen. Wenn mir Sexismus begegnet diskutiere ich nicht rum, sondern schieße zurück. Aber mir geht es da nicht um Statements: Ich bin emanzipiert, ich muss nichts verfechten. Du musst deinen Mann stehen, aber du kannst dabei Frau bleiben. Die weibliche Energie ist in ihrer Stärke der männlichen ebenbürtig. Nur, wenn Frauen das nicht wissen, können sie es auch nicht nutzen.

Empfindest du dich als öffentliche Person? Ich wünsche mir Ruhm und Glanz nicht für mich, sondern für mein Werk. Ich brauche das nicht, Backstage gebeten zu werden oder keinen Eintritt zahlen zu müssen. Je größer das wird mit der Schreiberei, umso mehr ziehe ich mich zurück. Je bekannter du bist, umso mehr musst du das Private schützen.

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