von Ulla Grall, Fotos: Katharina Dubno
Mainz und seine Einwohner wenden dem Hinterland, sprich Rheinhessen, noch immer oft den Rücken zu. Mit einigen Beispielen aus der rheinhessischen „Kultur- und Musikszene“ wollen wir Lust machen auf eine Landpartie.
Herr Berts Kulturscheune
Gar nicht weit ist es bis Zornheim, dahin kommt man sogar mit dem Stadtbus. Beim Winzer Herbert Braunbeck kann man was erleben! Im Hof wird man von lebensgroßen Cartoon-Figuren empfangen – die politische Einstellung von Herr Bert wird damit sofort klar – und die ungewöhnliche Begrüßung setzt sich in jedem Detail fort. Einmal im Monat, bei Hoffesten und Veranstaltungen, ist die Weinstube des Bio-Winzers geöffnet: Freitag und Samstag ab 18 Uhr, Sonntag ab 17 Uhr (am besten vorher auf der Website nachsehen). Dort schenkt er seine eigenen Weine aus und bietet vegetarische Kleinigkeiten. Ab Mai gibt es jeden Monat eine Veranstaltung: viel Musik, aber auch Lesungen oder Kabarett. Ein bisschen chaotisch, liebevoll, urig und fantasievoll eingerichtet ist die Kulturscheune: altes Werkzeug an den Wänden, Fahrräder an der Decke, ein Stühle-Sammelsurium – auch selbst gemachte aus Fassdauben. Beleuchtet wird das Ganze mit farbigen Lichtern und Lichterketten in Glasballons. Auf den Tischen stehen seine „Firmenlogos“: selbst gemachte Miniatur-Vogelscheuchen. „In groß stehen sie bei mir im Weinberg“, so Braunbeck. „Mein Kram“, sagt er und meint damit: „Bio, christliche Einstellung, Hilfe für andere, vegetarische Ernährung…“ Der ehemalige Lufthansa-Triebwerker ist stark engagiert, politisch wie sozial und sein kleines Weingut ist nur ein Teil seines Lebens. www.ecovin-braunbeck.de
Der Opernclub
Von außen erscheint das Haus in der Mehlstraße in Framersheim wie ein normales, rheinhessisches Bauernhaus. Ein schweres Holztor führt in einen kleinen, mit Kopfstein gepflasterten Innenhof, links ein Nebengebäude. Darin ist eine kleine, niedliche Privat-Kneipe untergebracht. Hinten quer, das wird wohl eine Scheune gewesen sein? Von wegen … „Im heutigen Wohnhaus war eine Gaststätte“, erzählt Dieter Stroekens, „und dahinter lag das Dorftheater.“ Vorstellungen gibt es von Mai bis November. „Der Saal ist nicht zu heizen.“ Dafür aber mit modernster Technik ausgestattet, kein Wunder, denn Stroekens produziert hier auch TV-Sendungen und bedient bei den meisten Events die Kamera, um alles aufzuzeichnen. Opernkonzerte, Gesang oder auch mal ein kleines Schauspiel: „Kunst und Kultur aufs Land zu bringen“, das war vor 15 Jahren seine Intention. Stroekens hat auch eine große Schellack-Sammlung und stellt liebevoll musikalische Themenabende zusammen: „Ein Rausch von Erinnerungen“, nennt er sie. Nur etwa 50 Zuschauer passen ins Theater. „Das reicht uns“, meint er, „auch wenn sich die Künstler mit niedrigen Gagen zufrieden geben müssen.“ Unter dem Theater liegt der „kleine Rittersaal“, wo nach der Vorstellung bei Kerzenlicht am offenen Kamin gespeist werden kann. „Die Künstler bleiben dabei“, betont Stroekens. „Das geht manchmal bis in den Morgen.“ Aus dem „Rittersaal“ tritt man in den Garten, wo Stroekens zum Jazzbrunch unterm Walnussbaum einlädt. „Das wird des Wetters wegen immer kurzfristig geplant.“ www.opernclub.eu
