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Kommunalwahlen: Braucht Mainz eine neue politische Kultur?

Während ein anonymes Schreiben die Stadtverwaltung erschütterte, blickt man mit Spannung auf die Kommunalwahl am 26. Mai. In dem Schreiben von vorgeblichen Mitarbeitern der Stadtverwaltung gab es viele Beschuldigungen gegen Dezernenten und Geschäftsführer von städtischen Gesellschaften. Das Schreiben wurde bisher nicht – oder nur in Teilen – veröffentlicht. Alle Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück.Die Staatsanwaltschaft ermittelt bzw. prüft dennoch nach allen Richtungen. Ein Großteil der Vorwürfe scheint aber nicht haltbar zu sein.

Auch OB Michael Ebling (SPD) stellte Strafanzeige und bloggt nun zum Gegenangriff auf www.michael-ebling-blog.de. Kurz vor der Kommunalwahl ist der Ruf einiger dennoch leicht angekratzt. Ein Geschmäckle bleibt. Wenn mit Dreck geworfen wird, bleibt immer etwas zurück, heißt es. Doch der Sturm im Wasserglas scheint kleiner als gedacht. Der wahre Sturm tobt ganz woanders:Mainz befindet sich im Umbruch. Viele Projekte sind im Aufbruch, man denke an die Ludwigsstraße und alles, was mit Bauen zu tun hat: Infrastruktur, Rathaus, Rheingoldhalle, Schloss und natürlich das Dauerthema Wohnraum. Es gibt viel zu tun. Und die Art, wie es getan wird, löst nicht nur überall Wohlgefallen aus. Auch die Unzufriedenheit wächst.

Infoabend Kommunalwahl VRM – – Foto: Harald Kaster

Was wird gewählt?

Diverse Ortsbeiräte, Ortsvorsteher, Stadträte – 60 Namen sind gelistet. Die können mit jeweils bis zu drei Stimmen gewählt werden. Insgesamt zwölf Parteien und Wählergruppen stellen sich zur Wahl: Neben CDU, SPD, Grünen, FDP, Linken, ÖDP, AfD, Freie Wähler und Piraten, auch das „Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit (BIG)“, die pan-europäische Partei „Volt“ und „Die Partei“. 100 hauptamtliche Mitarbeiter der Stadtverwaltung werden am Wahlsonntag und -montag mit zusätzlichen 2.500 Helfern im Einsatz sein. Spannend wird es dieses Mal insbesondere um die SPD. Wird der alteingesessene Gaul Stimmen verlieren? Was macht die AfD? Und wie könnte generell eine Koalition aussehen? Seit einigen Wochen profilieren sich die Politiker und buhlen um Stimmen. Da wird das zart sinkende Haushaltsdefizit als Erfolg verkauft, die positive Müllentsorgung herausgestellt oder noch schnell der vermeintliche Durchbruch an der Ludwigsstraße verkündet. Auch Forderungen des politischen Gegners, wie die Bereitstellung von Park&Ride Parkplätzen nehmen plötzlich konkrete Form an. Gleichzeitig versuchen sich die Parteien auch voneinander abzugrenzen; SPD und Grüne beinahe gegeneinander. Die Grünen wollen zweistellig werden in Rheinland-Pfalz, und in Mainz sogar Erster. Sylvia Köbler-Gross führt die grüne Liste auf dem ersten Platz an, Altstadt-Ortsvorsteher Brian Huck ist auf Platz vier. Auch viele neue Namen sind dabei. Bei der SPD kandidiert Andreas Behringer als Ortsvorsteher für die Altstadt. Für den Stadtrat steht die Weisenauerin Alexandra Gill-Gers auf dem ersten Listenplatz, Marc Bleicher aus Finthen auf dem zweiten, dahinter Myriam Lauzi und Johannes Klomann (Ortsvorsteher der Neustadt). Als stärkste Opposition im Stadtrat kritisiert die CDU die „Ampelkoalition des Stillstands“ und fordert unter anderem eine Auflockerung des Zentrenkonzepts und mehr Bäume in der Innenstadt (sic). Im kulturellen Bereich sei man bestrebt, Mainz als europäische Kulturhauptstadt 2025 vorzuschlagen und das römische Bühnentheater bespielbar zu machen. Spitzenkandidat der Christdemokraten ist Hannsgeorg Schönig, gefolgt von der Bundestagsabgeordneten Ursula Groden-Kranich und der CDU-Kreisvorsitzenden Sabine Flegel.

