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So wohnt Mainz: Wohndorf-Gemeinschaft in Kastel

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von Ulla Grall und Jonas Otte (Fotos):

„Die Lampen wollen wir jetzt noch zu Ende machen“, sagt Arno Carbach nach dem Essen im Gemeinschaftsraum. Einmal im Monat treffen sich die Einwohner der Kasteller Wohndorf-Gemeinschaft zum Arbeitseinsatz, unterbrochen vom Mittagessen für alle.

 

Gekocht hat heute Sabine Strüwer. Jeder tut das, was er kann, die Absprachen funktionieren. Eine Hausordnung braucht es nicht. Heute sind der Gemeinschaftsgarten und die Lampen an der Zufahrt dran. Arno Carbach gräbt die überwachsenen Betonsockel aus. Für neue LED-Leuchten muss er weitere Löcher in den Beton bohren. Das Werkzeug dafür ist vorhanden. Es wurde gemeinschaftlich angeschafft, ebenso wie der Rasenmäher. Alles in der Werkstatt, deren Nutzung jedem im Wohndorf offen steht. Ein anderer Bewohner, Ralf Reiter, versteht was vom Baumschnitt. „Ich mache das seit zwanzig Jahren, die Bäume leben immer noch“, lacht er. Natürlich gibt es immer was zu tun. Und jeder packt mit an. Denn was es hier ebenfalls nicht gibt, ist ein Hausmeister.

Ökologisch sinnvoll

Acht Einfamilien-Reihenhäuser, jeweils 140 qm auf drei Ebenen, sind im Karree um ein „Forum“ gruppiert. Erster Stock und Gauben sind in Holzständer- Bauweise gefertigt, der Rest aus Kalksandstein gemauert und gut isoliert. Die vier „Nordhäuser“ haben eine Etage mehr, das sorgt für besseres Licht in den Räumen. Außerdem bergen deren Untergeschosse Gemeinschaftsräume wie Werkstatt und Waschküche. Sogar ein Fotolabor war geplant. Das wird aber nun als Lagerraum für die gemeinschaftlichen Aktenordner genutzt.

Zu jedem der Häuser gehört ein kleiner Verschlag anstelle eines Kellers. Geheizt wird mit Erdgas, eine Photovoltaik-Anlage produziert Strom, Sonnenkollektoren sorgen für warmes Wasser. Jedes Haus hat eine Terrasse, davor einen kleinen Garten. Außerdem gibt es auf dem insgesamt 2.500 qm großen Grundstück einen sehr großen Gemeinschaftsgarten. Das alles wirkt bestens durchdacht, geplant vom Architekturbüro „Planquadrat“. „Es war ihr Anfangsprojekt und die sind immer noch ein bisschen stolz darauf“, verrät Gabi Müller.

Wie ein Marktplatz

Betritt man die Anlage, steht man im großzügigen überdachten Innenhof mit hohen Grünpflanzen, Sofaecke und einem langen Tisch. Das wirkt einladend wie ein kleiner Marktplatz im Süden – ein Dorfmittelpunkt en miniature. „In der Zeit, als die Kinder klein waren, war dies hier ein geschützter Platz zum Spielen“, erinnert sich Müller. Von hier aus führen die Eingangstüren in die einzelnen Häuser und man sieht: Das Leben im Haus zieht sich mit Schuhregalen, Wäscheständern oder Bank neben der Haustür auch in den Innenhof hinaus.

„Hier begegnet man sich.“ Antje Rohde-Carbach fühlt sich wohl in ihrem Haus und in der Gemeinschaft. Die variable Planung lässt auch nachträgliche Änderungen in der Nutzung zu und könnte sogar das Leben im Alter möglich erscheinen lassen. „Die meisten der Häuser kann man trennen und zwei kleinere Wohneinheiten daraus machen“, so Müller. Die Terrasse im obersten Stock wird relativ wenig genutzt, jedoch „im nächsten Jahr müssen wir die Bodenplanken erneuern“, sagt Müller. „Das wird wieder ein größerer gemeinsamer Arbeitseinsatz.“

Bunte Mischung

In der Bauphase wurde vieles gemeinsam gemacht. Es war immer einer da, der sich auskannte. „Es ist sinnvoll, zusammenzuarbeiten“, stellt Gabi Müller fest. Die Eigentümer sind Lehrer, Erzieher, Energieberater, Ökotrophologen, Ingenieure und Betriebswirte… eine bunte Mischung, die sich vor mehr als zwanzig Jahren zusammengefunden hat, um gemeinsam zu bauen. Drei Familien bildeten die ursprüngliche Planungsgruppe. „Als es in die Bauphase ging, waren alle dabei, die heute noch hier leben.“ Vieles wurde in dieser Zeit gemeinsam auf die Beine gestellt. Davon, dass ökologische Ideen einbezogen wurden, zeugen auch die verwendeten Farben, Dämmung und Regenwasser- Zisternen.

Änderungen im Lauf der Zeit

Nur eine Familie ist bisher weggezogen – aus beruflichen Gründen – und hat vermietet. Andere haben untervermietet. „Wer jetzt hier einzieht, stammt praktisch aus der Generation nach uns“, beschreibt Müller die Altersstruktur. „Hier waren mal 15 Kinder. Für die war das immer ein bisschen wie Bullerbü.“ Heute leben auf dem Areal einundzwanzig Erwachsene und nur noch ein Kind, die Tochter von Gabi und Ralph Müller, mit 15 Jahren aus dem „Kinderalter“ aber eigentlich auch schon raus.

„In 20 Jahren hat sich viel geändert“, sagt Gabi Müller. Doch die Gemeinschaft hat Bestand. „Es geht von Nachbarschaft bis Freundschaft. Manche sieht man öfter, manche seltener.“ Und so wird es nicht ausbleiben, dass im Innenhof bald wieder Kinderwagen stehen und der Platz zwischen den Häusern zum Spielplatz wird. „Wir haben zusammen geplant, zusammen gebaut und sind zusammen älter geworden“, sagt Ralf Reiter, „geteiltes Leid ist manchmal halbes Leid.“ Bereut hat die Teilnahme an diesem Lebensprojekt jedenfalls keiner der Beteiligten.