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Das Mainzer Rheinufer – ein Flickenteppich

Ein Fluss und viele Fragen – der große europäische Rhein, der längste Flusslauf innerhalb Deutschlands, mit einem Einzugsgebiet aus neun Staaten: Mainz hat ihn direkt vor der Tür, im Vorgarten sozusagen, 500 Meter breit. Was haben wir daraus gemacht? Wie wird dieses geografische Kleinod genutzt? Und wie sieht die Zukunft des Rheinufers aus?

Blick zurück

Ein Blick zurück auf ein großartiges Projekt: Stadtbaumeister Eduard Kreyßig plante und baute im 19. Jahrhundert 23 Rheintore an der Uferzeile. Die hatten auch eine Funktion, nämlich die Kontrolle des Waren- und Personenverkehrs. Eine Wehrmauer verband alle miteinander. Nachts waren sie geschlossen. Davor verlief eine schnurgerade baumbestandene Promenade und davor wiederum gab es Treppen und Rampen zum Rhein hinunter, die der Anlandung von Schiffen dienten. Später kamen die mit Pontons umrahmten Badeanstalten und die berühmten „Wäschbrüggelscher“ dazu. Man stelle sich also eine lebhafte und buntgemischte Szenerie vor: Mainzer Bürger beim Promenieren, am Ufer große und kleine Kähne beim Aus- und Einladen, Kindergeschrei, Waschweiber-Gezänk, Geschäft und Freizeit. Das alles und die scheinbare Idylle sind vorbei. Was blieb, ist das Wasser und ein Ufer, das im letzten Krieg zahlreiche Wunden davontrug (acht von ehemals 23 Toren stehen noch) und zweitens zum Objekt unzähliger Neuplanungen wurde. „Alles ist kaputt, jetzt machen wir was ganz Neues“, war damals die Devise.

Die verschiedenen Ideen kann man nachlesen und wird sich bekreuzigen, aus Dank dafür, dass manches nie Realität geworden ist. Die beste Veranstaltung zur Stadtplanung, die Mainz je erlebt hat, war aber – so sagt der Landschaftsarchitekt Klaus Bierbaum – das RheinUfer-Forum 1998/99. Die damaligen Empfehlungen einer Expertenkommission (ausführlich dokumentiert auf der Website der Stadt Mainz), gelten laut Stadtratsbeschluss nach wie vor als Leitlinie, werden aber eher wie Empfehlungen behandelt: Einiges wurde realisiert, manches hat sich erledigt, und heute, 20 Jahre später, fällt es immer noch schwer, einen gemeinsamen Nenner in der Gestaltung der Uferlinie zwischen Zoll- und Winterhafen zu finden.

Vom Kaiser- zum Brückentor

Vorbei sind zum Glück die Zeiten, als das größte Teilstück des Ufers zwischen Kaisertor und Hilton-Hotel ein riesiger Parkplatz war – natürlich bewirtschaftet. Reste der Schranken und Zufahrten sind noch zu sehen. Der Bau des unterirdischen Parkhauses „Rheinufer“ vor einigen Jahren war ein erster wichtiger Schritt zum autofreien Ufer. Oberirdisch ungeklärt ist nach wie vor die Einfahrt zu dieser Brache. Die Poller am Kaisertor sind wie von Geisterhand verschwunden und wenn z. B. abends während der Fastnacht die (Anwohner)Parkplätze rund um das Schloss belegt sind, fährt schon mancher Narr auf gut Glück sein Gefährt auf die holperige Uferzone, der man nicht ansieht, was hier jemals passieren soll. Derzeit wird die Kaimauer saniert und danach soll etwas passieren, heißt es städtischerseits. Aber bislang wechseln sich nach wie vor alle Arten von Kirmes (Rhein- Frühling, Johannisnacht, Bierbörse, Sommerlichter und wie sie alle heißen) mit den Zeiten als Abstellplatz für Wohn- und Klowagen und langen Wochen ewiger Leere ab. Überhaupt die Messen und Feste, auf die Mainz so stolz ist: Selten mal sind Vergnügungswagen und Weinstände so aufgebaut, dass der Blick über den Rhein schweifen kann. Offenbar kein Thema für die Standverteiler, die nur die Miete kassieren. Dabei ist dies die einzige größere innerstädtische Fläche, in der überhaupt etwas Jahrmarktähnliches stattfinden kann. Aber der Rhein scheint allen egal zu sein. Nur das Riesenrad gestattet mal einen Blick von oben – eine Übersicht, die man manchem Stadtplaner wünschen möchte.

