Dezember 1970. Der Stuttgarter Künstler Alfred Tme will sich entscheiden: Entweder wir kaufen ein Grundstück oder ein Auto, das Spaß macht. Ein „Alltagsauto“ hatte die Familie schon. Es wurde ein „Zuffenhausener“: Der Porsche 911 Targa mit der Fahrgestellnummer 9111111111114.
Ein Traum in der Modefarbe der 70er: Knallorange. Tochter Ina war damals vier, und wenn es zum Ausflug auf die Landstraße ging, schlief sie auf den umgelegten Rücksitzen. Da gab es bisweilen Revierkämpfe mit dem großen Haustier der Familie. Aber der Afghanische Windhund hatte unbändige Lust daran, sich im Dreck zu wälzen. Und wenn der Langhaarige mal besonders schmutzig war, verschwand er zur Heimfahrt bisweilen im Kofferraum (vorn!), schlank wie er war. Denn das Schmuckstück sollte sauber bleiben.
Mit dem Porsche zur Schule
Die Jahre gingen ins Land, und leider gab es zunächst keine Garage. Noch nicht feuerverzinkt, rostete so manches am Wagen vor sich hin. Vater, Metallbildhauer, kannte sich mit dem Schweißen aus und legte selbst immer wieder Hand an. Ina musste früh im Atelier mithelfen, was ihr Jahre später zugutekam. Zunächst aber der Führerschein! Die erste Ausfahrt unter Vaters Aufsicht war eine Katastrophe: „Gas weg!“, „nicht so untertourig!“, „schalten!“, „schon ihn!“ usw. Aber dann begann sie, dreist mit dem Porsche zur Schule zu fahren. Und zum Abitur bekam sie das Traumwägelchen schließlich geschenkt. Jetzt bewährte sich die elterliche Ausbildung. Ina nahm den Wagen komplett auseinander, tütete die Teile sorgsam ein und beschriftete sie. Freunde halfen, und die 11.000 Mark aus ihrem Ferienjob steckte sie in die Sanierung. Jede Woche zweimal nach Fellbach zum Ersatzteilehändler, um jedes Detail aufzutreiben. Der Porsche verteilte sich über alle Räume des Hauses. Als Ina in der Küche begann, neue Teppiche zurechtzuschneiden, reichte es Mutter Ingrid Seddig: „Jetzt muss die Karre endlich fertig werden.“ Sie wurde. Nach mehr als vier Monaten. Und zum Schluss noch neu lackiert, dieses Mal in metallic.
In Ehren gehalten
Heute bastelt Ina Seddig kaum noch selbst am Familienauto. Ihr Architekturbüro hält sie in Trab. Der Wagen ist inzwischen wieder zum Schmuckstück geworden und muss alle Wochen bewegt werden, aber nur zum Spaß und nicht für berufliche Termine. Vor 15 Jahren wurde er noch einmal saniert und trägt jetzt wieder die Originalfarbe. Nicht mehr als 4.000 Kilometer fahren Ina Seddig und ihr Mann den Porsche pro Jahr. Als vor Jahren der fünfstellige Kilometerzähler die 99.999 erreicht hatte, feierten die beiden das Zurückspringen auf Null bei ganz langsamem Tempo. Die 200 Tsd. hat er in guter Verfassung auch schon überschritten. Noch ein paar Daten: Der 125 PS-Heckmotor schafft 205 km/h, Ina geht bis 180. Verbrauch: um die 11, 12 Liter. Und der Hinterradantrieb setzt natürlich ein gutes Krisenmanagement voraus (Schlagwort: Heckschleuder). In Porsche-Clubs und ähnlichem sind die beiden nicht dabei, fahren aber bei Oldtimer-Rallyes mit. Auf der nächsten Mainzer Automobil Classic am 27. August kann man den 911 T vielleicht bei den Such-, Fahrtechnik- und Geschicklichkeitsaufgaben beobachten.
Insider-Bräuche?
Beim Überholen spürt Ina bisweilen das respektvolle Zurückbleiben von schnelleren Fahrzeugen hinter sich. Nicht ganz so respektvoll stach ihr jemand in einer Tiefgarage das Dach auf, kurz nach dem Umzug nach Mainz. Das kostete Nerven, Zeit und Geld, denn das Original- Sky-Kunstleder kriegt man heute kaum noch. Ansonsten aber ist auch das Innere intakt – nicht zuletzt, weil der Vater als Pfeifenraucher keine Löcher mit Zigaretten in die Sitzbezüge gebrannt hat. Von ihm dann noch eine Anekdote: Künstler in Süddeutschland pflegten nach Fastnacht Pyjama-Partys. Auf der Rückfahrt blieb der Porsche einmal plötzlich stehen und war nicht mehr zu bewegen. Vater stieg aus und versuchte im Nachthemd, mit Perücke auf der Glatze und ohne Geld in der Tasche, jemanden zum Abschleppen anzuhalten. Einer erbarmte sich tatsächlich …
Text Minas Fotos Stephan Dinges
Das ist eine tolle Erzählung Ina! Leila und ich sind zu besuch bei Doris 1¼ Stunde östlich von Vancouver, ich hab meine Mutter diese Geschichte vorgelesen. Grund ich Dir heute schreibe: Übernacht hab ich geträumt daß Dein Vater und Du waren auf Reisen in Kanada. Du hattest kürzere, brunette gegärbte Haare. Ich sagte, „Du siehst noch sehr Jung aus!“. Dann wachte ich auf…