
30 Premieren, davon 14 Uraufführungen, sowie 33 Wiederaufnahmen stehen auf dem Programm der Saison 2025/26 des Staatstheater Mainz – der ersten Spielzeit des neuen Generalmusikdirektors Gabriel Venzago. Gemeinsam mit ihm, der Chefdramaturgin für das Musiktheater, Sonja Westerbeck, dem Chefdramaturgen des Schauspiels, Jörg Vorhaben, und Tanzdirektor Honne Dohrmann stellte Intendant Markus Müller am heutigen Freitag den Spielplan vor. Zu den Premieren und Wiederaufnahmen kommen zahlreiche Lesungen, Liederabende, Diskursformate und Projekte in der Kakadu Bar, das inklusive Grenzenlos Kultur Theaterfestival, das Plug&Play Festival für junge Regie, das tanzmainz festival UPDATE #5 sowie die Konzerte, die in einem eigenen Termin vorgestellt werden.
Mit Veröffentlichung des neuen Programms kann zugleich eine hocherfreuliche Zahl verkündet werden: 6.000 Besucher haben sich – ganz entgegen dem derzeitigen Trend in der Theaterlandschaft – nach aktuellem Stand in der laufenden Spielzeit durch ein Abonnement fest mit dem Staatstheater Mainz verbunden. Das sind fast 2.700 neue Abonnenten und das bedeutet jeweils den bei weitem höchsten Wert in der Geschichte des Hauses.
„Denn wovon lebt der Mensch?“ Das berühmte Zitat aus Bertolt Brechts Die Dreigroschenoper, die als spartenübergreifende Produktion in der kommenden Saison im Großen Haus zu sehen sein wird, wird zum Spielzeitmotiv für das Programm des Staatstheater Mainz 2025/26. In grafisch kippenden Buchstaben stehen diese Worte auf dem Titel des Jahresheftes und verweisen so auf Kipppunkte – ein Begriff der soziologischen Wissenschaft, der einen Moment bezeichnet, in dem eine bislang als gradlinig wahrgenommene Entwicklung die Richtung wechselt. In der Spielzeit 2025/26 geht es um genau diese Kipppunkte. Die Fortschrittsverheißung der Aufklärung, dass die Zukunft immer besser werde als die Gegenwart, gilt nicht mehr und ihr Optimismus klingt schal in unseren spätmodernen Ohren. Und das produziert Verlusterfahrungen, die wir individuell spüren, die der Soziologe Andreas Reckwitz aber auch als gesellschaftliches Phänomen unserer Zeit diagnostiziert. Davon handeln viele der Produktionen, von den Verlierern des Kapitalismus, dem Verlust von Würde und Respekt, dem Verlust von Stücken und Stoffen verfemter Künstler*innen – und natürlich von dem elementaren Verlust, von Tod und Vergänglichkeit. Das Thema ist emotional und, wenn wir es in seinen aktuellen gesellschaftlichen Auswirkungen betrachten, politisch gleichermaßen und die Suche nach empathischen Angeboten, um den Verlustängsten und -erfahrungen zu begegnen, ist dringlich. Denn längst sind sie da, die ideologischen Krisengewinnler*innen, die an die Stelle der zerbröselten Zukunftshoffnung ihre rückwärtsgewandten Utopien setzen. Sie gehen gezielt da hin, wo sie reiche Beute machen können – zu den Verlierenden und den Verlorenen. Und finden viele von ihnen in den sozialen Medien, in deren Echokammern es oft einsam zugeht. Nichts aber spielt Extremist*innen mehr in die Hände als Vereinzelung. „Wir brauchen Orte, die die Strategie der Spaltung strukturell unterlaufen“, betont Markus Müller, „im Theater begegnen wir einander im Gespräch, wir begegnen Figuren und Geschichten. Und wir begegnen vor allem uns selbst im Spiel. Die Demokratiefeinde nutzen künstliche Intelligenz, um zu manipulieren. Wir nutzen künstlerische Intelligenz, um zu emanzipieren. Die erfreulich hohen Besucher- und Abonnementzahlen zeigen uns, dass es danach eine große Sehnsucht gibt, das macht Hoffnung. Wenn wir einander unsere Geschichten erzählen und uns nicht nur unsere Meinung sagen, schaffen wir Nähe. Und Verständnis. Davon lebt der Mensch.“
SCHAUSPIEL
