Direkt zum Inhalt wechseln
| 1

Mainzer Layenhof – Herbst der Veränderung

Primal Fear Studio

von Mara Braun   Fotos Carola Schmitt

Ein bisschen fühlt es sich an, als wäre er aus Raum und Zeit gefallen: der Layenhof. Im Grunde hat man Mainz bereits verlassen und fährt, den Stadtteil Finthen im Rücken, in Richtung Wackernheim. Links und rechts erstrecken sich Felder und irgendwo weit hinten scheint die schmale Landstraße den Horizont zu berühren. Einige Schilder weisen den Weg zu Layenhof und Flugplatz, und wer die L419 verlässt, um ihnen zu folgen, passiert plötzlich ein echtes Ortsschild: Es erzählt bis heute von der kurzzeitigen Hoffnung darauf, das Gelände als einen eigenen Stadtteil auszubauen. Tatsächlich gehört es verwaltungstechnisch zu Finthen.

„Wir fühlen uns aber als Layenhöfer“, betont Alexander Chatzigeorgiou. Der Vorsitzende der IG Layenhof hat es ich auf einem der Sofas in seinem Büro gemütlich gemacht. Er schwenkt ein Glas, in dem Eiswürfel klirrend gegeneinander stoßen. Das Haus, in dem der Anwalt mit seiner Familie lebt, wirkt, als sei es aus einem amerikanischen Film in die hiesige Landschaft gepurzelt. „Es ist das ehemalige Kommandantengebäude“, sagt der Mann, den die Layenhöfer gerne „Schatzi“ nennen.

Denn die leicht amerikanische Anmutung des Geländes ist kein Zufall, vielmehr regierte auf dem benachbarten Flugplatz zwischen 1961 und 1992 die US-Army und Grundlage der heutigen Wohnsiedlung auf dem Layenhof war deren Housing Area. Während manch Stadtplaner wohl am liebsten mit der Planierwalze über das gesamte Gelände rollen würde, macht gerade der Mix aus Flugplatz-Nachbarschaft, Housing-Area und uraltem Gebäudebestand für viele Bewohner und Nutzer des Layenhofs dessen speziellen Charme aus.

Das findet auch Petra Ehrnsperger: „Man begegnet hier auf Schritt und Tritt der Geschichte“, sagt sie und öffnet mit einem klappernden Schlüsselbund die Tür zu ihrem Atelier. Seit 2001 arbeitet die Künstlerin aus Eltville hier und betreibt im Haus nebenan seit zehn Jahren auch eine eigene Malschule. Es dauert einen Moment, bis das flackernde Licht im Flur den Raum erhellt und den Blick auf ein altes Krankenhausbett freigibt, das an der Wand steht. Die ganze Szenerie erinnert an ein Filmset. „Wie das nun wieder hierher gekommen ist“, murmelt Ehrnsperger kopfschüttelnd und zeigt dann auf eine grüne Metalltür, die mit dicken Gefängnisstäben verschlossen ist: „Die alte Waffenkammer.“

Wo sich Kunst entfalten kann

LayenKunst3spIm Atelier riecht es nach Farbe und muffigen Leitungen. Hunderte von Bildern lehnen hier an den Wänden, auf Tapeziertischen drängeln sich bunte Farbtuben und Pinsel, der Boden ist übersät mit Farbklecksen. „Man kann schalten und walten, wie man will, die Mietpreise sind unschlagbar und die ganze Atmosphäre tut mir gut“, sagt die Künstlerin. Allerdings sind die Preise teils deutlich gestiegen, seit der 2006 gegründete Zweckverband Layenhof / Münchwald das Gelände 2008 vom Bund erworben hat. „Und mir scheint es schon, als ob inzwischen den Nutzern einiger Gebäude sehr gezielt gekündigt wird, weil man die für den Abriss leer kriegen will“, sagt Ehrnsperger, die ihr Atelier selbst aktuell räumen muss.

