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Ungewollte Schwangerschaft: Im Zweifel für den Zweifel

WochenbettdepressionIlluwebvon Mara Braun
Illustration: dainz.net

Die Beratungsstelle der pro familia wirkt auf der Hinterseite des großen Gebäudekomplexes Am Brand fast versteckt. Beabsichtigt sei das nicht, versichert Geschäftsführerin Dr. Gisela Hilgefort: „Wir wünschen uns eher mehr Sichtbarkeit.“ Hilfreich sei andererseits, dass im Gebäude in der Quintinsstraße auch Arztpraxen residieren. „Die Leute kommen mit sensiblen Angelegenheiten her und sind oft froh, wenn nicht klar ist, sie wollen zur Beratung.“

Etwa 1/3 der Kunden hat Fragen zum Thema Schwangerschaft auf dem Herzen. Dazu gehört der Wunsch nach beratender Begleitung durch diese Zeit ebenso wie die Schwangerenkonfliktberatung, zu der Frauen gehen, die sich mit der Situation alleine überfordert fühlen – oder weil sie abtreiben möchten. Die Stirn von Dr. Gisela Hilgefort kräuselt sich, dahinter arbeitet es merklich. Schließlich sagt die Diplompsychologin und Psychotherapeutin: „Was mir stinkt, ist die Scheinheiligkeit.“ In Bezug worauf? „Mir wird zu wenig über Verhütung gesprochen, die oft schon finanziell ein Problem ist. Wird die Frau ungewollt schwanger, rennt sie gegen eine Wand aus Ablehnung.“ In den Beratungen bei pro familia achte man darauf, „Ergebnisoffenheit zu schützen. Es geht natürlich um den Schutz des ungeborenen Lebens. Aber auch um das Leben der Frau: Man muss individuelle Lösungen finden.“ Dass bei einem Thema, das ideologisch und emotional so aufgeladen ist, schon diese Aussage Fläche für Angriffe bietet, ist Hilgefort bewusst. „Das muss man abkönnen“, sagt sie. Die Frage, ob sie Anfeindungen abkann, stellt sich nicht: Sie wirkt mit ihrer ruhigen und bestimmten Art wie eine, die erhobenen Hauptes voranschreitet in den Kampf, oder in diesem Fall: die Auseinandersetzung.

Auf der Suche nach Antworten

Die Gesetzeslage ist so eindeutig wie differenziert: Im berühmten Paragraphen 218 wird der Schwangerschaftsabbruch mit Freiheitsstrafe bedroht, es gibt aber etliche Ausnahmen und Grenzen. Nicht strafbar für die Schwangere und den durchführenden Arzt ist der Abbruch, wenn er fristgerecht (bis zu 12 Wochen nach der Befruchtung) und nach der vorgeschriebenen Beratung erfolgt, wobei zwischen dieser Beratung und dem Abbruch drei volle Tage liegen müssen. Der gesetzliche Rahmen aber hilft einer Frau, die ungewollt ungewollt schwanger geworden ist, wenig: Für sie stellen sich Tausende Fragen, deren Beantwortung schier unmöglich scheint. Zumal es sich als sehr schwierig erweist, außerhalb einer Beratung Informationen einzuholen. Wer das Internet bemüht, trifft oft auf Abtreibungsgegner, vereinzelt auf Betroffene, die Hilfe für andere ungewollt Schwangere zusammenstellen. In Foren tauchen oft Aussagen wie diese auf: „Ich kann mit niemandem reden, ohne verurteilt zu werden. Dabei brauche ich Hilfe.“ So wie es auf der einen Seite wichtig ist, das ungeborene Leben zu schützen, müsse gleichfalls das Wohl der Schwangeren geachtet werden, sagt Hilgefort: „Es ist so oder so eine schwierige Entscheidung, die für das Leben prägt.“ Die „moralische Keule“ mache der Schwangeren eine ohnehin komplizierte Situation unerträglich. Und a l l e i n die Gesetzeslage sorge dafür, dass die Frau sich die Entscheidung nicht leicht machen kann. Der Wunsch nach einem Abbruch entsteht oft aus dem Gefühl der Überforderung, sei es, weil die stabile Partnerschaft fehlt, sei es finanziell oder weil eine Frau das Thema Kinder bereits abgehakt hatte: „Die meisten Frauen, die abtreiben, haben schon Kinder“, sagt Hilgefort. Ein wichtiger Bestandteil der Gespräche ist es, Wege für ein Leben mit dem Kind aufzuzeigen. Dazu gehört die Beratung zu finanziellen Ansprüchen, die Möglichkeit der Begleitung in der Schwangerschaft oder das Thema Adoption. Anders als Beratungsstellen der katholischen Kirche, die einen Abbruch ausschließen, stellen pro familia oder die Stellen der evangelischen Kirche bei der Entscheidung gegen das Kind den Schein aus, den Schwangere für den Eingriff brauchen und vermitteln einen Arzt oder eine Klinik. „Manche Frauen melden sich später und sagen, sie seien froh, den Entschluss zum Abbruch getroffen zu haben. Andere stellen mir ihre Kinder vor. Für mich ist wichtig, dass es den Frauen mit ihrer Entscheidung gut geht.“