Wirtschaft und Kapitalismus und die damit verbundenen Verlusterfahrungen spielen eine wesentliche Rolle im Schauspielprogramm 2025/26. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, schrieb Bertolt Brecht illusionsfrei in seiner ewig jungen Dreigroschenoper. Jan Neumann wird das Stück im Großen Haus inszenieren, die Musikalische Leitung liegt bei Samuel Hogarth. Auch Dario Fos hochkomische und politische Farce Bezahlt wird nicht! in der Regie von Leonardo Raab und Connemara nach dem Roman von Nicolas Matthieu in einer Inszenierung von Milena Mönch widmen sich dem herausfordernden Thema, das uns dieser Tage angesichts weltweiter ökonomischer Waghalsigkeiten und dadurch sehr konkreter individueller Verlustängste beißend aktuell begegnet. Um den Verlust der Würde jener, die in der Leistungsgesellschaft nicht mehr mithalten können, geht es in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden: „Er darf nicht ins Grab fallen, wie ein alter Hund. Achtung! Achtung schulden wir einem solchen Menschen“, fordert (erfolglos) Willy Lomans Frau Linda. In einer Inszenierung von Claire O’Reilley kommt das Stück im Kleinen Haus auf die Bühne. Der Verlust von Heimat und die Erfahrungen von Migration und Exil stehen im Mittelpunkt der Produktionen Das achte Leben (Für Brilka) von Nino Haratischwili, das Alexander Nerlich inszenieren wird, Anna Seghers Das siebte Kreuz (Regie: Alina Fluck) sowie der Uraufführung von Deirdre Kinahans Refuge als Koproduktion mit Fishamble – The New Play Company, Ireland und in der Regie von Jim Culleton. Alle drei Stücke kommen auf die Bühne des Kleinen Hauses. Auch im justmainz wird eine Uraufführung zu erleben sein: Das Lexikon für alles Mögliche von Milan Gather ist eine Auftragsproduktion des Staatstheaters und hat etwas von dem utopischen Potenzial, das wir so dringend suchen, denn es lädt auf spielerische Weise zum Philosophieren ein und dazu, neu darüber nachzudenken, wer eigentlich bestimmen darf, was möglich ist. Der Autor selbst führt Regie, die Premiere feiern wir auf U17. Und natürlich steht auch wieder ein großes Familienstück auf dem Spielplan – Der kleine Vampir gibt sich die Ehre auf der Bühne des Großen Hauses, die Inszenierung liegt in den bewährten Händen von Jule Kracht, die u.a. bereits den Satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch als Familienstück in Mainz inszeniert hat.
MUSIKTHEATER
Drei Komponist*innen stehen auf dem Programm des Musiktheaters, deren Stimmen während des Nationalsozialismus’ verstummt oder deren Werke (buchstäblich) verloren gingen: Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt entstand 1920 – ein an Wagner und Strauss orientierter Orchesterklang mit impressionistischen Lichtreflexen durchströmt das Werk und am Pult wird Gabriel Venzago, der neue Generalmusikdirektor des Staatstheaters, stehen, die Regie liegt bei Angela Denoke. Und auch bei Der Chronoplan übernimmt Venzago die Musikalische Leitung. Die Komponistin der Oper ist Julia Kerr, deren Tochter Judith Kerr ihre bewegende Emigrationsgeschichte aus Kindersicht in Als Hitler das rosa Kaninchen stahl niederschrieb. Julia Kerr trug auf der Flucht vor den Nationalsozialisten stets ihre Opernpartitur mit sich. Auf dem ruhelosen Weg durch Europa gingen jedoch Teile der Komposition verloren und blieben bis vor einigen Jahren verschollen. Ermöglicht durch aufwendige Rekonstruktionsarbeiten, kommt nun die szenische Uraufführung auf die Bühne des Großen Hauses, Regie führt Lorenzo Fioroni. Auch während des Nationalsozialismus entstand Der Kaiser von Atlantis. Viktor Ullmann schrieb die Oper im Konzentrationslager Theresienstadt und schuf ein eindringliches Beispiel für Mut und Widerstand in Zeiten größter Finsternis. Ana Cuélar Velasco wird die Musiktheater-Parabel im Kleinen Haus inszenieren, die Musikalische Leitung übernimmt Paul-Johannes Kirschner. Neue Erzählweisen bietet die zeitgenössische Oper, ein