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So wohnt Mainz: Die Wohnung des Mainzer Stadtschreibers


von Moritz Eisenach, Fotos: Frauke Bönsch

Sonnenstrahlen fallen durch das Dachfenster; darunter sitzt im Ledersessel Peter Stamm, der neue Stadtschreiber von Mainz. Fast etwas schüchtern beantwortet er die Fragen der versammelten Presse, ist in seinen Antworten feinsinnig und humorvoll. Und überrascht gelegentlich: Nicht Mainz 05 oder die Fastnacht seien seine ersten Gedanken zu Mainz, sondern die Mainzelmännchen.
Dies gefällt den anwesenden ZDF-Vertretern. Der in Scherzingen geborene Schweizer sagt: „Die Mainzer sind offen und immer bereit zu lachen. Wir Schweizer sind viel diplomatischer.“ Dann fragt er, ob man ein Stadtschreiber-Schild bekomme, mit dem man dann ein Jahr lang herumlaufe. Wir lachen brav.

Viel Raum für wenig Zeit
Für den Journalist und Schriftsteller Stamm ist dieser sonnige Wintertag der erste in seiner neuen Wohnung, der Stadtschreiber-Wohnung. Er ist gerade erst angekommen und wirkt (noch) wie ein Gast in den eigenen vier Wänden. Die Wohnung liegt im Dachgeschoss des Hauses „Zum Römischen Kaiser“, ein Renaissancebauwerk aus dem 17. Jahrhundert, das heute Teile des Gutenberg- Museums beherbergt. Die Wohnung ist Teil des Stadtschreiber-Literaturpreises, den das ZDF und 3sat zusammen mit der Stadt Mainz ausloben. Neben einem Preisgeld von 12.500 Euro und der Aufgabe, eine Dokumentation für das ZDF produzieren zu dürfen, bekommt seit 1985 jeder Stadtschreiber diese Dachgeschoss-Wohnung kostenlos zur Verfügung gestellt. Für ein Jahr, inklusive Nebenkosten. „Ich werde in den ersten Monaten kaum hier sein“, sagt Stamm. Das liege an Jobs im Ausland, die er vereinbart habe, bevor er als Mainzer Stadtschreiber auserkoren wurde. „Es hängt aber auch von der Arbeit an der ZDF-Produktion ab.“ Welches Thema er mit seinem Film behandeln wolle, wisse er noch nicht. „Vielleicht etwas über Malerei.“ Jedenfalls scheint es, als werde sich am Gast-Sein des Stadtschreibers in seiner eigenen Wohnung auf längere Sicht nichts ändern. Das war übrigens bei Stamms Vorgängern Ingo Schulze (2011) und Kathrin Röggla (2012) ähnlich, auch sie waren während ihrer „Amtszeit“ selten hier anzutreffen.

Gratis wohnen in historischer Lage
Früher diente die Wohnung als Speicher der benachbarten, ehemaligen Direktorenwohnung. Dieser Speicher ist heute mit Parkett und hellem Anstrich versehen und wurde so zur Stadtschreiber- Wohnung umfunktioniert; zu einem attraktiven 65 Quadratmeter großen und modernen Apartment in bester Lage – in einem historisch bedeutenden Gebäude. Gehobene, aber schlicht gestaltete Holzund Ledermöbel veredeln den Raum. Dazu kommen einige Kunstwerke aus der städtischen Kunstsammlung, dem Landesmuseum und Stadtarchiv. Die Einrichtung ausgewählt hat die zuständige ZDF-Redaktion gemeinsam mit dem städtischen Kulturamt. Es ist eine ansprechende Wohnung, doch ihr fehlt das Persönliche. Es gibt keine Familienfotos, keinen Kalender mit markierten Geburtstagen, keinen Wäschekorb und keine Pflanzen, beinahe wie in einem Hotel. Passend, denn das Haus „Zum Römischen Kaiser“ diente lange Zeit auch als solches. Bleibt hier jeder Bewohner also nur Gast? Stadt-Sprecher Ralf Peterhanwahr sieht das nicht so. Er weiß: „Die meisten Stadtschreiber haben die Wohnung dauerhaft genutzt.“ Die vergangenen beiden eher sporadischen Nutzer seien „in der Gesamtschau der 29 Jahre eher eine absolute Ausnahme, die nur auffällt, weil es ausgerechnet die letzten zwei und der aktuelle Stadtschreiber sind.“ Ilija Trojanow (Stadtschreiber 2007) habe sogar seinen Wohnsitz in der Stadtschreiber-Wohnung angemeldet. Und wenn man genau hinsieht, entdeckt man wenige individuelle Gegenstände. Wie zum Beispiel eine seltsam geknickte Lampe, die so gar nicht zu der übrigen Einrichtung passen will. „Die markante Leselampe mit dem quergestellten Schirm haben wir auf Wunsch von Urs Widmer und Katja Lange-Müller erhalten“, sagt Peterhanwahr.

Mainzer Nächte sind bunt
Als Peter Stamm den Kleiderschrank öffnet, kullern ein paar leere Sekt- und Weinflaschen heraus und langsam wird klar: Die Wohnung hat vielleicht doch mehr zu erzählen, als es der erste Eindruck vermuten lässt. Stamm war noch nie hier, er ist also unverdächtig. Doch „Anekdoten gibt es viele“, sagt Peterhanwahr und weiß von „reichlich rauschenden Partys“. Ein paar Bürger hätten zum Beispiel Josef Haslinger (Stadtschreiber 2010) vom Mainzer Marktfrühstück direkt zu einem 05-Heimspiel „entführt“. „Er kam dann leicht angesäuselt heim“, erzählt Peterhanwahr, „und fand es insgesamt großartig.“ So also kann der erste Eindruck täuschen. Denn in einer Stadt, in der quasi jeder gerne lacht, wird man letztendlich schneller heimisch als man denkt. Vielleicht erlebt daher auch Stamm noch die eine oder andere Anekdote in seiner neuen Wohnung. Und vielleicht – oder besser gesagt höchstwahrscheinlich – ist er in einem Jahr ein bisschen weniger Gast als an diesem Tag.