„Draußen habe ich so viel Gewusel und bin so vielen Eindrücken ausgesetzt, da brauche ich klare Strukturen zuhause“ – und viel „Gruscht“ liegt wirklich nicht rum bei Stadträtin Jana Schneiß in der Boppstraße (Neustadt). Das Bücherregal ist noch der bunteste Farbfleck in ihren drei Zimmern im vierten Stock. Ansonsten Ruhe im Blickfeld, beobachtet von einigen Kuschelschafen auf dem Bett, und alles kühl in grau und weiß. Die mit Wurst- und Käsemotiven dekorierten Küchenfliesen vom Vormieter nervten sie und mussten weg. Die Unruhe kommt heute von der Straße: Marschmusik vom Kindermaskenzug begleitet uns während des Interviews an diesem Samstagnachmittag. Ob sie deswegen die Wohnung mit Fastnachtsblick genommen hat? Nein, es sollte einfach die Boppstraße sein. Die ist für sie noch nicht so gentrifiziert wie andere Plätze ihrer geliebten Neustadt, war immer schon ein bisschen „Schmuddelkind“, aber mit Flair und aufgeschlossenen Nachbarn. Darüber, dass die Straße jetzt umgestaltet wird, freut sie sich – trotz monatelangen Baulärms bereits ab sieben Uhr morgens. „Alle wissen, dass es am Ende besser wird. Kaum einer beschwert sich.“ Mit den Arbeitern vor der Haustür hält sie auch schon mal ein Schwätzchen. Und wenn es schöner wird, dann gibt es weniger Müll auf der Straße. Das hat Jana selbst schon erfahren, als sie früher Blumen um die Bäumchen am Straßenrand gepflanzt hatte. Plötzlich lud dort niemand mehr irgendwas ab.
Politisches Gewusel
Mit Sorge erlebt Jana Schneiß allerdings, dass mit der Aufwertung des Viertels auch die Mieten steigen. Dass sie selbst als gutverdienender Single mit einer eigentlich zu großen Wohnung dazu beiträgt, ist ihr bewusst. Die Zollhafen- Bebauung gehört für ihr Gefühl übrigens nicht mehr zur Neustadt. Da kennt sie bisher niemanden, und sie erlebt das Gelände „wie einen surrealen Freizeitpark, in dem moderne Städte nachgebaut werden.“ Von der geplanten Kulturbäckerei in der Rheinallee erhofft sie sich einen Beitrag zum Zusammenhalt des Stadtteils, auch für die nördliche Hälfte. Jana Schneiß hat viel „Gewusel“ um sich, zumindest tagsüber. Seit der Kommunalwahl sitzt sie für die SPD im Stadtrat, ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Mitglied in mehreren Ausschüssen. Frauen, Jugend und Integration sind ihre Themen. Sie genießt die politische Arbeit, weiß aber auch, dass sie mindestens die Hälfte des Monats nicht vor 10 Uhr abends zuhause ist. Bei aller Vorbereitungsarbeit und vielen Terminen versucht sie, ihre ursprünglichen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Ach ja: Juso-Vorsitzende in Mainz ist sie auch noch und versteht sich als „Kandidatin der jungen Leute in der SPD“.
Noch mehr Gewusel
Janas Job im Wissenschaftsministerium passt zu ihren politischen Interessen. Dort arbeitet sie als Referentin und kümmert sich um Religionsgemeinschaften und die Studierendenwerke des Landes. Dass sie bei all dem Engagement noch Zeit für Hobbies findet, erwartet man nicht. Seit mehr als drei Jahren nimmt sie Geigenunterricht. Das Instrument hat ihr die Oma geschenkt. Dazu kommt noch das E-Piano, beides privat im stillen Kämmerlein und ohne öffentliche Auftritte, dafür mit Ausdauer. Dazu fährt sie leidenschaftlich gern Fahrrad, am liebsten 60-km-Touren mit ihrem Freund. Nach vielen Umzügen hat die Hunsrückerin in der Boppstraße nun ihren Ruhepol gefunden. So lange Zeit – fast fünf Jahre – hat sie noch nie am selben Platz gewohnt. Ein Zwischenspiel in Bonn mit der Idee, statt Germanistik und Politik Jura zu studieren, endete eher schnell, und es blieb bei Mainz. Gäste für den Logenplatz mit Blick auf die vierfarbbunten Umzüge hat Jana bisher nicht eingeladen. Die Mainzer Fastnacht musste sie sich erst erobern und ist immer noch etwas zwiegespalten. Klamauk und dumme Witze mag sie gar nicht, liebt aber den politischen Anteil der Sitzungen in Mainz – wen wundert’s.
Minas
Fotos: Stephan Dinges