Dabei würde jedem schnell klar werden, dass eine parkähnliche Gestaltung als kuschelige Naherholungszone und gleichzeitig die Vorhaltung eines Aufmarschplatzes für Karussells, Autoscooter und Tausende von Kirmesbesuchern sich ausschließen. Das eine verlangt nach Begrünung, Wegen und Ruheplätzen, das andere nach einer tragfähigen gepflasterten Freifläche – und breiten Zufahrten. Zu diesem Dilemma hat es bisher keine klare Entscheidung gegeben. Der Bedarf an schönen Plätzen unter freiem Himmel wächst mit der zunehmenden baulichen Verdichtung der Städte und die Freizeitnutzung des Rheinufers hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Beim ersten Sonnenstrahl tummelt sich Alt und Jung am Fluss, ob zum Joggen oder Walken, Fahrradfahren, Gassigehen, Picknicken, Grillen, Möwenfüttern oder einfach nur Abhängen. Die nötige Infrastruktur (Toiletten, Gastronomie, wirklich ansprechende Sitzplätze und nicht zuletzt Papierkörbe) ist bisher spärlich. Die letzte planerische Großtat war die Errichtung einer öffentlichen Toilette am Fischtor und die schwarze ausfransende Asphaltierung eines Mittelstreifens der Promenade.

Die Kunst am Rhein

Ein Sprung zu einem anderen ganz speziellen Thema: In den 60ern wurde das Gelände vor der Uferstraße im Lauterenviertel umgestaltet, 1969 die erste Plastik der „Rheinufer- Galerie“ aufgestellt: Philipp Harths „Tiger“ von 1936 (!), oft besprüht, oft beschädigt, aber nach wie vor Wegzeichen dieses Uferabschnitts. Seitdem versammeln sich Skulpturen unterschiedlichster Qualität auf diesem Streifen, meistens mit biografischem Bezug der Künstler zur Stadt. Rheinabwärts stellt man sich eine Fortsetzung der künstlerischen Ausstattung bis zum Zollhafen vor. Professor Gregor Wedekind vom kunstgeschichtlichen Institut der Universität und Mitglied des städtischen Kunstbeirats fordert seit geraumer Zeit (sensor berichtete im März 2012) die Aufwertung dieses Uferabschnittes. Allein durch eine Pflege der Rasenflächen, die für die Präsentation der Werke als „Tablett“ dienen, sei schon viel gewonnen.

Außerdem müssten struppige Büsche zurückgeschnitten oder entfernt werden und ganz generell wünscht er sich mehr Sensibilität bei der Bepflanzung und Möblierung (Bänke, Laternen, Papierkörbe) – aus Respekt vor den Werken. „Ein regelmäßiges Monitoring muss her. Es geht eigentlich nur um Pflege und Reparatur und das ist mit wenig Geld möglich.“ Im Übrigen mangele es der Stadt an wirklich bedeutenden Kunstwerken auf ihren öffentlichen Plätzen und Wegen. Der „völligen Banalisierung des Stadtraums“ gelte es entschieden entgegenzutreten und seiner Gestaltung mehr Ambition und Anstrengung zu widmen. Für Wedekind ist die mäandernde Wegführung durch den Skulpturenpark mit den sich immer wieder öffnenden kleinen Plätzen ein ideales Konzept für ein Freiluftmuseum. Die Experten im Rheinuferforum sahen das anders. Auch Landschaftsarchitekt Klaus Bierbaum plädiert für die Wiederherstellung einer geraden Uferpromenade im Sinne Kreyßigs, was einen Umzug der Kunstwerke zur Folge hätte. Dazu müsste da und dort eine Abtreppung oder Abschrägung des Ufers kommen, damit man es auch wirklich sieht und sich am Wasser fühlt. Das alte Begrünungskonzept hat für ihn am Ufer nichts zu suchen, es sei „introvertiert“, also nach innen statt zum Fluss hin orientiert. Für ihn muss der Rhein der Star bleiben.

Wohnen am Wasser

Der Rhein ist Hauptschlagader des umweltverträglichen Güterverkehrs, mit allem, was dazugehört. Der wichtige historische Hafen Mainz darf sich nicht wie eine verkehrsberuhigte Zone aus dem kommerziellen Schiffsverkehr ausklinken. Und wer am Rhein wohnen will, hat nicht nur Schwäne, sondern auch Frachtschiffe vor Nase und Balkon. Eine vor Kurzem dazu aufgekommene Diskussion, die weitere Schiffsanleger am Neustadt-Ufer vorsieht, brodelt dazu vor sich hin. Ohne Schuldzuweisungen zu verteilen, dafür ist die Situation zu verworren, scheint es erhebliche „Kommunikationsdefizite“ gegeben zu haben zwischen der Stadt, der Zollhafen GmbH, der Wasser- und Schifffahrtsdirektion sowie den Bauherren, Maklern und schließlich den Käufern und Mietern der neuen schicken Wohnungen am Zollhafen. Sonst hätten die seit langem geplanten Anlegestellen für Frachtschiffe direkt vor den hochpreisigen Uferwohnungen nicht plötzlich eine Katastrophennachricht wie ein Tsunami ausgelöst. Auch die altehrwürdige Taunusstraße rührt sich bei diesem Thema und befürchtet Abgase der Dieselmotoren.

