Einmal im Monat reden Yascha und Christoph (über) Blech – also über alte Autos mit Kultfaktor. Die Kennenlerngeschichte der beiden Stimmen hinter „Kultcast – Der Autopodcast“ klingt schon fast romantisch: „Unsere Autos kannten sich zuerst“, erzählt Yascha – nämlich vom gemeinsamen Parken in der Goethestraße. Beide fuhren damals einen fast identischen Volvo, Yascha in Hellblau, Christoph in Rot. Nur der jeweils andere Autobesitzer tauchte nie gleichzeitig auf.
Eines Samstags – es war „Waschtag“ – stand Yascha mit seinem Gefährt an der Waschanlage, da fuhr Christoph mit Motorrad vor. „Moin, ich bin der mit dem Roten“, musste dieser nur sagen. „Das war schon ein verdammt cooler Auftritt“, erinnert sich Yascha. Seitdem verbindet sie eine innige (Auto-) Freundschaft. Der Podcast, der im März 2022 gestartet ist, war eine „Winterloch“-Idee. Denn ihre Old- und Youngtimer mit HKennzeichen sind in der Regel keine Alltagsautos und im Winterhalbjahr abgemeldet. Da die beiden sich sowieso viel über Kraftfahrzeuge unterhalten, lag die Idee nahe, so ein Gespräch einfach mal aufzuzeichnen. „Eigentlich ist das kein Podcast, sondern eine Selbsthilfegruppe mit Audiomitschnitt“, witzelt Yascha. Denn dort tauschen sie sich nicht nur über die Lust an Kultkarren aus, sondern auch über Frust und Fehlkäufe. „Wenn man öfter liegen bleibt, hat man mehr zu erzählen“, meint Yascha. Beide verfügen über ein großes theoretisches Autowissen, doch Schrauben ist nicht so ihrs. Anstatt die technischen Daten runterzurattern, quatschen die beiden lieber über Emotionen und Anekdoten, die sie mit den Autos verbinden – vom Fundstück der Woche über Kiesplatzromantik bis zum Reisebericht. Wer keine Bilder zeigen kann, muss die Zuhörer anders packen. Etwa, wenn Christoph das Türzuschlagen eines W124er-Mercedes heraufbeschwört, das klingt, als ob man eine Tresortür zumacht. „Jeder, der dieses Auto mal hatte, hat garantiert sofort dieses Geräusch im Kopf.“ Ein Mikrofon und eine Schnittsoftware, das war alles, was die beiden angeschafft haben. Das Ergebnis klingt sehr professionell, man hört gerne zu. Für die beiden ist der Podcast ein reines Hobby – und soll es auch bleiben.
Rückkehr der Podcasts
„Anders als andere Medien ist der Podcast seit jeher eine Graswurzelbewegung mit geringen Einstiegshürden“, erklärt Lukas Herzog vom Journalistischen Seminar der Uni Mainz. Genau wie Yascha und Christoph haben auch viele andere – heute teilweise sehr erfolgreiche – Podcaster begonnen. Die ersten deutschen Podcasts – also Serien von abonnierbaren Audiodateien – wurden im Zusammenhang mit der Einführung des iPods Anfang der 2000er aus der Hackerszene heraus entwickelt. Entsprechend waren die Themen sehr nischig-nerdig. Und auch heute noch ist die Szene eher männlich dominiert. Nach anfänglichem Hype geriet der Podcast schnell in Vergessenheit, da es neue und spannendere Sachen im Netz gab, Videoplattformen und soziale Netzwerke. Eine zweite Podcastwelle setzte dennoch mit dem Erfolg des amerikanischen True-Crime-Formats „Serial“ ab 2014 ein, und irgendwann machten dann plötzlich alle Podcasts – von Laien über Promis und Unternehmen bis zu großen Medienhäusern – man denke an den Erfolg des „Coronavirus-Update“ des NDR mit Christian Drosten. Andererseits bescherte Corona dem Podcast-Boom einen Dämpfer, da sich die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten schlagartig änderten und bei vielen das Hören auf dem Weg zur Arbeit wegfiel. Auch die deutsche Krimiliebe schlägt sich in den Podcast-Charts nieder. Neben Verbrechen dominieren die Themen Politik, Wissen, Persönlichkeitsentwicklung, Comedy und die klassischen thematisch offenen Laber-Podcasts à la „Fest & Flauschig“. Der Aufwand, einen Podcast zu produzieren, ist vergleichsweise gering. Doch: „Es wird immer suggeriert, du brauchst nichts weiter als dein Smartphone. Tatsächlich ist es aber nicht mehr so einfach, aus der Masse hervorzustechen“, weiß Lukas Herzog.