Gründer des Zweckverbandes sind die Stadt Mainz und die Gemeinde Wackernheim. Für die Verwaltung des Areals ist die Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Stadt Mainz (GVG) eingesetzt. Deren Prokurist Ferdinand Graffé wird hinter vorgehaltener Hand auch der „Dobermann vom Layenhof“ genannt. Er ist für die Neuerschließung und Modernisierung des Layenhofs zuständig. Dazu gehört auch der Abriss einiger Gebäude. Graffé versichert jedoch, dass keine weiteren Firmen, Gewerbetreibenden, Künstler und Musiker, die sich im Laufe der Jahre auf dem Layenhof angesiedelt haben, um ihre Domizile fürchten müssen: „Jeder Trottel kann abreißen und neu bauen.“ Das Areal solle „intelligent und behutsam“ entwickelt werden und die gewachsenen Strukturen erhalten bleiben.

Skepsis und Misstrauen dagegen bei den Betroffenen. Die meisten wollen sich zur GVG zwar äußern, aber nicht mit Namen genannt werden, aus Angst vor Konsequenzen. Beispiel: „Das Einzige, was die GVG kann, ist großartige Versprechungen zu machen. Die sind immer leer.“ – „Die Nutzer sollen systematisch vom Layenhof vertrieben werden, die GVG will nur Gewerbeansiedlung.“ – „Der Layenhof ist ein Überwachungsstaat geworden, die GVG fährt permanent Patrouille.“ – „Letztlich wenden die eine Zermürbungstechnik an, bis alle das Gelände verlassen haben.“

König ohne Reich

Schmitt_0967Layenhof

Alexander Chatzigeorgiou hebt beschwichtigend die Hände und betont, die Zusammenarbeit mit der GVG sei absolut konstruktiv. Immerhin habe man gemeinsam mit Bewohnern und Nutzern in sechs Planungswerkstätten die Grundlagen für einen Masterplan erarbeitet. Sorgfältig breitet er Poster mit den städtebaulichen Entwurfsskizzen auf dem Boden aus, die eine verheißungsvolle Zukunft für den Layenhof in bunten Farben abbilden: Wohnen, Handwerk, Kunst, Kultur, Gewerbe – an alles ist gedacht.

Der letzte Stand der Pläne ist datiert vom September 2013. Auf die Frage, was seither genau passiert ist, lächelt „Der Schatzi vom Layenhof“ ergeben. „Im Prinzip nichts Wesentliches.“ Das sei angesichts der investierten Mühen bedauerlich, andererseits: „Wir sind es hier oben seit jeher gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Für viele ist genau das ein Anreiz, sich ausgerechnet auf dem Layenhof niederzulassen.“ Die GVG wiederum erklärt, man nehme die Vereinbarungen sehr ernst. Insgesamt habe man 10 Mio. Euro in das Gelände investiert, hauptsächlich sei das Geld in den Erwerb und Substanzerhalt von Gebäuden geflossen.

Schmitt_0950LayenhofIm September wehte der Wind der Veränderung plötzlich aus einer ganz neuen Richtung über den Layenhof: Ab Ende des Monats wird hier eine Außenstelle der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende Ingelheim (AfA) entstehen. In maximal 100 Wohncontainern sollen bis zu 500 Menschen Platz finden. Es handelt sich dabei um eine Erstaufnahme, also die Unterbringung für die ersten drei Monate. Anschließend werden die Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt. Zwar plante die Stadt ursprünglich auch mit eigenen Flüchtlingsunterkünften auf dem Layenhof, angesichts der aktuellen Größenordnung von bis zu 500 Flüchtlingen und knapp 500 Bewohnern habe man das jedoch aufgegeben, erklärt Sozialdezernent Kurt Merkator.

Die Informationsveranstaltung des Innenministeriums zu den Neuerungen auf dem Layenhof ist rappelvoll und macht die Hilfsbereitschaft deutlich. Die meisten Flüchtlinge – überwiegend junge Familien – stammen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Eritrea, ein Drittel sind Kinder und Jugendliche. Während der drei Monate werde sich das Leben der Menschen überwiegend in ihrem „Container-Dorf“ abspielen, man ermutige die Layenhöfer aber, Kontakt zu suchen. Da die Flüchtlinge nur wenige Wochen vor Ort bleiben, sind die Kinder und Jugendlichen nicht schulpflichtig, sondern werden in der Einrichtung beschult. Auch für die medizinische Versorgung, Freizeitangebote, Verpflegung und einen Sozialdienst (ASB) ist gesorgt.

