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Verhasste Feiertage – Weihnachten im Knast

Aufmacher 2
Text Florian Barz
Fotos Dirk Lippelt

Gefängnis statt Familie. Knapp 500 Häftlinge der JVA Rohrbach verbringen Weihnachten hinter Gittern. Auch hier gibt es Feierlichkeiten und Geschenke. Für viele ist es dennoch die schlimmste Zeit im Jahr.

Jedes Jahr im November, wenn die Tage dunkler werden, beginnt im Gefängnis der Weihnachtsblues. „Da kommen dann die Emotionen hoch“, sagt Frank Klose (Name geändert), „besonders, wenn du allein in der Zelle sitzt. Allein mit dir und deinen Gedanken. Das ist hart.“ Der 43-jährige Mainzer sitzt seit Februar 2014 in Haft. Drei Jahre wegen Körperverletzung. Wieder einmal. Es ist seine zehnte Haftstrafe. Mehr als zehn Jahre hat Klose hinter Gefängnisgittern in Rheinland-Pfalz verbracht, etliche Weihnachtsfeste verpasst. Jedes Jahr ist schlimm. Auf seine Weise.

„Ich versuche, diese Tage zu verdrängen, von mir weg zu schieben“, sagt Klose und zeichnet die Worte mit den Händen nach. Er malt dann Bilder, schaut Fernsehen, schreibt Briefe. Nur irgendwie ablenken von den nagenden Gedanken, der Freundin, die allein zu Hause sitzt, der Mutter, die um ihn weint, die murrende Verwandtschaft: ‚Jetzt hockt er schon wieder.‘ „Manchmal“, sagt Klose und knetet die kräftigen Handwerkerhände, „stelle ich mir dann vor, es wäre Sommer. Wie schön das doch wäre: Lange Tage, viel Licht, Wärme.“

Frank Klose ist einer von 498 Häftlingen im geschlossenen Vollzug der JVA Rohrbach bei Wöllstein. Hier sitzen ausschließlich Täter mit Haftstrafen bis zu drei Jahren ein. Die Mehrzahl verurteilt für Drogenkriminalität, Betrug, Diebstahl oder Körperverletzung. Darunter viele junge Täter, die zum ersten Mal im Gefängnis einsitzen. An Weihnachten schmerzt die Einsamkeit besonders, das Fehlen der Familie. Die Bediensteten der JVA versuchen, dem Trübsinn entgegenzuwirken mit kleinen Feierlichkeiten, Geschenken und Seelsorge. Durch die Feiertage müssen die Insassen aber alleine kommen.

Mehr Angebote in der dunklen Jahreszeit

JVA-Leiter Norbert Henke ist ein Mann in den Fünfzigern, akkurat gekleidet, wacher Blick. „Weihnachten ist eine hoch belastende Zeit“, erklärt er mit fester Stimme. „Deshalb verstärken wir unser Programm auch ab November.“ Ablenken und unterhalten lautet die Strategie. Sobald die Uhren auf Winterzeit umgestellt werden, organisieren er und seine Kollegen vermehrt Konzerte und Auftritte für die Gefangenen. Mitte Dezember findet eine vorweihnachtliche Adventsfeier statt. Jeweils eine für Männer und eine für Frauen. Eine Coverband spielt Weihnachtssongs, dazu gibt es Plätzchen und warme Getränke. Einige Insassen lesen Gedichte vor. „Das ist eine Möglichkeit für die Gefangenen, in der düsteren Jahreszeit einfach mal abzuschalten“, sagt Henke.

Die Weihnachtsfeiertage selbst verbringen die Insassen aber hauptsächlich in ihren Zellen. Mittags gibt es gutes Essen: Wildgulasch, Knödel, Rotkraut. Ein traditionelles Festessen, weit jenseits der drei Euro Verpflegungspauschale, die der JVA sonst pro Tag und Häftling zustehen. Danach haben die Insassen ein bisschen Freizeit für Gespräche, Spiele oder Telefonate mit den Angehörigen. Um vier Uhr ist Zellenschluss. Jeder Insasse muss dann in seine Einzelzelle. Aufgeschlossen wird erst am nächsten Morgen. Frank Klose erinnert sich noch gut an sein erstes Weihnachten hinter Gittern, als junger Mann, knapp über 20. „Damals hab ich die Emotionen voll laufen lassen“, erzählt er mit fester Stimme, „mit Tränen und dem ganzen Programm. Das erste Mal Weihnachten im Knast: Da bricht deine Welt zusammen. Du denkst über die Familie nach. Über deine Fehler, dein ganzes Leben.“

Heute gehört er zu den älteren, hafterfahrenen Gefangenen, versucht die Jüngeren zu trösten, wenn sie den Kontakt suchen. Dass im Knast nur harte Kerle landen, sei ein Märchen. „Manche markieren den harten Hund, aber das ist nur gespielt. Weihnachten ist für jeden schwer. Egal, ob er Familie hat oder nicht.“ Die einen sehnen sich nach Familie, die anderen wünschen sich eine. Jeder geht dabei mit seinen Problemen anders um. Die einen ziehen sich zurück, wollen nur für sich sein und das ganze irgendwie überstehen. Die anderen wollen reden.

