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Mainz vs. Frankfurt: Diva oder zweite Liga?

Frankfurt-8

Text Ejo Eckerle Fotos Evelyn Dragan

Mainz versus Frankfurt. Steht die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt im Schatten der Bankenmetropole?

Rhein-Main-Derby in der Coface Arena. Die Diva aus Frankfurt zu Gast in Mainz. Mit martialischen Vergleichen wird bei solcher Gelegenheit nicht gespart: „Es geht um die Vorherrschaft im Rhein-Main-Gebiet“, ist in Fan-Foren zu lesen. Mehr noch: „Zu Hause ist Mainz eine Macht“, um darauf zu verweisen, dass die 05er sowohl in der ersten Liga als auch in der zweiten noch nie im Heimspiel gegen die Eintracht unterlagen. Bis an die Zähne gerüstete Bereitschaftshundertschaften der Polizei halten sich bereit, um befürchteten Ausschreitungen entgegenzutreten.

Und was passiert? Nichts – oder zumindest verhältnismäßig wenig. Der Vergleich zwischen beiden Metropolen ist mit einem 3:1-Sieg wieder einmal zugunsten von Mainz ausgegangen. Sind Vergleiche zwischen den beiden Großstädten, außerhalb der Welt des Fußballs, überhaupt angebracht? Liegen die Unterschiede nicht vielmehr auf der Hand?Nicht wenige Menschen wohnen in der einen und arbeiten in der anderen Stadt. Bewohner entschließen sich, dem Rhein den Rücken zu kehren, um an den Main zu ziehen – und umgekehrt.

Dort residiert das Zentrum der deutschen und europäischen Finanzindustrie. Mit seinen 700.000 Einwohner ist Frankfurt mehr als dreimal größer als Mainz. Mainz ist dagegen Medienhauptstadt. Mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen beherbergt es eine der größten TV-Anstalten Europas, wohingegen der notorisch klamme Hessische Rundfunk in der Liga der ARD-Sender im Mittelfeld spielt.

Am westlichen Rand…?

„Nie mehr zweite Liga!“ – irgendwie scheint dieser Wahlspruch überzeugter 05er-Fans auch auf Ramon Haindl, 31, zu passen, allerdings in einem ganz anderen Sinn. Der Ex-Mainzer lebt nämlich jetzt im Frankfurter Gallusviertel. Anfang 2014 ist er zusammen mit seiner Freundin umgezogen. In seiner neuen Nachbarschaft sieht er trendige Cafés entstehen und wähnt sich am Beginn einer Gentrifizierung, die sich eines der letzten Stadtareale krallt, die noch nicht von neuer deutscher Bürgerlichkeit in überteuertem Wohnraum erobert wurden. Und er entdeckt plötzlich den Spießer in sich, der vom nächtlichen Lärm, der aus dem türkischen Männercafé nebenan zu ihm ins Schlafzimmer dringt, genervt ist.

Die Entscheidung, Mainz zu verlassen, fiel, als seine Freundin ihr Studium beendet hatte. Zunächst stand Hamburg auf dem Plan. Auf jeden Fall sollte es eine größere Stadt werden. „Mainz sagt vielen nichts“, bilanziert Ramon mit Bezug auf seine berufliche Erfahrung, die er in den letzten Jahren als Fotograf und Designer gewonnen hat. In seiner Branche sei die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk sehr wichtig und diese informellen Kreise definierten sich stark über (Städte)-Namen.

„Frankfurt können die meisten räumlich einordnen, aber schon vielen Berlinern ist gar nicht so klar, wo Mainz eigentlich liegt, nämlich fast in der Mitte Deutschlands. Die verorten die Stadt eher am westlichen Rand.“ Es sei aber nicht so, dass Frankfurt unbedingt ein größeres kreatives Potenzial besäße, man traue es der Stadt aber eher zu, so die Meinung von Ramon: „Vieles in Frankfurt lebt einfach von der Behauptung, dass es so ist.“

7.000 Mainzer pendeln nach Frankfurt

Die Entscheidung, in einer Stadt zu leben, kann auch durch Zufälle bestimmt sein. Jana Nobiling hat es so erlebt. Ein kurzer Spaziergang am Rheinufer entlang in Richtung Rathaus hat sie für Mainz eingenommen. Dabei war die gebürtige Hamburgerin zuvor schon im prallen Leben angekommen – mitten im Frankfurter Bahnhofsviertel lebte die Marketingexpertin bis dahin in einem kleinen WG-Zimmer für satte 500 Euro im Monat.

