„Ich werde eigentlich jedes Mal gestochen, wenn ich hier bin“, sagt Matthias Hermes und schnickt lässig einen Bienenstachel weg, mit dem eine Biene gerade seinen Finger attackierte. „Daran gewöhnt man sich.“ Am Ortsrand von Marienborn, sportliche 15 Minuten Mainzelbahnfahrt vom Hauptbahnhof entfernt, bietet sich eine Szene wie aus Bullerbü: Im Schatten eines Kirschbaums stehen sechs Beuten (ein etwas barbarischer Fachausdruck für die hölzernen Kästen, die jeweils ein Bienenvolk enthalten). Im Hintergrund nur weite Wiesen, Kastanienbäume und der rheinhessische Sonnenuntergang. Zwischen Stadt und Hinterland fliegen Matthias Hermes „Borner Bienen“, die pro Jahr und Volk zwischen 30 und 35 Kilo Honig abwerfen.
Hermes, der eigentlich als Biologe in der Arzneimittelzulassung arbeitet, imkert schon seit seiner Jugend. Für sein Studium kam er nach Mainz und landete schließlich mit Frau und drei Kindern in Marienborn. Auf eigene Bienen wollten er und seine Familie nicht verzichten. Also stellte Matthias auf einem abgelegenen Gartengrundstück seine Beuten auf. „Es ist einfach gut zu wissen, wo mein Essen herkommt“, sagt er, „ich glaube, den Bezug verliert man heutzutage schnell.“ Die Bienen sind für ihn ein Hobby, nichts, von dem er oder seine Familie leben könnten. Viel Arbeit ist damit verbunden, besonders jetzt im Früh- und Hochsommer. Man muss permanent ein Auge auf die Völker haben, nicht zuletzt wegen der gefährlichen Varroamilbe, die die Brut anfällt und für einen großen Teil des Bienensterbens verantwortlich ist. Um sie zu bekämpfen, werden die Völker regelmäßig „geimpft“. Dazu entfernt man die Drohnenbrut (die männlichen Bienen), die die Milbe bevorzugt anfällt. Außerdem muss der Honig geerntet, geschleudert und abgefüllt werden. Matthias verkauft ihn bei Appel Happel und über seine Website.
Städte haben Potenzial
Doch nicht nur am Stadtrand, auch mitten in der Innenstadt halten sich Bienen gerne auf. Stadtbienen und -imkereien sind seit gut zehn Jahren ein globaler Trend. Andreas Wolf und Florian Haas von der Künstlergruppe „finger“ haben den Stadtbienen-Hype 2006 mitinitiiert, als sie erstmals Bienenvölker im Frankfurter Bahnhofsviertel ansiedelten. „Es fühlte sich an, als würden wir Raubkatzen in der Stadt aussetzen“, erinnert sich Wolf. Mit dem Ergebnis hatte damals niemand gerechnet: Bereits im ersten Jahr warfen die Völker 50 Kilo Honig ab. Nicht nur in Frankfurt erkannte man, dass die Stadtimkerei ein großes Potenzial hat, da die Tierchen hier das ganze Jahr über Futter finden. Balkone, Friedhöfe oder Verkehrsinseln sind teils ertragreicher als pestizidgespritzte Äcker auf dem Land. In Mainz betreuen die beiden unter anderem die Neustadtbienen auf der Grünen Brücke. „Die Umweltbildung ist ein wichtiger Aspekt dieser Projekte“, betont Wolf. Durch den Trend zum urbanen Imkern hat sich die Zusammensetzung der „Imker-Community“ geändert, mehr Akademiker und junge Menschen haben Gefallen daran gefunden. Für viele Stadtbewohner stellen die Bienenkästen einen Ruhepol dar und wirken wie ein Stück Natur in der Großstadt.
