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sensor-Kolumne im Mai: Dr. Treznok weiß nicht, ob er Deutschland lieben kann


Noch nie zuvor habe ich bei REWE Treuepunkte gesammelt oder Aufkleber mitgenommen. Doch beim Buch „Unser Deutschland – eine Liebeserklärung in 180 Stickern!“ konnte ich nicht widerstehen. Das schwarz-rot-gelbe Design hätte mich stutzig machen müssen, denn die deutschen Nationalfarben sind nicht schwarz-rot-gelb, sondern schwarz-rot-gold. Aber für 1Euro99 kann man kein Gold erwarten.

Ab einem Einkauf von 10 Euro bekommt man 5 Päckchen mit Klebebildchen, erfuhr ich. Also tätigte ich sogleich meinen Wocheneinkauf und warf zusätzlich ein paar besonders edle Schokoladen und Unmengen ungarischer Salami in den Einkaufswagen, um möglichst viele Klebebilder zu bekommen. Ich bekam dann auch auf Anfrage an der Kasse unzählige Päckchen mit Stickern, wartete noch einige Kunden nach mir ab, um mir auch deren Klebebildchen zu erbetteln, und ging mit meinen Einkäufen, dem Deutschland-Buch und irrwitzig vielen Klebebild-Päckchen nach Hause.

Ich weiß auch nicht, was ich mir von dem Buch versprach. Auf dem Titel war ein Gartenzwerg, das Brandenburger Tor, ein VW Käfer und andere „typisch deutsche“ Gegenstände abgebildet, außerdem ein begeistert jubelndes blondes blauäugiges Mädchen. Alles in den Farben schwarz, rot und gelb gehalten, was ja – wie bereits erwähnt – gar nicht deutsch ist, sondern eher belgisch. Zu Hause riss ich die Klebebild-Päckchen auf und sortierte die Sticker nach Nummern, die auf der Rückseite aufgedruckt waren. Viele Nummern waren doppelt und dreifach, andere Nummern fehlten, und als ich alle Sticker sortiert hatte, besaß ich schätzungsweise die Hälfte der 180 verschiedenen Bildchen.

Nun erst schaute ich mir die Bilder auf den Vorderseiten der Sticker an. Ich hatte erwartet, den VW Käfer, den Gartenzwerg und das jubelnde deutsche Mädel zu finden. Erhofft hatte ich mir Aufkleber mit deutschen Landschaften oder bekannten Gebäuden, ein Bild von der Brockenhexe oder der Wuppertaler Schwebebahn, das Deutsche Eck, die Germania oder ein Blick auf Helgoland. Auch mit Bildern von Goethe und Schiller, Karl Marx oder Martin Luther hatte ich gerechnet. Entsprechend erstaunt war ich, dass auf den meisten Aufklebern Tiere zu sehen waren.

Zuerst dachte ich, man hätte mir an der REWE-Kasse die falschen Sticker gegeben, vielleicht Sticker für ein Buch über zoologische Gärten oder die Artenvielfalt der Erde. Aber als ich die Aufkleber mit den nummerierten freien Feldern im Buch verglich, schien alles zu stimmen. Sonderbares Deutschland: eine Kuh repräsentiert die Alpen, ein Hirsch den Schwarzwald, ein Storch steht für Brandenburg. Der Englische Garten in München wird durch einen Fuchs symbolisiert, typisch für die Holsteinische Schweiz ist ein Uhu. In Niedersachsen gibt es ausschließlich Heidschnucken, und selbst der Pandabär ist typisch deutsch. Besonders überraschend fand ich, dass der nordamerikanische Waschbär typisch für den Spessart sein soll.

Wir Deutschen haben ja ein gestörtes Verhältnis zu unserem Land. Die einen sind stolz auf ihre deutsche Staatsbürgerschaft, was ja an sich idiotisch ist, weil man auf eigene Leistungen zurecht stolz sein kann, aber die meisten Deutschen haben für ihre Staatsbürgerschaft nichts geleistet. Ich habe einen guten Freund, der in den 80er Jahren aus dem Irak nach Deutschland kam und seit ein paar Jahren deutscher Staatsbürger ist. Majid könnte stolz darauf sein, Deutscher zu sein, denn er hat wirklich einiges dafür getan, deutsch zu werden. Seltsamerweise ist er aber nicht stolz auf seine deutsche Staatsbürgerschaft.

Andere Deutsche stehen ihrer Staatsbürgerschaft ablehnend gegenüber und betrachten Heimat als etwas, dass man nur außerhalb von Deutschland haben darf. Gesund ist diese Haltung auch nicht, zwingt sie doch die Betroffenen in die innere Heimatlosigkeit oder dazu, auszuwandern. Auf jeden Fall kann jemand, der die eigene Heimat ablehnt, nichts wirklich Positives zur Entwicklung des Landes beitragen. Schon Adolf Hitler forderte ja die Auflösung Deutschlands, wenn die Nation zu schwach für den Endsieg sei, und Teile der deutschen Linken geben Hitler recht, indem sie Deutschland ablehnen.

Dass die REWE-Liebeserklärung an Deutschland darin besteht, Deutschland zum Zoo zu erklären, in dem es keine Menschen, technischen Errungenschaften oder Architektur gibt, ja noch nicht einmal Landschaften, sondern Pandas, Waschbären und Delfine, scheint mir eine neue Haltung gegenüber Deutschland zu sein. Haben die Antispeziesisten bereits REWE übernommen und bereiten die Ausrottung der Menschen vor? Oder will der WWF Deutschland renaturieren und sämtliche bedrohten Tierarten hier ansiedeln? Warum besteht „eine Liebeserklärung in 180 Stickern“, die sich auf Deutschland bezieht, fast ausschließlich aus Tierbildern, teilweise von Tieren, die es eigentlich in Deutschland gar nicht gibt?

Nun sitze ich da mit meinem Buch, in dem immer noch etwa die Hälfte der Sticker fehlt. Ich brauche noch die Wildkatze und die Weidenmeise, die Sumpfschildkröte und den Schweinswal sowie viele andere Aufkleber mit Tieren, die Deutschland repräsentieren. Immerhin gibt es auch das Ulmer Münster, den Fußballspieler Thomas Müller und den emeritierten Wir-Sind-Papst-Papst Benedikt XVI, dessen Klebebild aber leider auch noch fehlt. Wer es hat und gegen ein typisch deutsches Eichhörnchen tauschen will, soll sich bitte bei mir melden.

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