Michael Ebling (SPD): Es gibt auch andere Interessen zu berücksichtigen (Foto: K. Dubno)

Wie geht es aus, wer hat Chancen?

Im aktuellen Stadtrat herrscht die Ampelkoalition mit 32 von 60 Sitzen. Sie wurde im Dezember 2009 erstmals in Mainz gebildet und am 8. Oktober 2014, nach der letzten Kommunalwahl, fortgeführt. Wenn sich die SPD weiter verschlechtern sollte, könnte es für sie dünn werden. Umso mehr ist sie auf ihren bisherigen Partner „Die Grünen“ angewiesen. Mit Prognosen halten sich jedoch alle Akteure zurück, doch die Lage ist heiß. Wie gesagt: Die Unzufriedenheit wächst. Nicht wenige Bürger wünschen sich eine neue politische Kultur in Mainz. Ausdruck fand dieser Wunsch vor allem und insbesondere in der Debatte um den Bibelturm (den einst geplanten Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums). Hier positionierten sich weite Teile des Bürgertums gegen die vermeintlich herrschende politische Kultur oder Klasse, und man setzte sich im ersten Mainzer Bürgerentscheid am 15. April 2018 gegen den Bau durch. Das galt zugleich als positives Signal für andere Bürgerinitiativen (BIs): sei es die BI Ludwigsstraße, die BI gegen die Mülldeponie im Laubenheimer Steinbruch oder die neueste gegen Schiffsanleger am Neustadt-Ufer. Man will nicht mehr nur regiert und überhört werden, sondern fordert vor allem Transparenz und Bürgerbeteiligung. Die Stadt entwickelt seitdem verstärkt Leitlinien für derartige Prozesse. OB Ebling: „Es gibt aber auch andere Interessen zu berücksichtigen. Der Aktivitätsgrad einer Initiative muss nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal sein.“ Vermehrt wirken BIs dennoch dem bestehen System entgegen. Neue (politische) Akteure tummeln sich auf dem Schachbrett.

Oberbürgermeister-Wahl im Oktober

OB Kandidat Nino Haase: Der Oberbürgermeister hat acht Jahre Zeit gehabt und ist in seinen Wahlversprechen keinen Schritt vorwärts gekommen.

Allen neuen Akteuren voran ist einer der Sprecher der BI gegen den Bibelturm: Nino Haase (36 Jahre). Er tritt im Oktober sogar bei der Direktwahl zum Oberbürgermeister gegen den amtierenden Michael Ebling (SPD) an. Der parteilose Haase wurde im Februar von der CDU nominiert. Auch durch seinen Auftritt bei Stefan Raab (Schlag den Raab), wo er vor zehn Jahren 3 Millionen Euro gewann, ist er vielen ein Begriff. Der gebürtige Dresdner lebt mit seiner Partnerin in der Altstadt und ist Vater eines Sohnes. Die CDU-Kreisvorsitzende Sabine Flegel betonte, dass sich der Kreisvorstand bewusst dafür entschieden habe, in der OB-Frage neue Wege zu gehen: „Wir wollen frischen Wind ins Rathaus bringen, verkrustete Strukturen aufbrechen und parteiübergreifend Menschen aus allen Generationen gewinnen. Wir sind fest davon überzeugt, dass Nino Haase beste Chancen hat.“ Haase sieht sich aber nicht nur als Parteisoldat. Ihm gehe es um Inhalte: „Mainz braucht einen Neustart. Und genau dafür stehe ich.” Mehr Transparenz, Stärkung von Stadtrat und Ortsbeiräten, Änderung des politischen Führungsstils und Kompetenzen abgeben, das sind seine Schlagworte: „Die Verwaltung muss moderner aufgestellt werden. Da fehlt der Wille an der Spitze dazu.“ Die Bilanz der Ampel sei schwach, der Schuldenstand immer noch unglaublich. „Und die Rathaus-Kosten explodieren – hier droht eine Mainzer Gorch Fock oder BER. Das wird der finanzielle Todesstoß der Stadt!“ ist sich Haase sicher.