Halt durch Seelsorge

Zum Beispiel mit dem katholischen Pfarrer Reinhard Vitt. Gemeinsam mit seinem evangelischen Kollegen Jörg Brauer ist Vitt in Rohrbach für die Seelsorge zuständig. Täglich hört sich der 67-Jährige die Sorgen und Probleme der Gefangenen an. In der Vorweihnachtszeit ist deren Gesprächsbedürfnis besonders groß. „In der dunklen Jahreszeit komme ich häufig nicht vor neun oder halb zehn aus dem Gefängnis“, erzählt Vitt. Zwar gibt es in Rohrbach auch vier Psychologen, aber die unterliegen, anders als der Pfarrer, nicht der Schweigepflicht. Deshalb wollen die Insassen, gleich welcher Konfession, meist zu ihm.Viele sind einfach froh, dass ihnen jemand zuhört, Trost zuspricht. Manche bitten ihn auch um kleine Gefallen, gerade an Weihnachten. „Sie wollen ihren Kindern und Angehörigen ein Geschenk zu Weihnachten machen, etwas basteln oder malen.“ Vitt, lange Jahre Kunstlehrer an einem Gymnasium, besorgt ihnen dann Blöcke, Stifte, Briefumschläge. Scheren sind verboten, zu gefährlich.

Auch um den Fernsehempfang an Weihnachten kümmert sich der Seelsorger. Denn ein Fernseher in der Zelle kostet Geld: 17 Euro im Monat. Für manche Gefangene ist das zu teuer. Damit an den belastenden Weihnachtstagen niemand ohne Fernseher auskommen muss, bringen Vitt und ein Seelsorgeverein das nötige Geld auf. „Wir zahlen das, damit die Insassen die Feiertage besser durchstehen und einigermaßen stabil ins neue Jahr kommen. Dass einer emotional zusammenbricht, das darf nicht sein.“ Bisher gab es seit der Gründung der JVA Rohrbach 2002 noch keinen Suizid. Das soll auch so bleiben. „Auch die Gefangenen müssen von uns Mitmenschlichkeit und Nähe erfahren“, sagt Vitt mit Nachdruck. Egal, was sie getan haben. „Das ist die spezielle Aufgabe der Seelsorge.“

Geschenktüte für jeden Gefangenen

Teil dieser Fürsorge ist auch eine Tüte mit Geschenken, die jeder Insasse in Rohrbach am 23. Dezember erhält. Darin befinden sich Süßigkeiten, Mandarinen, Weihnachtskarten. Eigentlich nichts besonderes, für Frank Klose und viele andere Insassen ist die Tüte dennoch das größte Highlight im Jahr. Die Weihnachtstüte ist das einzige Weihnachtsgeschenk, das die Gefangenen bekommen, denn Angehörige dürfen ihnen nichts schicken. „Es ist schön, wenn man auf diese Weise Aufmerksamkeit bekommt“, meint Klose. Überreicht werden die Tüten von den Gefängnisbeamten. Per Handschlag und einem Weihnachtsgruß. Eine menschliche, zwanglose Geste, die in Rohrbach zur Tradition geworden ist. Besonders freut sich Frank Klose auf die Kerze aus Bienenwachs, die ein ehrenamtlicher Verein jedes Jahr zur Geschenktüte beisteuert. Fast alle Insassen zünden sie an Weihnachten in ihrer Zelle an. „An den Feiertagen herrscht im Knast total tote Hose“, sagt Klose, „das warme Licht der Kerze im Haftraum spendet da in der Einsamkeit Trost.“

Weihnachtsamnestie 

Einige von Kloses Mitgefangenen werden dann längst draußen sein.  25 Insassen der JVA Rohrbach kommen Ende November frei. Sie profitieren von der so genannten Weihnachtsamnestie, einer Gnadenregelung, die in Deutschland und anderen Ländern eine lange Tradition hat. Insassen, deren Haftstrafe zwischen dem 24. November und 6. Januar endet, kommen bei guter Führung vorzeitig frei. So können sie das Fest mit der Familie verbringen. Für die, die zurückbleiben, sind die zahlreichen Entlassungen eine zwiespältige Erfahrung. „Klar freue ich mich für die, die gehen“, sagt Klose langsam, „aber natürlich würde ich auch gern an ihrer Stelle sein.“ Vor 2017 wird das aber sicher nichts. Drei weitere Weihnachtsfeste hinter Gittern stehen ihm bevor. „Das ist wie ein Dauer-Déjà-vu, wie ´Täglich grüßt das Murmeltier´“.

Klose hat sich fest vorgenommen, dass es seine letzte Haftstrafe ist. Schon jetzt plant er die Zukunft, will demnächst den Führerschein im Gefängnis machen. Den braucht er zwingend, um nach der Haft eine Stelle als Bauschlosser zu finden. Nach zehn Haftstrafen soll endlich Normalität in sein Leben einkehren. So wie im vergangenen Jahr, als er die Weihnachtstage ausnahmsweise in Freiheit verbrachte. Er kaufte einen Weihnachtsbaum, besuchte ein Gospelkonzert, machte Geschenke. Ein klassisches Weihnachten mit Freundin und Familie. „Das war so schön“, sagt Klose und zum ersten Mal leuchten seine Augen. „Das will ich wieder haben.“