Kulturkreis Wörrstadt
Vielfältig sind die Aufgaben, die sich der Kulturkreis gestellt hat. Konzerte, Vorträge, Theater – sowohl für Erwachsene, als auch für Kinder. Seit mehr als dreißig Jahren ist der Verein aktiv und stemmt 14 bis 15 Ver anstaltungen im Jahr. „Die Arbeit macht der siebenköpfige Vorstand und eine Handvoll weiterer Aktiver“, erzählt die Erste Vorsitzende Birgit Gladrow. „Die Gründungsmitglieder sind größtenteils noch heute dabei.“ Alle zwei Jahre gibt es den „Wörrstädter Abend“ in der Neubornhalle mit den hiesigen Gesangvereinen, ProAkkordeon und weiteren Musikgruppen. Zettels Theater gastiert als Sommertheater auf der Wiese zwischen den beiden Kirchen. „Eine unserer größten Unternehmungen aber war die Restaurierung des Tagelöhner-Hauses“, erinnert sich Gladrow und verweist auch auf einige Schriften, die der Verein herausgegeben hat. Auch die „Wörrstädter Kirchenmusiken“ gingen aus der Aktivität des Kulturkreises hervor, zur Bachwoche im September veranstaltet der Kulturkreis ein klassisches Konzert. Eine Maiwanderung mit Jazzfrühschoppen steht auf dem Programm, gemeinsam mit dem „Jazzclub Rheinhessen“ – da schließt sich der Kreis zum kulturellen Rundumschlag. Im gemütlich-rustikalen Ambiente der kleinen „Scheier von 1664“ in Rommersheim gibt es regelmäßig das Sommerprogamm. Im Juni: B.O.N.! Bei dieser Zwei-Mann- Eine-Frau-Band singt Elke Diepenbeck – das ist die Frau, die es vor drei Jahren nach Bechtolsheim zog … www.kulturkreis-woerrstadt.de
Jazzclub Rheinhessen
Mit 250 Mitgliedern ist der Jazzclub Rheinhessen kein kleiner Verein. Und die Veranstaltungen, die der Jazzclub organisiert, haben Glanz: Chris Barber oder die „Barrelhouse- Jazzband“, Klezmers Techter oder das Donati Swing Ensemble. Die Konzerte finden an wechselnden Standorten statt, je nach Größe der Halle und benötigtem Equipment. „Jazz ohne festen Wohnsitz“, sozusagen. Der Club hat sich dem traditionellen Jazz verschrieben und der Verein hat Nachwuchssorgen. „Von unseren Mitglieder sind die meisten älter als fünfzig Jahre und im Vorstand liegt der Altersdurchschnitt noch mal zehn Jahre höher“, erzählt Karl-Heinz Brück, der langjährige Erste Vorsitzende. Er und seine Frau Christina sind Mitglieder der ersten Stunde. „Zur Vorstandsarbeit gehören nicht nur Planung und Organisation, sondern auch das Brötchen- Schmieren, denn der Club bietet bei den Veranstaltungen immer Essen und Trinken zu moderaten Preisen.“ Nun hat Brück – endlich, wie er sagt – einen Nachfolger gefunden. Karlheinz Belzer (63), Weingutsbesitzer aus Guntersblum, ist nach 17 Jahren Mitgliedschaft in die Vorstandsarbeit eingestiegen und bringt auch eine Reihe neuer Ideen mit: „Mittelfristig soll zusätzlich moderner Jazz ins Programm genommen werden. Angedacht sind Workshops im kleinen Rahmen, bei denen die Musiker ihre Stilrichtung und Spielweise vorstellen.“ Eine Möglichkeit zur Kooperation sieht er auch beim Kulturverein Guntersblum. Und vom 14. bis 16. Juni findet auf seinem Hof ein kleines Jazz- & Blues-Festival statt. Die bewährte Zusammenarbeit mit dem Wörrstädter Kulturkreis soll aber auch in Zukunft erhalten bleiben. www.jazzclub-rheinhessen.de