Der amtierende OB wird dabei auch abgewatscht: „Herr Ebling ist zu beliebig. Beim Bibelturm hat er sein Fähnchen im Wind drehen lassen und seine Baudezernentin nach vorne geschickt. 50.000 haben letztlich dagegen gestimmt – der OB wurde mit 26.000 Stimmen gewählt. Da sieht man das Potenzial für die OB-Wahl. Er hat acht Jahre Zeit gehabt und ist in seinen Wahlversprechen keinen Schritt vorwärts gekommen.“ Haase schaltet auf Konfrontation. Geht es nach ihm, soll künftig auch die Expertise in den Aufsichtsräten der städtischen Gesellschaften gestärkt werden. Durch verpflichtende Schulungen der Stadträte aber auch durch Bürger mit Qualifikation. Auch müsse man über eine Verschlankung der Gesellschaftsstruktur nachdenken.“ CDU-Chef Schöning dazu in der AZ: „Ich kann seine Anliegen sehr gut verstehen. Aber in manchen Fragen ist er auch noch unerfahren.“ Ganz in Einklang stehen Haase und die CDU so nicht und auch SPD und Grüne äußern sich zu manch einer These skeptisch. Ob der Trend zu parteilosen Kandidaten sich daher in Mainz Bahn bricht? Ebling und Haase könnten unterschiedlicher zumindest kaum sein. Auf der einen Seite der diplomatische Verwaltungsmensch und -kenner, auf der anderen Seite ein frisch denkender, eloquenter, unabhängiger Kandidat. Die Unterstützung der kleineren Parteien wie ÖDP, und der freien Wählergruppe hat Haase sicher. Doch bis zum möglichen Sieg ist es noch ein weiter Weg. Zudem stellen die Grünen nach der Kommunalwahl ebenfalls einen OB-Kandidaten bzw. Kandidatin auf, wahrscheinlich Katrin Eder oder Tabea Rößner. Und auch freie Kandidaten werden sich sicherlich noch bewerben.