Gemischte Bienengruppen
Auch auf dem Dach des Staatstheaters wird geimkert. In luftiger Höhe stehen vier weitere Beuten, die Wolf und Haas mitbetreuen. Nur wenige Meter Luftlinie entfernt blühen dutzende Balkone und Dachterrassen, zwischen den Häusern ragen teils Baumspitzen hervor. Nahrung wird den Theaterbienen also praktisch vor die Haustür geliefert. Die Kästen sind Teil des Projektes „Soziale Stadtimkerei“ der Gesellschaft für psychosoziale Einrichtungen (gpe). Das Projekt unterhält seit etwa einem Jahr 20 Bienenvölker im Stadtgebiet. Bei den wöchentlichen Treffen lernen die Teilnehmer die theoretischen Grundlagen des Imkerns, besuchen Imker in der Umgebung und legen selbst Hand an. In der heutigen Sitzung werden Mittelwände für die Beuten hergestellt. Sie bestehen aus Bienenwachs und imitieren die natürliche Bauweise der Bienen. In weiteren Stunden wird beigebracht, wie man Honig schleudert und welche Arten von Beuten es gibt. Die Kurse bringen jedoch keine fertigen Imker hervor. Vielmehr verfolgen sie das Ziel, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung aus den verschiedensten Milieus zusammenzubringen und für das Thema zu begeistern. „Hier geht es aber nicht bloß um die Bienen“, sagt Teilnehmerin Andrea, die seit Anfang an dabei ist, „sondern auch um den Rückhalt, den uns die Gruppe gibt.“ Die Kurse sind auf ein Jahr ausgelegt, mit Anschlussmöglichkeiten für Teilnehmer, die gerne weiterimkern wollen. Über Führungen, Workshops und den Verkauf des hauseigenen Honigs „Mombasa Royal“ soll sich das „Aktion Mensch“-geförderte Projekt langfristig selbst tragen.
Berufsimker im Gonsbachtal
Im Gonsbachtal, nicht weit der Imkerei, verstecken sich die Bienen von Franz Botens hinter Bäumen und Hecken. Man könnte meinen, man stünde mitten im Wald, würde nicht alle paar Minuten ein Regionalzug die Stille durchbrechen. Es regnet etwas, doch das scheint den Imker nicht zu stören. Ohne Regenjacke oder Schutzanzug öffnet er die Beuten, zieht Rähmchen voller Bienen und Honig heraus. „Ahh, wunderbar, hier kann man direkt probieren“, lädt er uns ein und schwenkt seinen Finger durch den frischen, warmen Honig. Auch Botens setzt auf innerstädtische Bienen und hält weitere Völker auf dem Dach des Hyatt-Hotels. So produziert er etwa zwei Tonnen Bio-zertifizierten Honig pro Jahr, den man im natürlich und bei Denn’s Biomarkt findet. Damit ist er Halb-Berufsimker. Imker, die komplett von ihrem Honig leben können, gibt es nur noch selten. Doch für den gebürtigen Partenheimer sind die Bienen eine Berufung, der er seit 1977 nachgeht. Dabei musste er auch Rückschläge verkraften. Der vorletzte Winter etwa hatte ihn 90 Prozent seiner Völker gekostet. Damals starb ein Drittel der rheinland-pfälzischen Bienen an der Varroamilbe. Die imkerische Erschließung der städtischen Räume sieht Franz Botens daher durchaus positiv, schließlich rücken die Bienen und das Bienensterben so ins Bewusstsein der Menschen. Trotzdem sei Respekt geboten, denn ein gewisses Know-how und viel Hingabe gehören dazu, wenn man sich mal eben ein paar tausend Insekten anschafft. Etwa drei Jahre Imkererfahrung über Imkervereine oder private „Imkerpaten“ werden empfohlen, bevor man eigene Völker anlegt.
Deutschland braucht mehr Bienen. Ohne sie wird aus dem Insekten- schnell ein großflächiges Natursterben. Außerdem sind die Deutschen Weltmeister im Honigkonsum, etwa 80 Prozent davon kommt aus dem Ausland. Auch in dieses Verhältnis könnten die Stadtbienen ein Gleichgewicht bringen: lokal produzierter Honig, weniger Importware aus China oder Südamerika. Eine erste Anlaufstelle sind Imkervereine oder private Einsteigerkurse. Für alle anderen gilt: Support your local beekeeper, buy Meenzer Honig!
Text Ida Schelenz Fotos Domenic Driessen und Stephan Dinges
www.imkerverein-mainz.de
www.bornerbiene.de
www.wowachsundhonigfliessen.gpe-mainz.de