Direkt zum Inhalt wechseln
|

Zu Besuch bei Mainzer Autoren

jonas_otte_sensor_autoren-1
von Ulrike Melsbach und Jonas Otte (Fotos)

Ein unrasierter Mann sitzt in den frühen Morgenstunden bei heruntergebrannter Kerze in einem kleinen Kämmerchen und brütet über Papierbergen. So sieht das Schriftstellern heutzutage kaum noch aus. Vor allem nicht in Mainz, oder?

Lebensbewältigung

„Ich habe erst dagegen angekämpft, aber ich kann nichts anderes machen“, erzählt Matthias Boosch (Foto oben) zwischen zwei Schlucken bukafskischem Milchkaffee. Wir haben uns vor einer Lesung seiner skurril-berührenden „Lettland-Geschichten“ verabredet. Ein Jahr verbrachte der gebürtige Bischofsheimer in Limbaži und Riga – zehn Jahre ist das her. Im März diesen Jahres erschien „Black Friday – und andere Lettland-Geschichten“. Boosch hatte sich anfangs gewehrt, als Freunde ihn immer wieder baten, seine Anekdoten in Geschichten zu verwandeln. Zu realitätsnah war ihm das Projekt. Mit der Zeit und einiger Arbeit wurde daraus etwas „Halbbiographisches“, in dem sich fiktionale und nicht-fiktionale Teile immer mal wieder vermischen.

Das Ergebnis sind facettenreiche Geschichten, die einen sensiblen, unvoreingenommenen Blick auf Lettland und seine Menschen werfen und den Leser sowohl unterhalten als auch nachdenklich stimmen. Letztes Jahr wurde Matthias Boosch dann endlich auch mal mit dem Literaturförderpreis der Stadt Mainz ausgezeichnet, woraufhin der BaltArt-Verlag auf ihn aufmerksam wurde. Die Arbeit mit diesem Verlag von „Regionskundigen“ sei für ihn und das Projekt sehr bereichernd gewesen.

Auf Lesungen kann man erleben, wie sich der sonst eher ruhige Mensch vor Publikum „in Rage“ liest. Boosch hat seine frühere Introvertiertheit überwunden und nun große Freude an Kommunikation. Das hat mit wiederkehrenden Lese-Gelegenheiten zu tun, aber sicher auch mit der intensiven Zeit als Vorstandsmitglied des Kulturvereins „PENG e.V.“. Die Mainzer „Kreativszene“ (in der Autorengruppe Mainz ist er auch) ist Boosch wichtig und sie verortet ihn hier. Seine schriftstellerische Zukunft ist noch nicht festgelegt. Gerne möchte er wieder reisen, aber das nächste Projekt wird wohl wieder etwas „Politisches“. Boosch befindet sich gerade noch in der Konzeptionierungs-Phase.

Gemeinsam lesen

Schreibende brauchen Gelegenheit, ihr Verfasstes zu präsentieren. 2012 trieb Robin Baller und Christian Simon die Idee um, Literatur-Interessierten in Mainz ein Forum zu geben: die Textbühne! Ein Textbühnenabend findet zumeist im Kulturcafé auf dem Campus statt und wird von vier oder fünf jungen AutorInnen (gemessen am „schriftstellerischen Alter“) und einem musikalischen Act gestaltet. Lesewillige  bewerben sich über die Homepage; die Auswahl trifft das Team „rein normativ, nach Geschmack“.

Vorab gibt es einen Workshop, in dem Lesende, Musizierende und Organisierende das Programm des Abends gemeinsam erarbeiten. Emil Fadel las auf der ersten Textbühne und fand es „erfrischend“, wie gut man behandelt und betreut wurde. Das war der Anlass, selbst in das Team einzusteigen, das seitdem dreiköpfig ist. Mittlerweile geht die (von AStA und LiteraturBüro geförderte) Textbühne in die zwölfte Runde – circa quartalsweise finden die Veranstaltungen statt – und das Netzwerk ist dicht geworden; gewisse Musiker und Autoren kehren wieder und kollaborieren über die Textbühne hinaus. Fadel: „In Berlin hätte das Konzept nicht überlebt. Da gibt es zu viel Etabliertes.“ Hier aber hat die Textbühne sich bewährt; nicht zuletzt als Gegenentwurf zum populären PoetrySlam. Bei der Textbühne dürfen Autoren auch mit Unsicherheiten kommen. Die familiäre, geschützte Atmosphäre setzt die Schwelle herab und Jung-Autoren können ihre Arbeiten einem Publikum von 100 bis 150 Menschen präsentieren.