2010 war das, zu einem Zeitpunkt, als die Scouts des modernen Lebens das bis dahin als verrufen und wohnuntauglich klassifizierte Großstadtensemble zeitgleich mit einem gefräßigen Immobilienmarkt als tauglich für’s tägliche Dasein entdeckten. Die 34-Jährige ist jetzt angekommen, mit einer Wohnung am Rande der Mainzer Altstadt. Sie hat hier Freunde gefunden, sich als Fan der Weinfeste entpuppt und ist jetzt Pendlerin – ein Schicksal, das sie mit rund 7.000 Mainzern teilt, die in Frankfurt ihre Brötchen verdienen und nach Feierabend den etwas langsameren Pulsschlag der Rheinhessen-Metropole zu schätzen wissen.

Es gibt aber inzwischen auch einen Trend in gegenläufiger Richtung: „Auffällig ist, dass vor allem die Zahl der Einpendler aus Wiesbaden und aus Frankfurt nach Mainz seit 2002 deutlich zugenommen hat. Lag Frankfurt 2002 noch an letzter Stelle der erfassten acht Rhein-Main-Kommunen, aus denen Einpendler nach Mainz kommen, hat es sich bis 2011 auf Platz drei vorgearbeitet. Konkret: 2002 kamen knapp 900 Frankfurter zur Arbeit nach Mainz, 2011 waren es bereits 1.400, so die Zahlen des hiesigen Amtes für Stadtentwicklung, Statistik und Wahlen.

Jana nimmt die Entwicklung in Mainz bewusst wahr, die Aufwertung der Gaustraße etwa, die sich durch neu angesiedelte, kleine Geschäfte vollzieht. Nun fährt sie, zwangsläufig, zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Auto. Die Mobilität verlangt es. Frankfurt wurde für sie zur Arbeits- und Dienstleistungsstadt. Eine Wahrnehmung, die sie mit vielen teilt. Frankfurt, die traditionsreiche Messe- und Handelsstadt hat reichlich Übung im Anpassen an das, was der Markt sucht.

Zwischen 2003 und 2012 hat sie die Zahl der Hotelübernachtungen in ihrer Stadt um rund 90 Prozent gesteigert. Mainz konnte im gleichen Zeitraum nur um rund 27 Prozent zulegen. Diese Daten brachte eine Untersuchung des Münchner Instituts dwif-Consulting ans Licht. Mainz, so fordern unisono das Mainzer Stadtmarketing und die Handelskammer Rheinhessen, müsse sich anstrengen, dass sich im Bereich Tourismus und Kongresse etwas entwickle. In Mainz belaufe sich der entsprechende Werbe-Etat auf 500.000 Euro, in Frankfurt auf 2,3 Mio. Euro.

Ende der Funkstille

Der Blick auf Frankfurt hat sich verändert – auch von offizieller Seite. Als mit Peter Feldmann, nach dem Machtwechsel in Wiesbaden, auch in Frankfurt ein SPD-Genosse das Zepter übernahm, verkündeten die beiden Stadtoberhäupter Anfang 2014 einen bisher nicht gekannten Schulterschluss. „Nach über zehn Jahren“, wie der Mainzer OB Michael Ebling betonte, spreche man nun wieder miteinander über weitergehende Formen der Zusammenarbeit.

Frankfurt habe ebenso wie die benachbarten Landeshauptstädte Mainz und Wiesbaden die gleichen Sorgen, mit Blick auf die kommunale Finanzlage und die damit verbundene Herausforderung, das soziale Netz und kulturelle Angebot funktionsfähig zu halten. Wie das im Bereich Kultur gehen kann, hat das Mainzer Staatstheater schon einmal vorgemacht. Beispiel: die Produktion „Evakuieren“. Dabei handelt es sich ursprünglich um eine Arbeit des Frankfurter Mousontheaters. Mit den Mitteln des Theaters wurde hier für das Verständnis eines regionalen Gefüges geworben.

