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So wohnt Mainz: Wohnen im Wasser

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von Ulla Grall
Fotos: Frauke Bönsch

Alfred Schmitt fühlt sich wohl im Inselhaus auf Kisselwörth. „Die Insel ist eine andere Zeitzone“, sagt er, „die Uhren gehen hier langsamer.“ Vor zwölf Jahren hat er das Haus auf der Rheininsel Kisselwörth für sich entdeckt. Es war zu vermieten und er erarbeitete ein Konzept für dessen Erhaltung.

„Mit der Gemeinde Nackenheim habe ich mich geeinigt: Ich übernehme die Kosten für die Arbeiten, die Gemeinde zahlt das Material.“ Ganz einfach ist es nicht, zu dem außergewöhnlichen Wohnsitz zu gelangen: Nur mit dem Boot über den Mühlarm ist das Eiland zu erreichen. Als das sensor- Team mit dem Bewohner verabredet ist, haben wir Glück: Nach wochenlanger Trockenheit hatte es endlich geregnet, der Rheinarm ist „schiffbar“ und der Bootsmotor springt an und tuckert brav.

Wie in einer anderen Welt

Bis zum Anleger sind es nur wenige Meter flussaufwärts, aber schon fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Enten schnattern, ein Schwan zieht gelassen seine Bahn. Die paar Schritte vom Boot durch die Streuobstwiese zum Inselhaus führen hundert Jahre in der Zeit zurück. „1900“ steht über der Haustüre des gelben Backsteinhauses. „Das ist auch so ungefähr der Zustand, in dem sich das Haus nun wieder befindet“, erzählt unser Gastgeber. „Keine Elektrizität, kein fließendes Wasser…“. Stromlos war das Haus nicht immer, der alte Mast steht noch, aber „beim Bau der Schnellstraße entlang des Rheins wurde die Leitung gekappt.“ Zur Beleuchtung gibt es nun Petroleumlampen, in der Küche stehen ein Eisschrank, der mit Stangeneis kühlt, ein Herd mit Flaschengas und ein Holzofen. So werden auch die übrigen Räume beheizt. Das Wasser kommt aus dem eigenen, sechs Meter tiefen Brunnen. Am Handwaschbecken sorgt eine Fußpumpe für den nötigen Wasserdruck, die Toilette wird mit der Gießkanne gespült. „Alles, was ich sonst auf der Insel brauche, muss ich mit dem Boot ´rüber schaffen“, erklärt Schmitt, während er das Gitter vor der Haustür öffnet und die Fensterläden aufstößt. „Die notwendigen Renovierungen dauern darum immer etwas länger als gewöhnlich.“

Arbeit ohne Ende

Beim Rundgang zeigt Schmitt, was alles schon geschafft wurde: Das Haus und der Stall teilweise neu gedeckt. Die abgestürzte Decke in der Küche wurde wieder eingezogen. Im Zimmerchen darüber liegt nun ein neuer Holzfußboden. „Alle anderen Böden im Haus sind noch die original Dielen. Teilweise habe ich sie abgeschliffen, teils aber auch in der ursprünglichen, ochsenblutroten Farbe belassen.“ Vor einem Jahr kamen neue Fenster ins Haus, exakt nach dem Vorbild der alten angefertigt. Mit den weißen Fensterrahmen und den grünen Läden macht das kleine Haus einen einladenden Eindruck und auch im Innern ist für Gemütlichkeit gesorgt. Überall bezeugen Details Schmitts Liebe zu den schönen, alten Dingen. Draußen bleibt aber nach wie vor allerhand Arbeit: „Die Remise wurde im alten Stil wieder aufgebaut. Da haben die Nackenheimer Gemeindearbeiter geholfen.“ Nun wartet sie noch auf den Innenputz. Alte Backsteine liegen aufgeschichtet an der Stelle, wo das ursprüngliche Wohnhaus von etwa 1750 stand. „Das wurde leider abgerissen, aber den Keller würde ich gerne freilegen.“ Auf der Streuobstwiese vorm Haus steht das Gras hoch. „Nach dem 10. Juni werde ich mähen. Vorher ist es aus Naturschutzgründen nicht möglich.“ An jedem Baum hängt ein Nistkasten: „Die Vögel vertilgen alle Schädlinge.“ Abgängige Bäume hat der Naturfreund nachgepflanzt: „Einen Speierling, Birnen; im Herbst kommt vielleicht wieder die BUND-Jugendgruppe zum Äpfel pflücken.“ Einen eigenen „Kisselwörther Inselschnaps“ lässt Schmitt aus seinem Obst brennen. Die Äpfel müssen dazu natürlich mit dem Boot transportiert werden, so wie jedes Brett und jeder Nagel. Alles wirkt idyllisch, aber die Idylle macht ganz schön viel Mühe!

In Kontakt mit der Natur

„Beim letzten großen Hochwasser standen die Rehe bei mir vor der Haustür“, lacht Schmitt. „Das Gehöft ist der höchstgelegene Punkt, alles Übrige war überschwemmt.“ Er zeigt Bilder, die er mit der Infrarotkamera aufgenommen hat: „Regelmäßig kommt der Fuchs vorbei und ab und zu ein Wildschwein.“ Eine Bache lebt mit ihren Frischlingen auf der Insel. Dazu kommt ein Nutria, Bisamratten und Dachse. Die Ufer sind ein Paradies für Zwergtaucher und Eisvögel. Es gibt Fledermäuse, Gartenschläfer, Marder „und seit vier Jahren jagt hier auch ein großer Uhu“. Die Insel ist Natur- und Landschaftsschutzgebiet und als Fauna-Flora- Habitat ausgewiesenes Europa-Reservat. Fremden ist der Zutritt untersagt. Nur an den Sommerwochenenden betreibt die DLRG-Ortsgruppe die kleine Fähre. Angemeldete Besuchergruppen können übersetzen und den Rheinstrand nutzen. Menschen mit Hunden sollten sich jedoch unbedingt fernhalten, selbst die Jagdpächter nehmen ihre Hunde meist nicht auf die Insel mit. Alfred Schmitt ist eine unerschöpfliche Quelle für die Historie der Insel und Geschichten und Anekdoten, die sich darum ranken. Wäre er nicht gewesen, gäbe es das Inselhaus heute sicher nicht mehr. Also ist er überzeugt: „Das Haus hat mich gerufen.“ Es mitsamt seiner Umgebung zu erhalten hat er sich zur Aufgabe gemacht. Zeit spielt dabei keine Rolle, sie vergeht hier langsamer. Der Insel und dem Inselhaus haftet etwas Magisches an. „Ich genieße das ganz bewusst“, sagt Schmitt. Und er ist überzeugt: „Wenn ich die Natur hier betrachte, weiß ich, dass eigentlich ich der Gast bin.“ www.kisselwörth.de www.nackenheim.dlrg.de