eindringliches Beispiel hierfür ist Breaking the Waves von Missy Mazzoli nach dem gleichnamigen Erfolgsfilm von Lars von Trier – eine ganz andere Art von Heldin betritt hier die Bühne des Großen Hauses. Wir freuen uns sehr auf zwei besondere Debuts: Dirk Kaftan wird die Produktion musikalisch leiten und der Regisseur Krystian Lada erstmals in Mainz inszenieren. Und auch in einer weiteren großen Produktion erwarten wir eine besondere und ausgewählte Regiehandschrift – Verena Stoiber inszeniert im Großen Haus Giuseppe Verdis Falstaff, am Pult steht Gabriel Venzago. Gleich zwei große Opern für die ganze Familie stehen auf dem Programm im Musiktheater: Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte, ebenfalls unter der Musikalischen Leitung von Gabriel Venzago und in der Regie von Dominik Wilgenbus sowie La Cenerentola (Aschenputtel) von Gioachino Rossini. Stephanie Kuhlmann wird die humorgespickte Version des berühmten Märchens im Großen Haus inszenieren, die Musikalische Leitung liegt bei Samuel Hogarth. Und schließlich fragen wir in einer Oper für die Kleinsten: Wer will ein Stück vom Pustekuchen? So lautet der Titel einer Uraufführung für sehr junge Musiktheatergänger* innen ab 3 Jahren, die sich auf spannende Klangerfahrungen und Theaterzauber zum spielerischen Einstieg freuen dürfen.
TANZMAINZ
Für tanzmainz steht die kommende Saison im Zeichen von rekordverdächtigen sechs Neuproduktionen und acht Wiederaufnahmen – wie gewohnt ausschließlich Uraufführungen, tanzmainz bleibt ein Place of Creation. Den Auftakt macht eine neue Zusammenarbeit mit der Faust-Gewinnerin Rafaële Giovanola. Nach der ausgezeichneten Produktion Sphynx setzt sie sich in Gravity im Kleinen Haus mit den Gesetzen der Schwerkraft auseinander. Wieviel Mut muss sein? Und wann wird aus Mut Übermut? Nora Monsecour ist seit vielen Jahren ein prägendes Ensemblemitglied von tanzmainz. In ihrer Soloarbeit Façade stellt sie sich auf U17 die Frage, was Authentizität und Identität für sie als Transfrau bedeuten. Eine Neuentdeckung für Mainz ist die polnische Choreografin Hanna Bylka-Kanecka. Sie ist eine Spezialistin für das jüngste Publikum ab 3 Jahren und ihre Kreation Mopps dreht sich mit spielerischer Leichtigkeit rund um das Thema der häuslichen Reinigung. Für das Publikum ab 12 Jahren erarbeitet Joan Clevillé, Direktor des Scottish Dance Theatre, mit fünf tanzmainz- Tänzer*innen auf U17 ein Stück darüber, wie es ist, in den Sternen seine Bestimmung zu suchen: Sky Night. Den traditionellen spanischen Tanz Fandango verbindet die Choreografin Paloma Muñoz stark mit ihrer eigenen kulturellen Herkunft. Aber wie passt das zu ihrer Generation, die eher mit Parties und Rave aufgewachsen ist? Premiere ist im Kleinen Haus. Marco da Silva Ferreira begeisterte gerade mit Carcaça auf dem tanzmainz festival. Er ist sicherlich gerade einer der gefragtesten jungen Choreografen in Europa. Umso erfreulicher, dass er sich trotz zahlreicher anderer Angebote für eine Zusammenarbeit mit dem Mainzer Tanzensemble entschieden hat – Sugar Rush wird der Titel seiner Uraufführung sein, zu erleben im Großen Haus. tanzmainz ist längst international zur Marke geworden und auch in der kommenden Spielzeit wird die Compagnie wieder weltweit auf Tour sein – die Einladungen kommen so zahlreich, dass nur etwa die Hälfte der Gastspielangebote tatsächlich auch angenommen werden können. 2025/26 stehen unter anderem Berlin, Oslo, Bratislava, die Kulturhauptstadt Europas Gorizia (I), Zürich und Cannes auf dem Tourplan. Mit Veröffentlichung des Spielplans gibt es ab sofort die Chance, sich mit einem Abonnement für die kommende Saison die eigenen festen Theatermomente zu sichern. Am morgigen Samstag wird um 11 Uhr im Großen Haus das Programm den Abonnent*innen und all jenen, die es werden wollen, vorgestellt.