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Krise: Wie sich Corona auf die Kultur-Szene auswirkt

Sängerin Silke Vorrath (Foto: Marc Fippel Fotografie)

Abgesagte Veranstaltungen, gecancelte Premieren, verschobene Ausstellungen – für die Mainzer Kunst- und Kulturszene ist die Corona-Krise eine große Herausforderung. Viele freie Künstler plagen Existenzängste, denn nicht alle erhalten staatliche Unterstützung.

Schockstarre und Hilflosigkeit
„Es war ein Gefühl, als ob mein Beruf dem plötzlichen Herztod erlegen ist“, beschreibt Schauspielerin und Sängerin Silke Vorrath den Moment, als alle Termine für dieses Jahr nach und nach gestrichen wurden. „Da ist jetzt ein schwarzer Abgrund.“ Seit 13 Jahren tritt sie mit ihrer Band „LateLounge“ auf Straßenfesten, Hochzeiten oder Beerdigungen auf. Nichts davon ist gerade möglich. Zum letzten Mal auf der Theaterbühne stand sie am 14. März in den Mainzer Kammerspielen. Auch hier ist offen, wie es für sie weitergeht. „Als freiberuflichselbstständiger Bühnenmensch gibt es kein Netz und keinen doppelten Boden. Niemand weiß, ob wir aus diesem Koma wieder aufwachen und wenn ja, in welchem Zustand.“ Damit sei schwer umzugehen. Silke hat fassungslose Schockstarre und Hilflosigkeit erlebt und wochenlang nicht schlafen können. Weil sie keine Betriebskosten im klassischen Sinne hat, bekommt sie auch keine Corona-Soforthilfe und fällt bei anderen staatlichen Unterstützungen durch das Raster. „Wir werden im Regen stehen gelassen. Die Hilfsangebote sind Augenwischerei und der Staat entzieht sich der Verantwortung.“ Aufgrund der Umstände ist sie jetzt dazu gezwungen „zu betteln“, die wenigen Auftritte laufen als Hutkonzerte. Das sei „unglaublich demütigend“.

Optimismus hilft Zauberer Christoph Demian durch die Zeit Foto: Hagen Schmauss

Finanzielles Fiasko
Ähnlich geht es dem Mainzer Zauberkünstler Christoph Demian. „Der Weg, den ich dieses Jahr gehen wollte, ist vor meinen Augen weggebröckelt“, sagt er über die Auswirkungen der Krise auf seinen Beruf. Normalerweise ist er im deutschsprachigen Raum unterwegs, um Menschen mit seiner Zauberei zum Staunen zu bringen. Doch die Pandemie machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Mitte März wurden innerhalb einer Woche sämtliche Shows abgesagt.“ Nach dem ersten Schock hat sich Christoph der Situation angepasst und die gewonnene Zeit alten Zauberbüchern und einem neuen Repertoire gewidmet, die Straßenzauberei für sich wiederentdeckt und Corona-konforme Kunststücke kreiert. Seine Zauberei im Internet zu streamen kam für ihn aber nicht in Frage. „Meine Magie basiert auf Interaktion. Ich brauche die Begegnung und das Publikum.“ Trotzdem sei er halbwegs gut durch die Krise gekommen. Und das, obwohl der Zauberer sich finanziell allein über Wasser halten musste. Wie Silke Vorrath bekam auch er keine Soforthilfe. „Die angepriesenen Hilfen klangen nach außen hin toll, doch im Endeffekt kam von staatlicher Seite nichts an“, sagt er. In der Kunstund Kulturszene erlebe er deshalb viel Pessimismus. Es gäbe die Gefahr, dass Kulturschaffende das Gefühl bekämen, nicht relevant zu sein. „Aber wie wäre es, wenn wir plötzlich kein Buch, keinen Film und keine Musik mehr hätten? Sehr still…“

