Die Fraktion Piraten & Volt fordert in einem Antrag für die kommende Stadtratssitzung am 10.02.2021 die Realisierung eines Bürger*innenbudgets in Mainz. “Zahlreiche Bürger*inneninitiativen und eine sehr aktive kommunale Zivilgesellschaft zeigen, dass viele Mainzer*innen sich politisch gerne einbringen wollen. Es ist Zeit, dort mit dem Bürger*innenbudget weitere Schritte zu gehen.” wirbt Tim Scharmann, Fraktionsvorsitzender Piraten & Volt.
Beim Bürger*innenbudget haben die Bürger Zugriff auf einen kleinen Teil des kommunalen Haushalts. Auf diese Art müssen sie sich nicht mit komplexen Haushaltsfragen auseinandersetzen. Jede*r Bürger*in kann Vorschläge für Projekte oder Ideen einreichen, die durch ein solches Budget finanziert werden. Jene Vorschläge müssen dem Gemeinwohl verpflichtet sein, in die Zuständigkeit der Kommune fallen und sich zeitnah umsetzen lassen können. In einem mehrstufigen Verfahren, das von der Stadtverwaltung moderiert wird, wählen die Bürger*innen dann die Projekte aus, die letztendlich realisiert werden.
Bürger*innenbudgets haben viele Vorteile und sind ein wichtiges Mittel zur Stärkung demokratischer Strukturen. Mit der Einführung von Bürger*innenbudgets wird Bürger*innen eine aktive Gestaltung der Kommune ermöglicht, die weit über ein Votum von Einzelinitiativen hinausgeht. Auch durch die schnelle Umsetzung geförderter Projekte wird politisches Handeln für Bürger*innen erlebbar.
„Bürger*innenbudgets schaffen Vertrauen in Verwaltung und Politik, indem sie Transparenz herstellen. Sie schaffen Identifikation der Bürger*innen mit ihrem Gemeinwesen, indem sie Möglichkeiten zur Mitbestimmung bieten. Sie sind ein Mittel zur Modernisierung der Verwaltungsstrukturen und stärken das politische Engagement.“ erklärt Tim Scharmann.
Die Mainzer Stadtratsfraktion Piraten & Volt hat sich am 21. Januar in einer öffentlichen online Veranstaltung Rat bei erfahrenen Expert*innen geholt. Clara Utsch von der Stabsstelle Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement der Stadt Wuppertal berichtete von vielen positiven Erfahrungen, die sie in den letzten drei Jahren gesammelt haben. Martina Rumpel und Roman Poplawski vom Verein “mitMachen e.V. – JUBU Projekt” berichteten von innovativen Bürger*innenbudgets in Brandenburg, die viele Bürger*innen motiviert haben, sich über kreative Ideen zum Gemeinwohl Gedanken zu machen.
Roman Poplawski fasste zudem die Situation in Polen zusammen, wo seit dem ersten Bürger*innenbudget 2011 nun bereits über 300 Städte und Kommunen Bürger*innenbudgets implementiert haben. Auch sind alle polnischen kreisfreien Städte seit 2018 verpflichtet, mindestens 0,5% ihres Haushalts für ein solches Budget auszugeben. Als weiterer Experte teilte Dr. Oliver Märker, Geschäftsführer der Agentur Zebralog, sein Wissen mit der Fraktion Piraten & Volt. Herr Märker betreut und berät Kommunen seit zwölf Jahren bei ganz unterschiedlichen Beteiligungsprozessen.
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und ist hier zum Nachschauen verfügbar:
https://www.youtube.com/watch?v=O4FuV16o0Rc&t=6s
Was kann Mainz von anderen Kommunen lernen?
Jede Kommune gestaltet den Prozess, in dem ein solches Budget realisiert wird, anders aus. Folgende Kriterien können aber als besonders wichtig angesehen werden, wenn man den Ratschlägen der Expert*innen folgt und sind in der Regel in jedem erfolgreichen Projekt enthalten:
- Eine digitale Plattform bildet die Basis für eine niedrigschwellige Teilnahmemöglichkeit.