Frühestens Ende Oktober ziehen die ersten Flüchtlinge ein. GVG-Geschäftsführer Ferdinand Graffé, auf dem Podium als „König vom Layenhof“ angekündigt, betonte, es sei eine Frage der Humanität, den Asylbegehrenden zu helfen. Im Anschluss überraschte er allerdings mit der Aussage, die Ergebnisse der Planungswerkstätten für den Layenhof seien hiermit erst einmal hinfällig. „Da ist die GVG fein raus“, flüstert eine Bewohnerin ihrer Sitznachbarin ins Ohr, die nickt und ergänzt: „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“ Grundsätzlich aber haben die Anwohner mit der GVG kaum Berührungspunkte, denn anders als die gewerblichen Räume laufen die Wohnungen über die städtische Wohnbau GmbH.

Das gilt auch für die beiden Doppelhaushälften, die das Wohnprojekt Layenhof bevölkert. Wer dort einziehen will, braucht das Okay der restlichen Gemeinschaft. „Es muss ein echtes Interesse am Miteinander geben“, sagt Gründungsmitglied Ulla Salzbrunn. Füreinander da zu sein ist hier mehr als eine Floskel, und mit dem Verein Wohnen Arbeiten (Hilfe zum) Leben, kurz WA(H)L, integrieren die Bewohner auch Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen. Im September haben beide Vereine ihr 20-jähriges Jubiläum mit einem gemeinsamen Fest begangen.

Stabilität durch Struktur

Schmitt_0962Layenhof

Vereinzelte Blätter, die der Wind über den Asphalt tanzen lässt, künden vom nahenden Herbst. Noch aber erwärmt die Sonne die Tage, und die Jungs, die sich vorm Gebäude #5852 gegenseitig den Ball zukicken, tragen ärmellose Shirts. Im Treppenhaus duftet es nach Essen, aus dem Aufenthaltsraum im Obergeschoss tönt ein Soundteppich, gewebt aus Gelächter, dem hellen Klacken von Tischtennisbällen und den harten Einschlägen des Tischkickers.

„Wir sind sehr happy mit den neuen Räumlichkeiten“, strahlt Oliver Haara. Gemeinsam mit Co-Gründer Andreas Müller leitet er den Lionhof, ein als Verein organisiertes Zentrum für Jugendhilfe. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kids, die von den Jugendämtern in Mainz und Ingelheim vermittelt werden, daneben bietet der Lionhof eine offene Jugendarbeit, die sich komplett aus Spenden und dank ehrenamtlicher Helfer finanziert.

„Da kommen vor allem die Jugendlichen, die hier auch wohnen“, erklärt Haara und streichelt Therapiehund Layla. Jeden Dienstag essen die betreuten Jugendlichen gemeinsam. Haara stoppt ein Mädchen, das gedankenverloren den Esstisch ansteuert. „Händewaschen nicht vergessen.“ Die Kleine deutet ein Augenrollen an, grinst dann, fährt der hechelnden Layla durchs Fell und trollt sich auf die Toilette. „Wir wollen die Jugendlichen stärken, indem wir ihnen Strukturen anbieten“, erklärt Haara. Therapiehund Layla fungiere oft als Türöffner bei Kindern, die Nähe kaum zulassen können. Bei Freizeitaktivitäten wie Boxen oder Breakdance können sie sich austoben.

Als Premiumstück ihres Angebotes beschreibt Haara stolz das Musikzimmer: Dank einer Spende der Vigoureux-Neuerburg-Stiftung verfügt der Lionhof über ein Tonstudio, in dem die Kids eigene Songs schreiben und unter professioneller Anleitung aufnehmen können. Als Zoe (11) das Mikrofon sieht, entfährt ihr ein Jauchzen. „Mit so einem professionellen Teil wollte ich schon immer mal singen.“ Der 13-jährige Lion lässt sich derweil am Schlagzeug nieder, greift ohne Scheu nach den Sticks und beginnt zu trommeln. „Unsere Arbeit kommt gut an, das hilft uns“, erklärt Haara. Als der Lionhof sein angestammtes Gebäude verlassen musste, weil es abgerissen wurde, habe man faktisch vor dem Aus gestanden.