Das KulturGut
Vor drei Jahren zog das Musikerpaar Elke Diepenbeck und Roland Kalus raus aufs Land. „Das war schon lange unser Traum, aber das Haus musste passen und auch der Ort.“ Fündig wurden sie in Bechtolsheim. Ein Haus von 1720 mit Nebengebäuden, Hof und Gärtchen. „Nach anderthalb Jahren Umbauzeit haben wir dann das KulturGut eröffnet. Es waren alle VIPs da und etwa 400 Besucher. Zur Eröffnung haben Freunde und Bekannte gespielt, die ortsansässigen Vereine haben geholfen, der Musikzug hat vorm Haus aufgespielt.“ Heute ist das KulturGut über die Grenzen Rheinhessens hinaus bekannt. Roland Kalus, selbst Gitarrist, kennt viele Musiker persönlich. „Wenn Künstler mit großen Namen in der Gegend Auftritte hatten, habe ich angefragt, ob sie auch einen Termin in Bechtolsheim einschieben können“, erzählt er. Dass es viele Gitarristen sind, liegt in der Natur der Sache, einige verbinden den Auftritt im KulturGut mit einem Workshop. „Auch bekannte Musiker kommen gerne zu uns“, sagt Elke Diepenbeck. „Sie haben bei uns Familienanschluss – wir sind selbst so oft getourt und wissen, wie angenehm es ist, wenn man sich wohlfühlt.“ Wohlfühlen können sich auch die Besucher. Fünfzig Plätze bietet der Veranstaltungsraum mit der kleinen Bühne, ehemals eine Werkstatt, für die ein bis zwei Events pro Monat. Außerdem ist Freitags ab 19 Uhr die kleine, gemütliche Weinstube geöffnet. Einmal im Monat ist „Musiker- Stammtisch“ mit „Open Stage“. Ausstellungen sind angedacht – Ideen haben die beiden noch reichlich. Jetzt steht die Eröffnung des „Weingartens“ an: „Zum draußen Sitzen in der warmen Jahreszeit, zusätzlich auch sonntags.“ www.daskulturgut.de
Pfälzer Wald und Oberhaus
Seit 1997 ist die Kneipe „Zum Pfälzer Wald“ und die angeschlossene „Kleinkunstbühne Oberhaus“ eine Institution. Walter Kubatschek, genannt Kuba, sagt: „Ich wollte den Leuten von Alzey und Umgebung eine Alternative bieten.“ Blues, Rock & Roll, Theater und Kabarett wechseln sich ab: „Vom Punk bis zum Grimme-Preisträger“, wie Kubatschek zusammenfasst. Und auch das Publikum ist gemischt: „Vom Schüler bis zum 70-Jährigen ist alles vertreten. Oft auch gleichzeitig, und zu einigen Events kommen ganze Familien.“ Er blättert in den alten Programmen, die er in einer Kiste aufhebt: „Alexis Corner, Hermann Brood´s Wild Rose, Grobschnitt, Embryo, Zeltinger Band, Inga Rumpf…“ Nostalgisch könnt´ man werden. Aber das Oberhaus zehrt nicht von „alten Zeiten“, der Wirt und Veranstalter bleibt aktiv. „Manchmal muss ich mir selbst in den Hintern treten“, gibt Kubatschek zu. „Wenn aber nach einer Veranstaltung die Leute sagen „es war toll“, ist für diesen Tag die Sinnfrage mal wieder beantwortet.“ Das ist sicher auch ein Grund, warum er sich hat „breitschlagen“ lassen, in diesem Sommer wieder an den Wochenenden die Waldgaststätte im Wörrstädter Neuborn zu bewirtschaften und die dazu gehörige Freilichtbühne in der ehemaligen „Tanzhalle“ zu bespielen. Das Programm steht noch nicht fest, wird sich aber, wie die romantisch gelegene Gaststätte, wieder zum Geheimtipp entwickeln. Von Kubatscheks legendären Whisky-Tastings ganz zu schweigen. www.oberhaus-alzey.de