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So wohnt Mainz: Mit Schere, Charme und Mops

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von Monica Bege
Fotos: Katharina Dubno

Es ist einer der Hinterhöfe, die, hat man sie durchschritten, man getrost wieder vergessen kann. Ein wenig unaufgeräumt und kein Idyll zum Verweilen. Halb verdeckt von einer Mauerkante versteckt sich der Eingang zum Hinterhaus. Dort warten abgetretene graue Betonstufen und ein verziertes Treppengeländer. Ihre besseren Zeiten sind Vergangenheit, aber das ist unwichtig. Den Weg nach oben begleiten Bilder, die auf der zweifarbig getünchten Wand hängen. Ihre seltsam fantastischen Motive verströmen Mystik. Dann öffnet sich im zweiten Stock eine Tür. „Willkommen in meiner Welt“, bittet Ilona Lesnaya mit südrussischem Akzent und flammend roter Haarmähne herein. Um ihr Dynamik und Charme zu bescheinigen, bedarf es nicht mehr als diese vier Worte.

Morgenstille nach der langen Nacht

Ilona ist studierte Künstlerin und Designerin. Sie zieht ihrer gendergerecht formulierten Berufsbezeichnung allerdings das Maskulinum vor. „Ich bin Künstler und Designer“, sagt sie entschieden. „Alles andere klingt in meinen Ohren niedlich und unprofessionell.“ Für ihre zwölfjährige Ausbildung auf Kunstschule und Universität hatte sie Talent und Beharrlichkeit mit im Gepäck, denn die Anerkennung ihrer Malerei musste sie sich zunächst in der von Machos belegten russischen Kunstszene hart erkämpfen. Das macht selbstbewusst. Seit vierzehn Jahren lebt und arbeitet Ilona in Deutschland. Zunächst zog es sie nach Wiesbaden, wo auch ihr erwachsener Sohn lebt. Vor sechs Jahren verlagerte sie sich dann mit einer kleinen Wohnung nach Mainz und mit ihrem Atelier in die Hafenstraße. „Man muss sich die Distanz zwischen Kunst und normalem Leben bewahren. Verschmilzt alles miteinander, versumpft der ganze Mensch“, Ilona lacht, meint es aber ernst. Temporäre Verschmelzungen kommen dennoch vor. Beanspruchen Projektarbeiten einen Teil der Nacht, wird ihr Atelier zur Part-Time-Bleibe. „Gestern habe ich auch hier geschlafen“, verrät sie und deutet auf ein einfaches Bett im separaten Raum. In Ruhe und jederzeit arbeiten zu können ist ihr wichtigstes Gut. Alles Übrige wird zur Nebensache. Am Morgen ein Frühstück in der kleinen kunterbunt überladenen Küchenecke und langsam mit ein paar Tassen Kaffee wach werden. Stille. Niemand spricht. So fängt ein Tag gut an. Ein geselliges Ende findet er, wenn der Mainzer Freundeskreis am Abend zu Besuch kommt. Die Staffeleien weichen einem gedeckten Tisch und dann kann es im ehemaligen Polizeiarchiv wieder einmal spät werden.

Kunst braucht Emotion und Mops

Es begann 1970, als Ilona als Dreijährige in Großvaters Garage eine Holzschachtel mit Ölfarben fand. Der Geruch ließ sie vor Aufregung zittern und weinen. „Es war wie ein Angriff auf meine innersten Gefühle“, versucht Ilona das Empfundene von damals zu beschreiben. Bald darauf schnitt sie aus Postkarten Figuren aus, ordnete sie an. Es war wie ein Spiel, ein Zeitvertreib. Die Erkenntnis, dass sie dieses Spiel gut beherrscht, wurde ihr erst vor wenigen Jahren richtig bewusst. „Mit dem Pinsel kann ich ein Bild so gestalten, wie ich es haben möchte. Beim Collagieren muss ich mich auf die Suche nach passenden Teilen machen. Ohne die Stimmigkeit von Farbe, Belichtung und Größe fehlen der Komposition am Ende Harmonie und Ästhetik“, beschreibt sie den Anspruch ihrer wieder- entdeckten Technik. Magazine durchblättern, ausschneiden, anordnen – die Grenzen zwischen Aufgeklebtem und Gemaltem fließen ineinander. Ihre Werke können bizarr, bunt und brutal, gleichermaßen aber auch schön und zärtlich sein. Riesige Augen, übertrieben dicke Lippen und Entfremdungen – sie hat ihren eigenen Stil entwickelt, schafft es, ihren Humor und hintergründigen Sarkasmus auf die Leinwand zu übertragen. Bilder sind für Ilona Fenster in eine Parallelwelt. Wischt man dort das oberflächlich Profane beiseite, kommt das Sublime zum Vorschein. „Es gibt immer mehrere Dimensionen zu entdecken. Sie regen den Betrachter zum Nachdenken an.“ Nein, Kitsch sei das nicht, auch nicht Parodie, sagt Ilona. Es ist Groteske. Ein Teil ihrer Groteske wird derzeit in Wien ausgestellt. Es läuft gut, aber prinzipiell hat sie das Warten auf die Gunst der Galeristen satt. Mit ihrem frisch eröffneten Wiesbadener Show-Room ist sie zukünftig unabhängig. Präsentieren möchte sie hier neben anderen Künstlern auch Schriftsteller und Poeten. Aber nur, solange der Künstler auch wirklich Künstler ist. In vielen ihrer Werke taucht ein Mops auf – ein Hund, der alleine mit seiner naturgegebenen Anatomie schmunzelnde Sympathie auslöst. Das sei ihr Hector, er bedeute ihr sehr viel, lässt Ilona wissen. Als positives Element verbinde er die Erzählungen ihrer Bilder. Negativ geladene Bilder sind nicht gut, denn diese Energie übertrage sich auf den Betrachter. Davon ist Ilona Lesnaya absolut überzeugt.