Die alten Hasen

Jennifer Bentz und Juliane Käppler kamen eines Tages im Lomo auf die Idee, man müsse einen Stammtisch gründen, für die schreibende Zunft von Mainz. Sie wünschten sich einen lockeren Austausch – über Agenten, Projekte, Verlage, über Gott und die Welt der Schreibenden – auch um der Allein-Arbeit entgegenzuwirken. Mitte 2014 trafen sich somit Robin Baller (ja, der von der Textbühne), Jennifer Bentz, Mara Braun, Juliane Käppler und Felicitas Pommerening zum ersten Mal. Seither kommt die auf 13 Mitglieder gewachsene Gruppe jeden ersten Mittwoch des Monats zusammen.

Einen Namen brauchte man erst, als die Gruppe im Herbst 2015 eine gemeinsame Lesung plante; irgendetwas musste auf dem Plakat stehen. So entstand der augenzwinkernd lokalpatriotische Gruppenname „Goodmountains“ – abgeleitet von Gutenberg – unter dem die gut besuchte Lesung im Lomo stattfand. Juliane Käppler hat Jugend- und Frauenromane geschrieben und den Charakter Max Leif ins Leben gerufen, der in ihrem im Januar erschienenen humorvollen Roman sieben Tode sterben muss.

Mara Braun ist Journalistin. Letzen Herbst erschien „Unzertrennlich“, für das sie Zwillinge zwischen 2 und 96 Jahren getroffen hat. Felicitas Pommerening plant neben dem Schreiben gerade einen „Story-Slam“, um die Erzählkultur zu fördern. Ihr aktueller Roman handelt von einem Experiment, Familie anders zu denken. Jennifer Bentz schreibt „dialog-lastige Unterhaltungsliteratur“ mit psychologischem Blick. Ihr Roman „Wenn alle Stricke reißen“ soll wohl verfilmt werden. Aktuell sind alle mit eigenen Projekten beschäftigt; eine Wiederholung der kollaborierenden Lesung wird es vielleicht im Herbst geben.

Der Reisende

Stefan Nink ist ein Mainzer Weltenbummler. Für das Publizistik- Studium kam er in den 80ern nach Mainz, das damals „seehr langweilig“ gewesen sei. Nach dem Studium veröffentlichte er einen Reisebeitrag im FAZ-Magazin – über einen Mainzer Architekten auf dem Weg zum Nibelungenschatz – auf den das Magazin „Globo“ aufmerksam wurde, für das er im Laufe der Jahre satte siebzig Reisen unternehmen und betexten sollte. Als er sich für die SZ in die Antarktis begab, erfand er einen Reisenden, der damit zurechtkommen musste, dass sich die Pinguine – trotz ausführlicher Belehrung – nicht an die Verhaltensregeln zum Schutze des Ökosystems hielten.

jonas_otte_sensor_autoren-2Ein Literaturagent las das und meinte, aus dieser Figur und diesem Tonfall könne man etwas machen. So entstand der erste von Ninks Romanen. Die Geschichten fußen auf den Kritzeleien der „rechten Seiten“ seines Spiralblocks, auf denen er sich angewöhnt hat, Anekdoten zu sammeln, die ohnehin nicht gedruckt würden. Vor kurzem erschien sein Buch „Sonntags im Maskierten Waschbär“. Auf seinen Lesungen macht er immer wieder Einwürfe und zeigt Schnappschüsse, was den Gästen oft besser gefalle als der eigentliche Text.

Nink schätzt die „unmittelbare Rückmeldung“ zu seiner Arbeit. Das Herum-Touren innerhalb Deutschlands hat dazu geführt, dass Nink mittlerweile „vernarrt“ in Mainz ist; der „Meenzerischen Gesellichkeit“ wegen. Nirgends in der gesamten Republik sei es alltäglich, im Weinlokal einfach an einen Tisch mit wildfremden Leuten gesetzt zu werden – und sich dann noch prächtig zu unterhalten. Diese Weltoffenheit schätzt er an Mainz und genau die ist es, die wir bei unserem geselligen Interview an ihm zu schätzen gelernt haben.

Fazit

Mainzer Autoren kommen viel rum; in der Stadt, in Deutschland, in der ganzen Welt – ob zum Material sammeln, Schreiben oder Lesen. Klar gehört das „einsame Arbeiten“ am Schreibtisch zum Job. Genauso wichtig ist aber das „Netzwerken“ und das Präsentieren der eigenen Arbeit – und der eigenen Person — zum Beispiel auf Lesungen. Längst ist nicht mehr nur wichtig, wie „gut“ ein Buch geschrieben ist, sondern das ganze Drumherum. Dazu gehört übrigens auch der passende Buchhändler. „Ein Buchhändler, der dein Buch mag, verkauft es wie geschnitten Brot“, hat Stefan Nink festgestellt. Im geselligen Mainz scheinen sich Schreibende auf jeden Fall recht wohl zu fühlen. Ob aufstrebend oder etabliert, vernetzt mit anderen Schreibern oder Kulturschaffenden oder doch lieber mit ganz „normalen“ Leuten.