Die Verbindungen, die sich seither zwischen dem Mainzer Staatstheater und dem Frankfurter Schauspiel bzw. Oper entspinnen, sind eher informell. Der Unterschied: Mainz ist geprägt durch teamorientiertes Arbeiten, in Frankfurt hat der Chef gerne den Hut auf. So macht Opern-Intendant Loebe den Spielplan am liebsten selbst. Es gibt Ensemble-Verbindungen, etwa wenn Sänger aus Mainz mal in Frankfurt aushelfen.

Allerdings kommt es umgekehrt eher seltener vor. Die Unterschiede zwischen beiden Häusern machen sich vor allen an den Zahlen fest: Verfügen Oper und Schauspiel Frankfurt über einen Gesamtetat von 81 Mio., muss das Mainzer Drei-Sparten-Haus mit knapp 26 Mio. auskommen, einem der geringsten Budgets der Theater in Deutschland

Tanztheaterfans aus Frankfurt

Doch nehmen kulturinteressierte Menschen aus Frankfurt eigentlich wahr, was am Mainzer Staatstheater so gespielt wird? „Durchaus“, betont Intendant Markus Müller. „Besonders auffällig war das im Oktober letzten Jahres, als ein Bahnstreik dafür sorgte, dass die besten Plätze im Parkett leer blieben.“ Das Tanztheaterstück Plafona Now hatte an diesem Abend Premiere.

Dass in Mainz aufregendes, zeitgenössisches Tanztheater gespielt wird, bemerkt ein interessiertes Publikum, das in Frankfurt zu Hause ist und nach der Abwicklung der dortigen Forsythe-Compagnie Ersatz sucht. Im Mainzer Staatstheater ist dieses Bedürfnis angekommen: „Wir senden das Signal aus und werden auch wahrgenommen“, so Intendant Müller.

Akzente über die Grenzen der Stadt hinaus setzte auch der frühere Leiter der Mainzer Kunsthalle, Thomas D. Trummer. War in Sachen moderner Kunst Mainz lange eher ein weißer Fleck auf der Landkarte und Frankfurt in der Region der stets beachtete und umworbene Platzhirsch (und ist es immer noch), hatte sich Trummer zum Ziel gesetzt, die Kunsthalle zum „grünen Leuchtturm, der weiter blinkt als nur über den Rhein“, auszubauen. Mit gutem Erfolg, doch wechselt er zum 1. Juni zwei Jahre früher als geplant an das renommiertere Kunsthaus in Bregenz. Seine Nachfolgerin, die Kunsthistorikerin Stefanie Böttcher aus Bremen, setzt nun seine Arbeit fort.

Der gemeinsame Motor, der die Entwicklung der beiden Großstädte vorantreiben soll, ist angeworfen, aber er benötigt noch etwas Zeit, bis er auf Touren kommt. Der Pressesprecher der Stadt Mainz Markus Biagioni dazu: „Aufgrund der zahlreichen rechtlichen Hürden mahlen hier die Mühlen etwas langsamer.“ Was die erreichten Ziele betrifft, benennt er einige konkrete Projekte: „Mainz wird in der Fluglärmkommission von der Umweltdezernentin Katrin Eder vertreten. Generell bietet das Gremium die Gelegenheit, wichtige Flughafenthemen direkt mit dem Flughafenbetreiber Fraport sowie der Luftverkehrswirtschaft zu erörtern.“

Aktuelle Themen sind das Lärmpausen-Modell, Routenführungen, deren Einhaltung etc. „Ein konkreter Erfolg des gemeinsamen Auftritts der beteiligten Kommunen ist die Vermeidung des so genannten Sankt-Florian-Prinzips(*)“, beschreibt Biagioni den bis jetzt erreichten Status Quo. (*Deutsche Redensart, die den Versuch umschreibt, von unangenehmen Maßnahmen verschont zu bleiben, indem man sie auf andere schiebt.)

Gelassenheit ist angesagt. Fotograf Ramon Haindl blickt entspannt auf seinen früheren Wohnort zurück: „Mainz eignet sich gut dafür, etwas anzupacken. Andererseits verändern sich auch die Strukturen des kreativen Arbeitens, die den Standort in den Hintergrund rücken lassen.“ Für sein neues Umfeld hat er sich einen kritischen Blick bewahrt: „Frankfurt verspricht dir das Falsche, nämlich eine Metropole zu sein, die es in Wirklichkeit nicht ist.“