- Eine digitale Beteiligung allein reicht nicht aus. Eine Verbindung mit einer Vor-Ort Veranstaltung, bei der z.B. die Projektideen vorgestellt und/oder gemeinsam ausgearbeitet werden, ist wichtig.
- Personeller Aufwand in der Verwaltung muss eingeplant werden, damit der Prozess von Anfang an richtig begleitet und kommuniziert werden kann. [Beispiel Wuppertal: 362.000 Einwohner*innen; 5000 Angestellte in der Verwaltung; 4,5 Stellen in der Stabsstelle “Bürgerbeteiligung” direkt beim Bürgermeister angesiedelt]
- Eingereichte Projekte müssen in mehreren Schritten durch die Verwaltung auf verschiedene Kriterien hin geprüft werden. Dazu gehören: Machbarkeit (juristisch, baulich etc.) und Gemeinwohlorientierung.
- Frühzeitige Einbindung der Fachverwaltung.
- Frühzeitige Einbindung der Ortsbeiräte.
- Es gibt eine Höchstfördergrenze pro Projekt (in Wuppertal 50.000€).
Wie viel kostet es?
Aus den Ratschlägen der Expert*innen zieht die Fraktion den Schluss, dass man sich entweder über den Anteil am Gesamthaushalt oder der geförderten Summe pro Einwohner*in einer geeigneten Summe für die Stadt Mainz nähern kann. Ein Euro pro Einwohner*in wäre für die Fraktion Piraten & Volt ein gutes Einstiegsbudget.
Bestehende Projekte fördern Bürger*innenbudgets so:
- Wuppertal: 200.000 € Gesamtbudget in 2021
- Polen: Kreisfreie Städte sind verpflichtet, 0,5% ihres Gesamthaushalts über ein Bürger*innenbudget auszugeben (reine Fördersumme, ohne Personalaufwand)
- Brandenburg: Budget pro Kopf zwischen 0,6€ Potsdam und 7,69€ Ketzin/Havel
Tim Scharmann (Fraktionsvorsitzender Piraten & Volt): “Bürger*innenbudgets können die Menschen auch zwischen den Wahlen an der politischen Gestaltung der Stadt teilhaben lassen. Dies ist wichtig um unsere demokratische Kultur zu stärken. Auf diese Weise kann sich jede*r einbringen und tolle Ideen, die bisher nur auf WG-Parties, Wohnzimmergesprächen oder Elterntreffen auf dem Spielplatz vorgetragen wurden, erhalten eine realistische Möglichkeit, umgesetzt zu werden.”
Bodo Noeske (Mitglied im Schulträgerausschuss): “In der Veranstaltung wurde klar, welch tolle Ideen z.B. in Wuppertal gefördert wurden. Vom queeren Zentrum über Gelder für Spielplätze bis hin zur Förderung der Rettungsschwimmer*innen haben die Wuppertaler*innen ganz unterschiedliche Projekte realisiert. Ich bin sicher, dass auch die Mainzer*innen viele kreative Ideen haben, die wir umsetzen können.”
Der Antrag der Fraktion PIRATEN & Volt für die nächste Stadtratssitzung sieht daher vor:
- Die Verwaltung wird beauftragt, im Jahr 2022 ein Bürger*innenbudget einzurichten.
- Für die Planung wird ein*e erfahrene*r und professionelle*r Partner*in zur Beratung herangezogen.
- Die Verwaltung bindet den entsprechenden Fachausschuss bei Planung und Durchführung in geeigneter Weise ein.
- Ein Konzept für die Durchführung ist dem Rat bis Ende 2021 zur Abstimmung vorzulegen.
- Die Verwaltung bemüht sich um zusätzliche Fördergelder.