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OB-Wahl: Der Zweite Platz ist gut genug

von Andreas Schröder
Illustrationen: Lisa Lorenz

„Ebling fordert“, „Augustin kritisiert“, „Beck stellt klar“… Ja was denn nun?!? Wie jeder politische Wettstreit wird auch der Mainzer Oberbürgermeister-Wahlkampf gerne auf das reduziert, was man landläufig „die Fakten“ nennt. Einen ungeschminkten Eindruck von den Kandidaten oder dem Gerangel hinter den Kulissen erhält der wahltolle Bürger eher selten. Zwei Wochen lang hat sensor Podiumsdiskussionen besucht und Rundgänge begleitet, mit Kandidaten, Journalisten und Bürgern gesprochen. Herausgekommen ist eine bunte Sammlung von Eindrücken, Zweifeln und Offenbarungen.

Ende Oktober 2011 hatte Jens Beutel seinen Rücktritt vom Amt des Oberbürgermeisters angekündigt und damit die lange offen gebliebene Zeche bezahlt. Seitdem wurde in allen politischen Lagern, ob bei parteiinternen Vorentscheidungen oder auf den großen Bühnen der Fluglärmgegner und ECE-Aktivisten, kräftig mit den Hufen gescharrt. Inzwischen ist der Startschuss gefallen, doch von dem erwarteten Galopprennen war bislang wenig zu sehen. Während die in zwei repräsentativen Umfragen etablierten Favoriten Michael Ebling (SPD) und Günter Beck (Grüne) auf Schulterhöhe gemütlich nebeneinander traben, scheint der eine oder andere Kandidat noch etwas unentschlossen, ob er überhaupt seine Startbox verlassen möchte. Der Einzige, der tatsächlich die Hufe in die Grasbahn rammt, ist Lukas Augustin (CDU). Allerdings, so scheint es, läuft er ein anderes Rennen.
Am 6. Februar hatte Christopher Sitte, Wahlleiter und Wirtschaftsdezernent der Stadt, die offizielle Kandidatenliste bekannt gegeben. Insgesamt acht Anwärter auf den Stuhl des Mainzer Oberbürgermeisters gibt es. Neben den „Großen Dreien“ – dem ehemaligen Geschäftsführer der Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG) Lukas Augustin, dem geschäftsführenden Oberbürgermeister Günter Beck und Staatssekretär Michael Ebling – schicken die ÖDP, die Piratenpartei und die rechtsgerichtete Stadtratsfraktion „Bürgerbewegung Pro Mainz“ Kandidaten ins Rennen. Dr. Rainer Riemann, der Gewinner eines OB-Castings der Studentenzeitung STUZ, und Klaus Bohland, ein ehemaliger Feuerwehrmann und Vorsitzender des Fördervereins der Berufsfeuerwehr, runden das Feld ab. Die Freien Demokraten hatten als einzige Stadtratspartei darauf verzichtet, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. FDP-Mann Sitte gibt sich betont entspannt.

Keine Stühle fürs hintere Mittelfeld
Ironischerweise macht die große Anzahl der Bewerber gerade den Vertretern kleinerer Parteien und unabhängigen Kandidaten das Leben schwer. Denn die von den Parteien selbst organisierten Wahlkampfveranstaltungen haben einen großen Haken: Sie erreichen in der Regel nur die eigenen Wähler. Eine wirkliche Chance, sich über die Bank hinweg zu präsentieren, bieten dagegen die Diskussionsrunden von Verbänden, Bürgerinitiativen und Vereinen. Hier sitzen Leute im Publikum, die sich unter Umständen positiv oder negativ überraschen lassen wollen.
Doch kaum ein Veranstalter lädt alle Kandidaten ein – der Grund dafür liegt auf der Hand: Wahlkämpfer möchten sich präsentieren. Und dafür braucht es Zeit. Kaum eine Runde kommt daher mit den üblicherweise veranschlagten 45 Minuten für die Statements aus – dabei beschränken sich die meisten Veranstalter genau aus diesem Grund schon auf eine Debatte mit den „Großen Dreien“. Besonders hart traf diese Politik Anfang Februar den Kandidaten der Piratenpartei, Matthias Heppner. Der AStA der Uni-Mainz hatte zum Gespräch über studentische Themen auf den Campus eingeladen. Heppner, der sich zu Recht Hoffnungen machen darf, in studentischen Gewässern einige Stimmen zu erbeuten, stand nicht auf der Rednerliste. Bitterer als das Ausbleiben der Einladung dürfte für die Piraten aber die Erklärung des AStA-Vorsitzenden Wolfgang Schärfe gewesen sein, der aus dem Publikum auf das Fehlen Heppners angesprochen wurde: „Wir haben uns auf die aussichtsreichsten Kandidaten beschränken wollen und daher Augustin, Beck und Ebling eingeladen – einer von denen wird es halt werden.“