Frauen erzählen von ihrer Abtreibung

„Das Thema ist für mich austherapiert“, sagt Lena T. gleich zu Beginn des Gesprächs. Doch bis dahin war es ein langer Weg für die 34-Jährige. „Ich war frühreif, denke ich.“ Mit 14 verknallt sie sich in einen neun Jahre älteren Mann. „Ich fand das cool, zu sagen: Schlaf mit mir!“ Die Teenagerin genießt die Knutscherei im Hinterhof einer Kneipe, das Gefühl, am Ziel zu sein – dann kriegt sie es mit der Angst zu tun. „Als ich nicht mehr wollte, war ihm das egal.“ Es ist der Beginn einer langen Missbrauchsbeziehung. „Ich sage bewusst Missbrauch, nicht Vergewaltigung: Ich bin ja freiwillig zu ihm, habe mich nicht körperlich gewehrt. Nur gesagt, dass ich das so nicht will, er mir weh tut.“ Die Faszination für den Mann ist stärker als die Angst. „Klar nachklingt es heute bescheuert. Aber ich wollte ihn nicht verlieren.“ Das Thema Verhütung wagt Lena gar nicht erst anzusprechen. Als plötzlich ihre Tage ausbleiben, reagiert der Mann aggressiv – und sie schweigt. Schließlich vertraut sie sich einer Lehrerin an, die sie zu pro familia begleitet. Vor den Eltern, zu denen sie ein gutes Verhältnis hat, schämt sie sich: „Ich bin so erzogen, dass es wichtig ist, für sich einzustehen. Auch nein zu sagen, wenn man etwas nicht will. Hört sich doof an, aber ich konnte ihnen nicht in die Augen sehen.“ Den Missbrauch verschweigt sie ohnehin: „Ich habe in der Beratung was erzählt von großer Liebe, Unfall, Typ weg.“ An das Gespräch erinnert sie sich nicht mehr genau. „Aber an das Gefühl, ich werde respektiert. Klar, die klären auf, wie wäre es mit Kind. Aber ich habe mich zu nichts gezwungen gefühlt.“

Zusammenbruch mit Verzögerung

Für die Abtreibung fälscht sie die Unterschrift der Mutter. Als die Eltern sie in der Schule wähnen, lässt Lena T. ihr Kind abtreiben. Abends kommt sie heim, als wäre nichts gewesen. „Ich war so jung, ich habe gar nicht begriffen, was passiert.“ Jahre später, als sie zum ersten Mal eine liebe- und respektvolle Beziehung mit einem Mann führt, brechen die Wunden auf. „Da hat es mich umgehauen: Was der mit mir gemacht hat, die Abtreibung…“ Sie bricht zusammen, ritzt sich, kommt in die Psychiatrie. „Dort habe ich zum ersten Mal über das Kind nach gedacht. Und gemerkt, später will ich das haben: Familie.“ Die Eltern sind geschockt von der Erkenntnis, dass sie der Tochter damals nicht helfen konnten. Über viele Therapien findet sie wieder zu sich – und ihren Weg: Heute ist sie stolze Mama eines Sohnes, arbeitet als Heilerziehungspflegerin und bildet sich zur Sexualpädagogin fort. „Das Thema ist mir ein Anliegen. Und es fehlt an so vielem, gerade an guter Aufklärungsarbeit.“ Mit ihren eigenen Erlebnissen geht sie bei Freunden längst offen um. „Ich habe nie negative Reaktionen gekriegt, aber das liegt an den Umständen. Generell ist Abtreibung ein Tabuthema, denke ich, und ich weiß, viele Frauen leiden, weil sie für ihre Entscheidung verurteilt werden.“

Als Meike G. ungewollt schwanger wird, ist sie 23. Eine Familie war immer ihr Traum, doch in ihrer Beziehung stehen die Zeichen auf Trennung. Gegen den Willen des Partners treibt sie ab. „Schlimm fand ich, dass er mir nicht zugestanden hat, zu trauern. Es war ein Verlust, auch wenn ich den selbst besiegelt hatte.“ Heute ist Meike verheiratet und hat eine kleine Tochter.

Für Silke S. waren Kinder nie ein Thema. Als sie mit 37 schwanger wird, steht es für sie nicht zur Debatte, das Baby zu bekommen. „Ich bin kein Familienmensch, nie gewesen. Das Kind war, so hart das klingt, der dümmstmögliche Unfall: Ich nehme seit ich 15 bin die Pille.“ Mit ihrem damaligen Freund ist Silke bis heute zusammen. Kinder wollte auch er nie.

Mit 29 verliert Nadja S. erst den Job, dann geht ihre Beziehung in die Brüche. Als die Mutter eines Dreijährigen kurz darauf ihre Schwangerschaft feststellt, ist sie verzweifelt. „Ich war auf mich alleine gestellt, keine Familie in der Nähe, alles lag sowieso am Boden.“ Sie entscheidet sich gegen ihr Baby – ein Entschluss, mit dem sie noch heute, fünf Jahre später, hadert.