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So wohnt Mainz: Gelebte „Indegration“ im Bleichenviertel

Die Fremdsprachen waren es, die ein indisch-deutsches Ehepaar vor über 40 Jahren zusammengeführt hat, für beide fern ihrer Heimat. Marga Buhrmann, Anglistikstudentin aus Mainz, kam durch ein Stipendium nach Ohio. Kumad Singh, der in Indien Geologie studiert hatte, entschied sich für Deutsch als Pflichtfach in der Promotion, ging aber erst einmal nach Cincinnati. Bei seiner deutschen Vermieterin lernte er Kohlrouladen und Salzkartoffeln kennen. Seine Idee war, Amerika im Öl- oder Bergbaugeschäft zu erobern, doch alles kam anders: Marga! Zurück in Deutschland, machte sie ihr Staatsexamen. Kumad kam über Weihnachten 1972 zu Besuch – und blieb, mit nur zwei Koffern. Den Autoverkauf und die Wohnungsauflösung in den USA überließ er seinem Bruder.

Deutsch-indische Hochzeit

Schnell wurde geheiratet (Standesbeamter: „Haben Sie sich das auch gut überlegt, Fräulein Buhrmann?“). An die Jobsuche schloss sich eine steile Karriere im internationalen Versicherungsgeschäft an. In Düsseldorf nahm man den Inder unter der Bedingung, dass er richtig deutsch lernte. An eine seiner ersten Übersetzungen erinnert er sich: „Wir schlagen vor…“ wurde zu „We hit forward…“ In wenigen Monaten aber war er fit. Es folgten verantwortungsvolle Posten in Deutschland, der Schweiz und Hongkong. Marga zog immer mit, zuerst als Lehrerin an öffentlichen, dann an privaten Schulen und in Organisationen des internationalen Schüleraustauschs. Wie selbstverständlich setzte sich die Internationalität der Familie bei den beiden Söhnen fort: Kindergarten in Frankfurt, bilinguale Schule in Köln (tunlichst mit Französisch, denn Englisch spricht ja schon der Vater), Abitur in der Schweiz bzw. Hongkong, dazwischen als Austauschschüler in Thailand und Japan, und die Schwiegertöchter kommen heute aus Belgien und Spanien. Alle Enkelkinder sprechen mehrere Sprachen.

Zeit in Indien

Immer schon hatte es dabei auch den Plan gegeben, eine Zeit in Indien zu verbringen. In der Le Corbusier Stadt Chandigarh begann dieser neue Lebensabschnitt auch tatsächlich, zusammen mit der Erfindung des „Global Kids Clubs“. In kleinen Gruppen lernen hier Kinder Fremdsprachen im Rollenspiel und dabei Sozialkompetenz und Selbstvertrauen gleich mit. Marga als Pädagogin und Kumad als Manager führten das neue Lernkonzept in Schulen ein und setzten es später in Zusammenarbeit mit der Walmart-Kette in Deutschland fort. Praktischer Sprachunterricht für Kleinkinder zwischen Supermarkt-Regalen – ungewöhnlich, aber erfolgreich. Doch was hat ein so umtriebiges Paar schließlich nach Mainz geführt? Irgendwann kam die Zeit, da wollten beide zurück, und der Makler gab den Ausschlag für die Rheinstadt. Das Ehepaar kam Merkzettel mit Hindi-Vokabeln aus dem Unterricht 2002 morgens vom Flughafen Frankfurt an und überbrückte die Wartezeit mit einem Coffee to go am Liebfrauenplatz. Sonne, Vogelgezwitscher, der Dom und der Markt – beiden war klar: „Hier bleiben wir“. Seit den siebziger Jahren hatte sich vieles verändert, und so war es anfangs nicht einfach mit neuen Kontakten.

Aktivität

Aber die Singhs wären nicht die Singhs, wenn sie nicht voller Elan auch Mainz erobert hätten. Mit dem Engagement für „Fremde werden Freunde“, einem Literaturkreis, der Mitwirkung im Integrationsbeirat, einem „English roundtable“ und zahlreichen anderen Aktivitäten sind sie voll ausgelastet. Nicht zuletzt ihr internationales Haus mit 5 WGs, das sie 2007 in der Hinteren Bleiche bauen ließen, hält sie auf in Trab. Eine für alle nutzbare große Terrasse und ein Clubraum mit Küche sorgen hier für Begegnungen. Die Hausbewohner können feiern, Hindi-Kurse belegen, selbst die indischen Nationalfeiertage werden begangen, jeweils mit einem politisch-kulturellen Vortrag und gemeinsamem Kochen. Seit Jahren sind Marga und Kumad auch Gastgeber bei der Kunstaktion „…3xklingeln!“. „Deutschland hat mir alle Chancen gegeben, und ich habe es hier vom ersten Tag an sehr gut gehabt“, sagt Kumad Singh. „Sprache muss keine Barriere sein, doch man muss es wollen.“ Marga sieht es aus der umgekehrten Perspektive: „Ich bin auf allen unseren Stationen menschlich und beruflich gewachsen. In Deutschland hätte ich mir vieles nicht zugetraut.“

Text Minas Fotos Frauke Bönsch