Zwei von fünf Deutschen hören Podcasts
„Auf der Produzentenseite ist eine gewisse Sättigung eingetreten, trotzdem hören immer mehr Menschen Podcasts“, weiß Herzog. Und zwar 43 Prozent der Deutschen – etwas mehr als im Vorjahr, da waren es noch 38 Prozent. Unter den Jüngeren zwischen 16 und 29 Jahren hören sogar mehr als die Hälfte (56 Prozent) Podcasts, zeigt eine aktuelle Bitkom-Studie. Beim Autofahren, Putzen oder Sport: Podcasts laufen vor allem nebenbei. „Man möchte die knappe Zeit, die man hat, so gut wie möglich nutzen“, nennt Lukas Herzog einen Grund für die Popularität. Dennoch hat er den Eindruck, dass das Medium seit der Pandemie „auf der Stelle tritt“. Er beobachtet eher einen Trend zur Professionalisierung, also zu Podcasts, hinter denen ein ganzes Produktionsteam steht, die perfekt abgemischt sind, teilweise mit eigens dafür komponierter Musik.
Podcast-Stärken
Im Gegensatz zu anderen, vor allem sozialen Medien liegt bei Podcasts ein starker Fokus auf „Ich möchte was dazulernen“. Dieses Format eignet sich daher gut, um in Ruhe auch komplexere Themen zu besprechen. Ein gutes Beispiel dafür ist der „Soziopod“, der schon ganze Generationen durchs Soziologiestudium begleitet und die eine oder andere Hausarbeit gerettet hat. „Doktor Köbel und Herr Breitenbach“ widmen sich in jeder Folge einem Thema oder dem Werk eines bekannten Philosophen und bereiten dieses im Gespräch allgemeinverständlich auf. Die Folgen dauern gerne auch mal zwei Stunden: „Man kann es nicht nebenbei laufen lassen, sonst verpasst man was“, heißt es dazu in ihrem Intro. Das ist bei dieser Thematik wohl wahr. Doktor Köbel aka Dr. habil. Nils Köbel ist studierter Soziologe und Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Mainz. Herr Breitenbach aka Patrick Breitenbach ist gelernter Mediendesigner. Als langjährige Blogger, Publizist und Podcaster beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit diesen Themen und übernimmt im Gespräch oft die Laienperspektive. 2013 hat der Soziopod als erster Podcast überhaupt den Grimme Online Award gewonnen. 2011 als soziologisch-philosophisch-pädagogischer Podcast gestartet, ist er längst kein reiner Podcast mehr. Die beiden haben ihre Inhalte eine Zeit lang auch fürs Radio produziert, Bücher veröffentlicht und lassen sich für Live-Veranstaltungen buchen, die teilweise auch online nachgehört werden können. Zuletzt sind allerdings nicht mehr so viele neue Podcast-Folgen erschienen. „Gibt’s den Soziopod eigentlich noch?“, werden sie häufiger gefragt. „Nach 63 Folgen werden wir in Zukunft nicht mehr so viel produzieren“, erklärt Breitenbach. Stattdessen wollen sie sich mehr den Live-Veranstaltungen widmen.
Infotainment
Ein weiterer, sehr erfolgreicher Podcast, bei dem die Wissensvermittlung im Vordergrund steht, kommt ebenfalls aus Mainz. Mirko Drotschmann ist Journalist und „MrWissen2go“. Schon seit zehn Jahren bereitet er aktuelles politisches und geschichtliches Wissen – manchmal mit Meinung – leicht verständlich in kurzen Videoclips auf. Der Youtube-Podcast, der mittlerweile unter das Dach von funk, einem Online-Angebot für junge Leute der Öffentlich-Rechtlichen, gezogen ist, ist äußerst erfolgreich: 1,96 Mio. Abonnenten und über 750 Videos (280 sind es beim Ableger „MrWissen2go-Geschichte“). Das Thema der meist zehn- bis 15-minütigen Folgen wird oft in Form einer Frage („Warum werden Strom und Benzin immer teurer?“, „Was passiert, wenn die Ukraine gewinnt?“) formuliert. Der Wahl-Rheinhesse Drotschmann ist Medienprofi, war unter anderem Radiomoderator und Zeitungsautor. Jetzt ist er hauptberuflich TV-Moderator und -Reporter sowie freier Autor und Produzent. Sogar Kanzlerin Merkel hatte er für seinen Youtube- Kanal schon vor der Kamera. Geschaut wird der „Nachhilfelehrer im Netz“ vor allem von Jüngeren. Und er bricht eine Lanze für diese Generation: „Ich glaube, dass sich junge Menschen für Politik interessieren, man muss es ihnen nur verständlich machen.“ Es freut ihn, dass sich junge Leute bei Youtube nicht nur unterhalten lassen wollen, sondern auch informieren – „Infotainment“ nennt er das. Die Fangemeinde dankt: „Ich liebe einfach deine unaufgeregte, sachliche und ausgewogene Art, auch sensible und komplexe Themen gut verständlich darzustellen und zu erklären“, kommentiert jemand ein Video. Der Youtuber schätzt den Austausch. In den Kommentaren bekommt er mit, worüber diskutiert wird, und bemüht sich, die Themen aufzugreifen.