Pakete statt Parkett
Claudia Wehner, Regisseurin und im Leitungsteam der privatwirtschaftlich geführten Mainzer Kammerspiele, kritisiert die Form der staatlichen Hilfsmaßnahmen: „Sie sind oft unsystematisch und nicht gerecht.“ Sie bestätigt, dass in der Szene aktuell viel Unmut auf- kommt nach dem Motto „Die kriegt was, ich kriege nichts.“ Ein Problem sei, dass die Unterstützungen von Bund und Land teilweise an nicht nachvollziehbare Bedingungen, wie eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse geknüpft seien. Trotz der widrigen Umstände werde es die Kammerspiele auch in Zukunft geben – dank der Soforthilfe der Stadt und einer treuen Kundschaft. Im September soll der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden. Ein Stück wurde sogar schon Anfang Juli uraufgeführt: eine Tenniskomödie auf dem Tennisplatz des TV Grün-Weiß Mainz. Man versucht eben kreativ mit der Krise umzugehen. So seien auch die meisten der rund 100 freiberuflichen Künstler, die für die Kammerspiele arbeiten, positiv-denkend geblieben. So hätte man sich eben einen Job gesucht und liefert nun vorübergehend Pakete aus …

 

Kinobetreiber Eduard Zeiler (li.) und Jochen Seehuber haben wieder geöffnet. Foto: Stephan Dinges

Krisensichere Kinos
Entwarnung geben Eduard Zeiler und Jochen Seehuber. Beide sind seit 2009 Betreiber der Programmkinos Capitol und Palatin: „Die Leute müssen sich keine Sorgen machen, dass wir schließen.“ 2019 war das bisher beste Jahr. Besonders die Monate vor der Krise sind gut gelaufen. Obwohl ihre Kinos am 14. März für dreieinhalb Monate ihre Türen schlossen, die Leinwände dunkel und die Popcornmaschinen kalt blieben, steht das Weiterbestehen des Mainzer Kleinods nicht auf dem Spiel. Neben der guten Ausgangslage und der Corona-Soforthilfe lag dies an einer Gutscheinaktion und an Spenden. Auf diese Art habe man alle 17 Mitarbeiter halten können. Seit Anfang Juli läuft der Kinobetrieb wieder an – mit 20 Prozent Kapazität sowie Hygiene- und Abstandsregeln.

Nicht alles ist schlecht
Halbwegs glimpflich verlief die Krise auch für die Malerin Susanna Storch. „Ich hatte eine nicht so schlechte Zeit…“ Susanna hat das Beste aus der Situation gemacht, die Zeit mit ihrer Familie genossen, renoviert und parallel an ihren Gemälden gearbeitet. „Ich kann nicht klagen“ meint sie, doch spurlos ging die Krise an ihr nicht vorbei. Ein Gemäldeverkauf platzte. Geplante Ausstellungen fanden nicht statt. Erst Ende Februar hatte sie ihr neues Atelier im Kirschgarten in der Altstadt bezogen. Im März sollte die Eröffnungsfeier stattfinden. „Dann musste ich alles absagen.“ Zudem hat sie nicht gewusst, ob sie ohne Einnahmen das neue Atelier halten kann und deswegen staatliche Unterstützung beantragt. Damit und mit einem Gemäldeverkauf an Berliner Touristen, sei dies zumindest jetzt gesichert.

Malerin Susanna Storch malte zwei Monate zu Hause. Am 11. und 12.
Juli eröffnet sie jedoch ihr neues Studio im Kirschgarten (Altstadt)
Foto: Katharina Dubno


Ungewisser Ausgang
Die Corona-Krise trifft nicht alle Akteure der Kunst- und Kulturszene gleich. Das Ensemble des Staatstheaters etwa ist durch feste Arbeitsverträge geschützt. Auch hier wird der Betrieb langsam wieder aufgenommen. Anders steht es um die Clubszene und Events. Weil die staatliche Unterstützung nicht ausreicht, kämpfen viele ums Überleben. Mit den aktuellen Auflagen sind lukrative Veranstaltungen kaum realisierbar. Mainzer Kulturschaffenden steht noch eine längere Durststrecke bevor – mit ungewissem Ausgang.

Hannah Weiner