Das erinnert an die damalige Initiative gegen sommerlich grillende Picknick-Gruppen, die asthmatische Bewohner mit offenem Schlafzimmerfenster zur Straße angeblich gesundheitlich beeinträchtigten. Damals ging Ortsvorsteher Walter-Bornmann nächstens auf Pirsch von Grüppchen zu Grüppchen, um sie zur Ordnung und zum Löschen des Feuers zu bewegen. Schließlich wurden Grillzonen eingerichtet – teilweise an den unattraktivsten Stellen. Die geniale, weil sehr attraktive Holztreppe vor dem Hyatt wird aus drei Gründen von der Jugend genutzt (offiziell sogar „übergenutzt“): weil sie bequem ist, weil sie einen Blick auf den Rhein öffnet und weil sie ein bisschen „off limits“ ist. So einen Platz soll es nach der Planung auch an der Südmole des Zollhafens geben. Die Konflikte mit den Anwohnern scheinen dort vorprogrammiert und die nächste BI steht in den Startlöchern. Auf gemütlichen Plätzen lassen sich eben nicht nur Rentner nieder.

Zurück ins 19. Jahrhundert?

Muss man alles Alte wiederherstellen bzw. nachahmen oder bauen wir neu aus unserer Zeit heraus? An dieser Frage entzünden sich die Diskussionen zwischen Denkmalpflegern, Stadtplanern, Politikern und Bürgern. Einig sind sich alle darin, dass die getaktete Linie der alten Rheintore ein unschätzbares Kapital aus Kreyßigs Erbe darstellt und in ihrer Einzigartigkeit zum Wahrzeichen taugt. Aber der Teufel steckt im Detail. Emil Hädler, emeritierter Architekturprofessor der Hochschule Mainz und Spezialist für die Rekonstruktion und Umnutzung historischer Bauten, hat in Studentenprojekten und mit moderner Vermessungstechnik 3D-Konstruktionszeichnungen der Tore angefertigt. Auf dieser Grundlage können Steinmetzbetriebe die fehlenden Quader originalgetreu nachbilden. Dabei stellte man fest, dass die Tore in ihren zahlreichen Varianten auf einem Baukastenprinzip mit gleichen Grundelementen beruhten. Mehrere Tore sind inzwischen restauriert und erstrahlen in neuem Glanz, dank des Mainzer Denkmal-Netzwerks und großer privater Spenden. Hädler ist erleichtert, dass das Mittelstück des Kaisertors, bekrönt mit dem (noch erhaltenen) preußischen Adler, nicht wiederaufgebaut werden kann, weil sonst die Zufahrt zur Uferebene für LKWs und die Feuerwehr unmöglich würde. „Nicht alles, was man machen kann, muss man auch machen.“ Das Kaisertor hat im Übrigen auch noch eine andere, jüngere Historie: Hier war nach dem Krieg ein Checkpoint einer Notbrücke, die die zwei Besatzungszonen miteinander verband. Das heutige Sammelsurium vor dem Tor mit Parkplätzen, Toilettenanlage und Kiosk scheint für Hädler etwas an die damalige Situation zu erinnern.

Und jetzt?

Was wollen wir denn eigentlich? Ein Postkartenmotiv für die andere Rheinseite? Eine Party- und Festmeile? Eine Naherholungszone für Mainzer Bürger? Einen repräsentativen Eingang zur Stadt, auch für die Gäste der Hotelschiffe? Ein wiedererkennbares Wahrzeichen? Kommerziell vermarktbare Grundstücke als städtische Einnahmequelle? Ein architektonisches Juwel? Oder alles auf einmal? Wie auch immer man diese Fragen beantworten will: Einig sind sich die Fachleute über die Konzeptionslosigkeit der Einzelmaßnahmen, die weder Generalplanungen wie die Ergebnisse des RheinUfer-Forums noch die Vorgabe der historischen Konzepte von Kreyßig berücksichtigen. Es fehlt offenbar am Willen zur gemeinsamen Aktion und Vision. Bau- und Kulturdezernat, Gründezernat, Denkmalpflege, Stadtplanungsamt, Parteien und auch der Oberbürgermeister sind aufgerufen, einen neuen Prozess der Ideenfindung und öffentlichen Diskussion einzuleiten. Wir brauchen ein Rheinufer, das Mainz unverwechselbar macht.

Text Günter Minas Fotos Stephan Dinges