Im Mainzer Stadtteil Finthen gibt es eine lange Pferde-Tradition. Sie gehören zum Stadtbild, doch die durch die Straßen laufenden Vier-Hufer werden weniger. Wo in Mainz noch Pferde mitten im Ort gehalten werden. Ein Besuch:
Es klappert auf dem Asphalt. Einige Passanten schauen neugierig, wenn Bärbel Andres ihr Pferd Tiziano von der Finthener Pferde-Koppel durch die Straßen des Mainzer Stadtteils in Richtung Stall führt. „Die meisten hier sind längst daran gewöhnt, dass Pferde über die Straße laufen, sie gehören hier in Finthen einfach dazu“, erklärt Andres. Die tägliche Strecke zwischen Koppel und dem Hof ist einen Kilometer lang, genug, um hin und wieder in brenzlige Situationen zu geraten. Ein Auto fährt vorbei. Für die 59-jährige Reitwärtin und Tiziano nicht immer erfreuliche Momente: „Manchmal gibt es unschöne Begegnungen mit Autofahrern, die extra beschleunigen und zu nah an uns dran sind, wenn sie an uns vorbeifahren.“ Nicht alle Anwohner gehen also sensibel mit den Pferden im Stadtbild um.
Zweisamkeit
Bärbel Andres biegt mit ihrem 21 Jahre alten Tiziano um die Ecke in den Hinterhof ihres Hauses. Dort befindet sich der Pferdestall, mitten im Ort, einzig und allein von einem kleinen Metalltor von der Straße getrennt. Andres führt den „Hausstall“ in der dritten Generation und denkt nicht ans Aufhören: „Ich mache das so lange weiter, wie es mir möglich ist. Einige Hinterhofställe sind in den vergangenen Jahren eingegangen, dieser wird bleiben.“ Der Hinterhofstall der 59-Jährigen bietet Platz für zwei Pferde, und so lugt die 22-jährige Stute Sumita vorsichtig um die Ecke, wenn Tiziano zurück ist. Anders als Tiziano, der sein ganzes Leben bei Bärbel Andres verbracht hat und sogar hier geboren ist, ist Sumita angemietet. Seit drei Jahren teilen sich die beiden „Pferderentner“ den Platz in Andres‘ Hinterhof. Die 59-Jährige erklärt: „Es muss immer mindestens zwei Pferde geben, sonst wird vieles dysfunktional.“
Morgens bis abends
Bärbel Andres ist Vorsitzende des Finthener Reitvereins und legt viel Wert darauf, dass ihre beiden Pferde genug Auslauf finden. „Es gibt Reitschüler, meist jüngere Menschen, die den beiden reichlich Ausritt ermöglichen.“ Sie selbst kümmert sich vor allem um die Pflege und Betreuung. Der Alltag steht voll und ganz im Zeichen der Pferde. „Los geht es morgens um 6 Uhr und hört abends erst auf.“ Tiziano und Sumita müssen drei Mal am Tag gefüttert werden. Praktisch an den Hinterhofställen: Es gibt keinen Arbeitsweg. Pferdehalter wie Bärbel Andres können spontan und rund um die Uhr auf die Bedürfnisse der Vier-Hufer eingehen.
Mit dem Pferd zum Bäcker
Ein paar Straßen weiter ist der nächste Hinterhofstall zu finden. Anders als Andres‘ beschaulicher Hof gleicht der von Linda Kohl eher einem kleinen Bauernhof. Von der Straße ist jedoch nur das Haus zu sehen, in dem die gelernte Bürokraft wohnt. Aktuell besitzt Linda Kohl neun Pferde. Der Stall hätte aber durchaus die Kapazitäten für eine zweistellige Anzahl. Das jüngste Pferd ist 2 Jahre alt, das älteste 28. Um allen genug Ausritt zu ermöglichen, arbeitet auch Kohl mit Reitbeteiligungen. Sie selbst sei noch nie daran interessiert gewesen, selbst auf einen Sattel zu steigen: „Das machen mein Mann und meine Tochter. Ich kümmere mich um die Versorgung und den Zustand des Stalls.“ Linda Kohl geht stattdessen mit den Pferden durch Finthen spazieren. Und so führt der Weg auch schon mal morgens zum Bäcker. „Wenn ich was erledigen muss, nehme ich ein Pferd gerne mal mit. So kommt es manchmal vor, dass ich mit einem der Tiere um die Ecke Brötchen hole.“ Den Stall betreibt sie seit zwanzig Jahren. „Ich war mein ganzes Berufsleben im Büro am Schreibtisch, dann bin ich von heute auf morgen ausgestiegen und betreue seitdem den Hof. Meine Tochter wollte damals unbedingt reiten und so haben wir uns entschieden, das Heft selbst in die Hand zu nehmen.“
Eine Tradition stirbt aus
Der Arbeitstag ist lang. Von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends ist Kohl für ihre Pferde da. Sieben Tage die Woche – eine Rundum-Beschäftigung. An Urlaub ist nicht zu denken. Für die 70-Jährige ein Grund, bald aufzuhören: „Lange mache ich das nicht mehr.“ Und laut der gebürtigen Fintherin gibt es noch keine Perspektive, dass der Hinterhof weitergeführt wird, wenn sie in Rente geht: „Ich werde in absehbarer Zukunft aufhören. Was dann mit dem Hof und den Pferden passiert, kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Genauso wie Bärbel Andres erinnert sich Linda Kohl an pferdereichere Zeiten in Finthen zurück: „Früher gab es jede Menge Hinterhofställe. Dieser wird vielleicht genauso eingehen wie die anderen.“
Text: Leonard Rosch
Fotos: Melanie Billian