„Es hieß seitens der GVG, man könne uns keine Alternative bieten.“ Damals seien es unter anderem Juvente und die Wackernheimer Bürgermeisterin Sybille Vogt gewesen, die sich für den Erhalt des Jugendzentrums am Layenhof eingesetzt hätten. „Ich habe Verständnis dafür, dass die GVG ein Wirtschaftsunternehmen ist und entsprechend arbeiten muss. Aber manchmal fehlt mir da schon der Blick über den Tellerrand und eine gewisse Menschlichkeit“, resümiert Haara.

Ein gewolltes Aussterben

Schmitt_0964Layenhof

„Das Hauptproblem mit der GVG ist die miserable Kommunikation“, sagt Arne Schneider. Er gehört zum Vorstand der Kulturfabrik Airfield, in der rund 120 Bands aus dem Rhein-Main-Gebiet organisiert sind. Viele davon nutzen Proberäume auf dem Layenhof, der Verein wurde 1996 dort gegründet. „Aber wir haben leider schon lange keinen Vereinsraum mehr“, erklärt Schneider und blinzelt in die Sonne. Das erschwere ein gemeinsames, koordiniertes Arbeiten mit den Musikern. „Wir haben der GVG schon mehrfach angeboten, als zentrale Anlaufstelle für alle Bandthemen aufzutreten, auch die Vermietung der Proberäume abzustimmen, aber da kam gar nichts zurück.“

Für viele Musiker sei der jahrelange Schwebezustand nicht zumutbar. Immer häufiger suchten Bands alternative Räumlichkeiten, weil sie befürchten, letztlich in der Langzeitplanung für das Areal entgegen aller Beteuerungen keinen Platz mehr zu haben. „Es wirkt wie ein gewolltes Aussterben der Subkultur“, findet Arne Schneider. „Immer mehr von dem, was den Layenhof für Künstler mal ausgemacht hat, verschwindet.“ Die enge Verbindung mit dem Areal will die Kulturfabrik dennoch erhalten. „Wir stellen für Feste regelmäßig Equipment oder gleich Bands zur Verfügung. Wenn demnächst die Flüchtlinge kommen, planen wir einen Tag der offenen Probenräume.“

Auch gemeinsame Musikprojekte seien denkbar, und die Einnahmen des diesjährigen Nikolausrock im Haus der Jugend sollen für die neuen Bewohner gespendet werden. „Sowas gehört zu unserem Selbstverständnis.“ Die Offenheit in puncto Flüchtlinge klingt in den meisten Gesprächen an, auch wenn Petra Ehrnsperger sagt: „Ich mache mir schon Sorgen, ob meine Kursteilnehmer wegbleiben.“ Auf der Informationsveranstaltung mahnt Polizeidirektor Achim Zahn geduldig ein ums andere Mal, keine Mauern in den Köpfen zu bauen: „Es gibt im Bereich der Unterkünfte keinen signifikanten Anstieg der Straftaten.“

Von den Begegnungen mit Flüchtlingen könnten die neuen Nachbarn nur profitieren. „Lassen Sie sich darauf ein“, schließt Zahn sein Plädoyer. Das Ministerium nimmt indes einen langen Wunschzettel der Layenhöfer mit – Anliegen wie die bessere Beleuchtung des Geländes, einen Begegnungsraum oder die Instandsetzung des Spielplatzes will man zeitnah angehen. Und so lautet der Tenor auf dem Layenhof in diesem Herbst, dass sich zumindest im Kleinen bald einiges verbessern könnte, woran man hier kaum noch geglaubt hatte. Am Ende könnten tatsächlich alle gewinnen.

1 response to “Mainzer Layenhof – Herbst der Veränderung

Comments are closed.