Der schweigsame Dritte
Dass es für die kleinen Parteien nicht einfach ist, ihre fehlende Präsenz in den großen Diskussionsrunden auszugleichen, zeigt sich auch am Beispiel der ÖDP. Trotz aufwendiger Plakatierung stieß Claudius Moselers große Veranstaltung mit Sebastian Frankenberger, dem Bundesvorsitzenden der Ökodemokraten, auf im besten Fall verhaltenes Interesse. Gut die Hälfte der knapp zwanzig Anwesenden in der Mombacher Eintrachthalle waren Parteimitglieder oder Presseleute. Moseler, Heppner und Co sind aber nicht die Einzigen, denen das Modell der Podiumsdiskussionen einiges Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Auch CDU-Kandidat Lukas Augustin hat damit zu kämpfen. Der eine oder andere Beobachter hegt Zweifel an der Fähigkeit des eher stillen Augustin, den beiden Wahlkampfprofis Ebling und Beck das Wasser zu reichen. Erste Stimmen in diese Richtung wurden bereits vor dem 9. Februar laut, an dem Repräsentative repräsentative Umfragen der Allgemeinen Zeitung und des SWR veröffentlicht wurden, die Augustin deutlich hinter Beck und Ebling sahen. „Der sagt ja gar nichts“, lautete der erste Eindruck einer Anwohnerin bei einer Veranstaltung der CDU-Stadtratsfraktion im Martin-Luther-King-Park. Und sie hat Recht. Erst als es um spezifische Fragen der Stadtplanung geht, kommt der Kandidat in die Gänge.
Augustin hat sicherlich Recht, wenn er darauf hinweist, dass die frühe Führung der beiden Ampelkandidaten nicht ganz unerwartet kommt. Ebling und Beck sind, wie er nicht müde wird zu betonen, „Amtsträger in Mainz“. Der eine ist Staatssekretär und ehemaliger Sozialdezernent, der andere Finanzdezernent und Interims-Oberbürgermeister. Augustin selbst ist dagegen seit seinem Abschied von der MAG in Mainz nicht mehr präsent gewesen und auch die Umfragewerte lassen vermuten, dass sein schlechtes Abschneiden bei der Wahlfrage etwas mit seiner geringeren Bekanntheit zu tun haben könnte.

Der Hase hat sich totgerannt
Anders als Beck und Ebling könne Augustin „gegen die Ampelpolitik vom Leder ziehen“, analysiert die Frankfurter Rundschau die Möglichkeiten des Oppositionskandidaten. Zumindest nach aktuellem Stand darf bezweifelt werden, ob es ihm gelungen ist, diesen vermeintlichen Vorteil zu nutzen. Im Gegenteil erinnert Augustins Rennen um die Mainzer Oberbürgermeisterschaft oft an das alte Volksmärchen vom Hasen und vom Igel. Gerade weil Beck und Ebling Positionen der Ampel-Koalition gemeinsam vertreten müssen, wirkt Augustin in den Diskussionsrunden der „Großen Drei“ isoliert.
Es ist weniger Augustins Ruf als „Zahlenmensch“, wie er vor allem zu Beginn seiner Kandidatur gerne genannt wurde, noch sein Roland Koch’scher Seitenscheitel: So lange der CDU-Mann keine Plattform findet, abseits der „Großen Drei“ neue Wählergruppen anzusprechen, müssen zumindest Zweifel erlaubt sein, ob es ihm gelingen wird, sich aus seinem Umfragetief zu befreien. Vermutlich würde gerade Lukas Augustin von einer stärkeren Präsenz der anderen Kandidaten profitieren. Denn in Claudius Moseler hätte er zumindest in einigen Punkten, wie etwa die Hundesteuer und der Stadtbibliothek, einen Verbündeten mit auf dem Podium.
Der Eindruck, dass die Rennställe von SPD und den Grünen ihre Champions nicht verfrüht gegeneinander verheizen möchten, ist sicherlich nicht ganz unberechtigt. Und man kann es weder Günter Beck noch Michael Ebling übel nehmen, dass sie ihren Vorsprung auskosten. Schließlich ist auch der zweite Platz gut genug – im Rennen um die Stichwahl. Spannender wird der Wahlkampf daher nur werden, wenn es Lukas Augustin gelingt, vor dem 11. März Boden gutzumachen. Sonst bleibt dem unterhaltungslustigen Wähler nur die Hoffnung, dass es in der Stichwahl – mit welchen Kandidaten auch immer – ordentlich zur Sache geht.