„Man müsste doch mal weg“, dachte Karen Ihm immer mal wieder. Aber die Diplom-Pädagogin blieb in Mainz, ist hier geboren, hat hier studiert und hier auch ihren ersten Job gefunden, den sie immer noch ausübt. Irgendwann vor 30 Jahren tauchte Volker Wirges auf, da war sie noch im Abi-Stress. In der WG im oberen Stockwerk war Party, er wollte eigentlich nur mal kurz telefonieren. Und von da an blieben sie der Stadt gemeinsam treu – und sich auch. Wie Karen hatte Volker gleich mit der ersten Bewerbung nach dem Studium Glück. Und wie sie blieb er dabei. Karen arbeitet seit 1991 bei der Stiftung Lesen und entwickelt Programme zur Förderung der Lesekompetenz – mit Druckwerken, Tagungen, Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Erzieher und auch modernen Medien wie Lesen- Lernen-Apps. Eigentlich möchte sie ihre Arbeit überflüssig machen. Aber angesichts von 20 Prozent der 14-jährigen, denen es laut Pisa-Studie an ausreichender Lesefähigkeit mangelt, und ebenfalls 20 Prozent der Kita-Kinder mit Sprachproblemen ist das noch ein langer Weg. Auf dem helfen der Stiftung auch prominente „Lesebotschafter“ und Kampagnen mit Unternehmen. „Man muss die Kids halt dort abholen, wo man sie erreicht.“ Der jährliche bundesweite Vorlesetag im Herbst gehört auch dazu.
Musik oder Design?
Volker hat, wie er nicht ohne Ironie sagt, „immer sehr viel Bohai um ein bisschen Musik gemacht“. Denn er ist kein Profimusiker, wie man vielleicht vermuten mag, wenn man ihn inmitten seiner vielen Gitarren sieht. Er besitzt um die zwanzig. Seit frühester Jugend spielt er, hat sich aber das Musikstudium abgeschminkt und ist stattdessen Designer geworden. Es hat auch eine Band gegeben und zeitweilig ein eigenes Tonstudio im Keller der ehemaligen Expressguthalle am Bahnhof, aber ebenso gern spielt er allein. Welche Richtung? „Hintergrundbeschallung“ scherzt er, und Karen ergänzt etwas ernsthafter „ambient music“. „Man kann mich irgendwo hinsetzen, und dann spiele ich vor mich hin, mit ein bisschen elektronischer Unterstützung.“ Das Studio lag damals auf halbem Weg zur Arbeit, und die bestand für ihn beim SWF (heute SWR) in der Gestaltung von Fernsehgrafiken, Animationen, Plakaten bis hin zu ganzen Studiodekorationen und Innenarchitektur. Freier Künstler wollte Volker nie werden, aber auch mit Werbung und Marketing hatte er nichts am Hut. Sein erster Job nach der FH Mainz blieb auch der einzige. Denn bei aller Regelmäßigkeit gab es immer wieder neue Aufgaben und Herausforderungen, schon allein infolge des technischen Wandels.
Die Liebe zur Neustadt
Die Treue zum Arbeitgeber, zur Stadt und zum Lebenspartner ist nicht das einzige Element der Kontinuität im Leben der beiden. Sie sind nämlich auch der Mainzer Neustadt seit 35 Jahren treu geblieben. „Die Neustadt hat uns sozialisiert.“ Die Wohnung mit Weitblick in der Wallaustraße haben sie seit 9 Jahren, und davor liegen 20 Jahre im ersten Stock gegenüber dem „Krokodil“. „Vom Balkon aus fragten wir Herbert, was es heute zu essen gibt und bestellten dann. Zehn Minuten später brachten wir das Tablett rauf in die Wohnung und das Geschirr später wieder runter.“ Aber auch die Kneipe selbst wurde in diesen Jahren zum zweiten Wohnzimmer. Andere Luft schnuppern Karen und Volker gern im Hunsrück. Dort haben sie ein Haus mit Platz und Freiraum – sehen aber auch Ähnlichkeiten zur Neustadt: im dörflichen Charakter und den vielen kleinen kulturellen und anderen Initiativen. Ab und zu mal reist das Paar in die Ferne („Die Kapverden haben uns sehr beeindruckt“), und häufig geht es nach Brandenburg zu Freunden und Verwandten – darunter auch ehemalige Mainzer. Gemeinsame Aktivitäten? Viel Kulturelles Entdecken, und Kochen, wenn die Sonne am frühen Abend in die Küche scheint. Karen ist noch gut beschäftigt, aber Volker sucht ein Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wieder nach etwas, wo er sich aktiv einbringen kann, vielleicht rund um das Thema Umwelt – aber natürlich in Mainz.
Minas
Fotos: Domenic Driessen