Eine neue politische Kultur

Andreas Behringer von der SPD fordert eine neue politische Kultur

Frischen Wind wünschen sich also nicht wenige. Vor allem natürlich die Oppositions-Parteien. Aber auch aus etablierten Reihen kommt Kritik. Andreas Behringer von der Altstadt-SPD fordert eine neue politische Kultur. Dazu gehört auch eine transparentere Verwaltung. Als Stadtrat sieht er sich oft in der Rolle eines Abnickers von Vorlagen, die oft in anderen Gremien beschlossen wurden. (Stadträte entscheiden in einer quasi ehrenamtlichen Tätigkeit über etwa 1.000 Vorlagen im Jahr.) Auch das Prozedere der Koalitionsbildung und den Zwang zur einheitlichen Abstimmung innerhalb einer Partei sieht er kritisch: „So etwas führt zum Gefühl der Teilung, jeder gegen jeden.“ Zudem ist der Stadtrat auf fünf Jahre gewählt, die Dezernenten aber auf acht Jahre. Was OB Ebling als Kontinuität würdigt, nimmt Behringer als ein zu geringes Maß an Kontrolle wahr: Stadträte entschieden so in ihrer Amtsperiode teilweise gar nicht über Dezernenten-Posten. Ähnlich sieht es Britta Werner von den Piraten: „Nino Haase könnte die verkrustete Lehmschicht im Politikbetrieb aufweichen.“ Auch sie wünscht sich mehr Zeit und Grundsatzdebatten im Rat: „Die Entwicklung der Leitlinien zur Bürgerbeteiligung ist eine reine Alibi-Veranstaltung. Es muss auch mal etwas umgesetzt werden. Raus aus den Scheuklappen!“ fordert Werner. Und was sagen die Freien Wähler? „Wir müssen weg, dass Entscheidungen in Hinterzimmern diskutiert werden“, kritisiert Kurt Mehler und ergänzt: Die Debattenkultur im Stadtrat sei zudem verletzend bis unwürdig. Darin sind sich viele einig. Sogar Thomas Gerster von der CDU nennt es „eine Schande“. Doch Ebling hält dagegen: „Wir haben einen selbstbewussten und engagierten Stadtrat. Wir sind in der Lage zu streiten, aber auch Konsens zu finden. Und wir entscheiden zu großen Teilen einstimmig. Das ist ein Merkmal einer guten Kultur.“

Claudius Moseler (ÖDP) fasst noch einmal die wichtigsten Forderungen zusammen: Bürger einbinden! Mehr Transparenz! Mehr Zeit für Stadträte, um abzustimmen und sich zu informieren! Ortsbeiräte stärken! Und Fraktionssolidarität ja – aber gewisse Themen sollten unterschiedlich gesehen werden dürfen: „Intern wird zu viel Druck ausgeübt!“ CDU Mann Gerster sieht im Bibelturm das Symptom für Unzufriedenheit und „Arroganz“ der SPD und Ampelkoalition: „Es verschleißt sich einiges, wenn man solange an der Macht ist.“ Ihm fehlt es an einer Sensibilität, was der Bürger will und was gut ist für die Stadt. „Wir haben zu viel Verwaltung und zu wenig Neugestaltung.“ Auch Katrin Eder (Grüne) kann den Frust der kleinen Parteien verstehen: „Dass die das Gefühl haben, sie werden platt gestimmt, wo es nur geht. Aber das Ganze ist ein lernendes System.“ Ebling sieht sich jedenfalls beim Thema Bürgerbeteiligung weiterhin als Vorreiter. Vor einem Jahr habe er die Leitlinien dazu angestoßen: „Auch Bürgerforen gab es erst, seitdem ich hier eingezogen bin. Es ist weniger, dass es die Möglichkeiten nicht gäbe, als das nicht immer alle Interessen durchgesetzt werden können. Auch Bürgerbeteiligung ist nicht frei von Fehlern und spiegelt nicht immer das Gesamtinteresse einer Stadt wider.“ Den Entscheid zum Bibelturm sieht er dennoch als: „durchweg positiv. Das Ergebnis war gut. Denn es hat Klarheit geschaffen.“

Wie auch immer. Mit Spannung werden die Wahlen erwartet. Gibt es nun eine (große) Veränderung oder nicht? Wird die SPD vom Sockel gestoßen? Und was macht eigentlich die EU-Wahl? Man wird sehen. Und es wird dauern. Manch einer befürchtet sogar Stillstand bis Jahresende. Denn die Verhandlungen könnten sich inklusive OB-Wahl bis Dezember hinziehen … Die Spiele mögen also beginnen!

Text David Gutsche Fotos Stephan Dinges

1 response to “Kommunalwahlen: Braucht Mainz eine neue politische Kultur?

  1. Andreas Behringer von der SPD fordert eine neue politische Kultur. Und das ist gut und wichtig. Ich freue mich darüber, es in der SPD endlich neben den klassischen Parteisoldaten auch junge kritische Akteure gibt.

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