Geduld für Geld
„Es braucht einen langen Atem, wenn man mit Podcasts Geld verdienen will“, weiß Lukas Herzog. Live-Veranstaltungen wie die des Soziopod seien daher eine beliebte und nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. Viele Podcaster können auch auf die Spendenbereitschaft der Community zählen. Dies macht ebenfalls der Soziopod vor, der auf seiner Startseite prominent einen Spendenaufruf platziert. Auch große Medienhäuser versuchen sich an neuen Formaten, um ein neues, jüngeres Publikum zu erreichen. So auch die Mainzer Verlagsgruppe Rhein Main (VRM), die gleich mehrere Podcasts produziert. Darunter ist Lokalredakteur Michael Bermeitinger, der seine Hörer mit auf Spaziergänge durch die Mainzer Stadtgeschichte nimmt. Geboren wurde die Idee während Corona, als mangels Alternativen der Spaziergang zum selbstverständlichen Teil der Tagesplanung wurde. Grundlage der „Stadtspaziergänge durch Mainz“ ist seine gleichnamige und schon länger bestehende Kolumne in der Allgemeinen Zeitung sowie seine Sammelbände zum Thema, die von einer treuen Fangemeinde gelesen werden. Bermeitinger ist äußerst aktiv und produziert bis zu drei Podcasts im Monat. Begleitet wird er dabei häufig von einer Kollegin, die den Ton aufnimmt. Wenn er eine Zeitreise machen könnte, würde er sich gerne die 50er Jahre anschauen, als es hier voranging mit dem Wiederaufbau. Dabei interessiert ihn vor allem die Mainzer Alltagsgeschichte. Häufig zieht es ihn auch in nicht so schöne oder unbekanntere Ecken der Stadt. Über die Jahre hat er sich ein eigenes Archiv mit Tausenden Fotos und Dokumenten angelegt, die er in seinem Podcast nicht zeigen kann. „Da muss man anders eine Stimmung herstellen“, sagt er. Natürlich empfiehlt es sich, mit dem Podcast im Ohr die Schauplätze abzulaufen. Seine Ausführungen sind unglaublich detailliert, ohne langatmig zu sein. Hier erfahren selbst eingefleischte Mainzer garantiert noch Neues über ihre Stadt.
Der Bischof und der Podcast
Auch hinter den Mauern des Doms experimentiert man mit neuen Medien. Im relativ neuen Podcast „Lebensfragen“ spricht der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf mit einer Journalistin über die kleinen und großen alltäglichen Fragen. Dazu haben sie für jede Folge einen Gesprächsgast eingeladen: Menschen aus Kultur und Wissenschaft, Politik und Medien, die erzählen, was sie antreibt und was ihnen wichtig ist. Zu den Gästen zählten bereits Margot Käßmann oder Ingo Zamperoni. Die Journalistin Anja Schneider hat Bischof Kohlgraf mal auf dem Domplatz erlebt, „wie er mit den Menschen offen und zugewandt gesprochen hat“. Sie machte daraufhin den Vorschlag, diese Art von Gespräch auszuweiten. Ursprünglich hatten sie eine Veranstaltungsreihe geplant – doch dann kam Corona. Mitunter geht es im Podcast auch sehr persönlich zu. „Das würde ich in dieser Form in einer Predigt nicht machen“, so Bischof Kohlgraf. „Die Menschen schätzen es sehr, den Bischof auch mal von seiner persönlichen Seite zu erleben und nicht nur in offiziellen Verlautbarungen“, bestätigt Schneider. Beide haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen zuhören, die gar nicht gezielt auf der Suche nach einem Podcast der katholischen Kirche waren. Mit Sicherheit liegt dies aber auch an den hochkarätigen Gästen. „Wir möchten zeigen, dass wir mit unseren Themen mitten in der Gesellschaft sind“, so Kohlgraf – mit Ingo Zamperoni wird über Glaubwürdigkeit gesprochen, mit Vincent Klink über Gaumenfreuden und Fastenzeit und mit Annegret Kramp-Karrenbauer über den Frieden. Dem Podcast gelingt es, unaufdringlich und niedrigschwellig christliche Inhalte zu vermitteln, an die jeder Normalbürger anknüpfen kann – auch wenn er sich nicht als praktizierenden Christen bezeichnet. Wer wissen möchte, was Fußball mit christlichen Werten zu tun hat, schaltet die neueste Folge ein. Ob der Podcast-Boom erhalten bleibt oder wieder abebben wird, das kann man derzeit noch nicht voraussagen. Mit 63.000 Podcasts liegt Deutschland jedenfalls auf Platz 4 der Weltrangliste. Und aktuell sieht es nicht so aus, als ob das alte auditive Vergnügen aus den Zeiten alter Rundfunkgeräte die Transformation in die Neuzeit nicht überstehen wird – im Gegenteil.
Text Katja Marquardt