von Andreas Coerper
Karl „Charly“ Wilhelm Rückes ist 80 Jahre alt und lebt seit 32 Jahren in der Zanggasse. Er betreibt die Gaststätte „Zum Hobby“ und erzählt uns von seinem Leben zwischen Sexshop, Kneipe und Privatleben.
Charly: Ich bin seit 1979 in der Zanggasse. Damals habe ich in der 17 gewohnt, da hatte ich auch mein Geschäft, einen Sexshop. Dann zog ich in die 21 um und investierte 150.000 DM in den Ausbau. Und dann kam die Bauaufsicht: „Hier in dieser Straße darf kein neuer Sexshop gemacht werden, keine Videothek, keine Bar und kein Lokal. Nur was schon steht, das hat Bestandsschutz.“ Und damit haben die mich voll erwischt. Ich weiß nicht, was ich die letzten Jahre gemacht hab´, aber so schlecht wie heute ging’s mir noch nie. Die Kneipe (heute: Zum Hobby) gibt’s schon sechzig Jahre und ich hab sie seit 2002. Mein Problem heute ist, dass ich niemand kriege. Für fünf Euro die Stunde will niemand arbeiten – die gehen lieber aufs Ämtsche, da kriegen sie‘s für lau. Aber mehr kann ich nicht zahlen.
Wie haben Sie die Zanggasse in Erinnerung?
Die Zanggasse war mal nicht schlecht. Aber … ich weiß nicht, wie viele deutsche Geschäfte hier noch sind, mehr wie zwei sind’s nicht mehr. Der Sven, die haben da oben die Dorett-Bar. Da war schon mal jemand von der Zeitung und hat ein Interview gemacht und das hat ein bisschen was bewirkt. Meine Bedienungen sind älter, ich krieg keine jungen Leute mehr. Na ja, gut, der Sven und die, wir haben guten Kontakt … jetzt kommen mehr junge Leute hier rein. Der Sommer ist aber eine Katastrophe. Die sitzen draußen und hier können sie Mücken fangen.
Und wie sieht es mit der Kriminalität aus? Hat sich da was verändert?
Da war vor kurzem der Mord, aber da konnte keiner was dazu. Der junge Mann, der war ja in der Dorett als Türsteher teilweise. Und dann ist der Mord passiert. Eigentlich wollte der bei mir anfangen.
Ich habe ganz anderen Ärger. Mein Vermieter will die Miete 30 Prozent erhöhen. Ich zahle für das Loch, in dem ich wohn, 300 Euro im Monat und jetzt will er 450 haben. Ich hab das Schreiben gestern erst bekommen und hab‘ heute einen Termin ausgemacht mit einem Rechtsanwalt. Ich kann ja viel erzählen und es glaubt mir keiner. Ich habe heute die Miete überwiesen, denn heute sind die Spielautomaten geleert worden. Gott sei Dank war wenigstens mal was drin. Ich geb mir Mühe zu zahlen was ich kann, aber was ich nicht hab … deswegen sitz ich ja aufm Balkon. Laufen kann ich nicht mehr gut und Geld habe ich keins, also hock ich da oben. Und da hab ich Ihnen gewunken. Ich frag mich nur warum …
Ist doch in Ordnung, was soll‘s. Sie sind doch Mainzer.
Nein, ich bin Rheingauer. Rüdesheim am Rhein. Ich weiß nicht, wo mein Vater mich gemacht hat, es kann sein … in der Drosselgass. Ich bin an und für sich Wiesbadener und Hesse auf jeden Fall. Sind Sie mir nicht bös, aber was die Meenzer versprechen, behalten sie auch. Normalerweise sagt man doch: Was man verspricht das soll man auch halten. Aber die Meenzer behalten es! Und von mir wird‘s verlangt, jedes Versprechen.
Die Jungs, die jetzt die Dorett-Bar haben, die probieren das alles zu machen wie´s mal war. Damals die Amis, die haben ja Mainz bezahlt. Wenn die nicht draußen in Gonsenheim gewesen wären, gäbs nicht die ganzen schönen Häuser da. Das ganze waren ja die Amis,die das bezahlt haben. Die sind ja dann 1989 / 1990 gegangen und seitdem ist‘s abwärts gegangen. Nicht mit meinem Sexshop, der lief immer gut. Ich hab verdient, mir ging’s gut. Ich hab noch nie Interesse gehabt an einer Yacht oder schnellen Autos oder so, obwohl Auto ok, eine schöne Wohnung ja, Ende. Ich habe ´94 festgestellt, wenn ich in die Rente komme, krieg ich nix, und so isses auch. Da habe ich alles zusammengekratzt und habe dann einen Laden (Zum Hobby) gefunden. Woll‘n Sie sonst noch was wissen?
Was fällt Ihnen denn zu Mainz ein, also Mainz als Stadt?
Wie gesagt, meine ehrliche Meinung ist: Was die Mainzer versprechen, das behalten sie auch! Meiner Ansicht nach ist das eine aufgesteckte Fröhlichkeit was die hier so treiben, so an Fassenacht. Aber in Wiesbaden gibt‘s mehr Ausländerfeindlichkeit. Die Mainzer passen sich gut an. Die haben sich an die Leute gewöhnt.
Aber jetzt kommen mehr junge Gäste zu Ihnen ins „Hobby“?
Ja, und ich bin auch stolz drauf. Die fühlen sich wohl. Ich bin bestrebt, dementsprechend Musik und Angebote zu machen. Die einzigen, die noch ein bisschen Geld haben, sind die jungen Leute. Wenn hier so zehn Mann sitzen, dann haste schnell deinen Hunderter. Am Tag ist hier sonst so siebzig Euro Umsatz. Die Bedienung nimmt davon Dreißig, also bleibt gar nix, furchtbar. Ich kann mich aber nicht beschweren. Ich hab versucht, als alter Mann Wohngeld zu beantragen, was an sich ja jedem zusteht, wie sie sagen, aber nix, weil ich selbstständig bin. Grundrente krieg ich auch nicht. Ich krieg einen Hunderter Rente im Monat, weil ich fast immer selbstständig war. Ansonsten Schulden.
Zu Mainz kann ich nicht viel sagen, denn ich geh nirgends hin. Ich war in Wiesbaden sehr bekannt, wie ein bunter Hund. Ich habe im Puff gearbeitet, aber automatisch biste da Zuhälter, wenn du da arbeitest. Ich habe sehr gut verdient. Ich kam mit meinem Chef sehr gut klar, wir waren Freunde. Der hat aber einen Fehler gemacht, hat jemand reingenommen, weil er sich Arbeit zu sparen dachte, und schwupp, ehe er sich versah, war er draußen und der andere war Chef. Ich habe das kommen sehen und fing dann an, Taxi zu fahren. Beim Taxifahren habe ich eine kennengelernt. Sie erzählte mir von einer Freundin, die einen Sexshop habe, den sie verkaufen will, und ich übernahm den Sexshop. Mir ging’s gut bis ´99. Wenn ich in der Stadt war und mir hat etwas gefallen, dann konnte ich mir das kaufen. Jetzt ist das nicht mehr so. Heute habe ich immerhin von meinem Automatenaufsteller Geburtstagsgeld bekommen. Jetzt habe ich mal siebzig Euro in der Tasche. Aber was sind schon siebzig Euro? Was soll ich in der Stadt? Ich kann mich über Mainz nicht beschweren, ich komme zurecht mit den Leuten. Es ist aber nichts Hervorragendes hier.