Wie mag sie ausgesehen haben, die Keltin, die in Mainz bestattet wurde? Wie hat sie gelebt? Ihre Grabstätte wurde 1999 bei den Ausgrabungen des römischen Isis- und Mater Magnum-Heiligtums gefunden. Diese Kultstätte stammt aus der Zeit von 13/12 v. Chr., als mit dem Bau des Legionslagers die römische Geschichte von „Moguntiacum“ begann.
Die Vertreter der nach ihrem bevorzugten Bestattungsritus benannten Urnenfelderkultur, die Vorläufer der ersten Kelten waren, lebten links und rechts des Rheins in lockeren Familien- und Hofverbänden, die ab 1.300 v. Chr. langsam zu größeren Stammesgruppen mutierten. In den Händen der landbesitzenden Patriarchen, des untereinander sozial gleichgestellten „Schwertträgeradels“, lag die politische Autorität über die übrige Bevölkerung.
Kelten in Mainz
Der Name „Kelten“ stammt von den Griechen und der Name „Germanen“ wiederum von den Ke4griechischen Schriftstellern über die Kelten, etwa von Hekataios von Milet, erzählen um 500 v. Chr. von keltischen Bewohnern hinter Marseille. Die klassische keltische Kultur ist die Latènekultur (auch als jüngere Eisenzeit bezeichnet), die uns ab etwa 450 v. Chr. bis gegen Christi Geburt begegnet. Hier erreichte die keltische Kultur eine Blütezeit. Auch die Mainzer Region war keltisches Gebiet. Hier lebten die Aresaken, ein Stamm der Treverer. Eine keltische Siedlung aus vorrömischer Zeit wurde beim heutigen Weisenau entdeckt, eine weitere lag auf dem Gebiet von Bretzenheim. Unsere Mainzer Keltin, sie war zwischen 35 und 45 Jahre alt, muss eine hochgestellte Dame gewesen sein, was die Wissenschaftler an den Grabbeigaben herauslesen. Sie trug eiserne Armringe und neben ihr standen ein Totenservice, in dem der Verstorbenen Speisen mitgegeben wurden, sowie eine Bernsteinperle, die vielleicht ihr Amulett war. In der „Taberna archaeologica“, wie das kleine Museum unter der Römerpassage genannt wird, ist der Bestattungsplatz rekonstruiert.
Kelten oder Gallier?
Eine gute Vorstellung über keltisches Leben vermitteln die Mitglieder der Gruppe „Teutates“, die sich mit der Geschichte der Kelten im südhessischen Gebiet in der Zeit vor den gallischen Kriegen befassen (58 bis 51/50 v. Chr.). Wer aufmerksam Asterix gelesen hat oder im Lateinunterricht Cäsars „De Bello Gallico“ durchnahm, kennt das römische Alesia, heute Alise-Sainte-Reine in der Region Bourgogne-Franche-Comte. Hier haben im Jahr 52 v. Chr. die Legionen von Julius Cäsar die vereinigten keltischen Stämme der Averner unter ihrem Anführer Vercingetorix besiegt. Die keltischen Regionen von den Pyrenäen bis zum Rhein wurden von Cäsar als Gallien bezeichnet. Unsere Mainzer Keltin war also, Cäsar zufolge, eine Gallierin.
Wie lebten die Kelten?
Nicht nur das Wissen um die historischen Zusammenhänge ist Organisationen wie „Teutates“ wichtig. Sie pflegen vor allem auch die Kenntnis der alten Handwerke: Metallverarbeitung, Herstellung von Waffen, Spinnen, Weben oder Töpfern sind Kenntnisse, die sie sich angeeignet haben und gerne weitergeben. Bei der Gestaltung der Objekte greifen sie auf Grabungsfunde zurück und verwenden dabei originale Muster und Ornamente. Die Handwerkstechniken werden bei Veranstaltungen vorgeführt. Dabei trägt die Truppe die entsprechende, selbst angefertigte Kleidung. So sieht die Kleidung von Brigitte Pohl, die eine Keltin aus der Zeit der Latène-Kultur um 400 v. Chr. verkörpert, aus wie die Garderobe unserer Keltin: ein Rock aus gewebter Wolle, gesäumt mit einer Borte in Band-oder Brettchenweberei, eine leinene Bluse, ein breiter Gürtel aus Bronze, eine Kettemit gläsernen Perlen und das Bernstein-Amulett. Den Kopf bedeckt ein Schleier aus dünnen Leinen, der mit Bronzenadeln am hochgesteckten Zopf befestigt ist. Eine Keltin aus der Zeit um 100 v. Chr. stellt Sonja Eißmann dar, die Ansprechpartnerin der Keltengruppe „Teutates“. Das schlichte Gewand aus grüner Wolle über der Leinenbluse wird auf den Schultern von Bronzefibeln zusammengehalten. Gegen Wind und Wetter schützte ein wollener Überwurf, mit gewebtem Band eingefasst. Auch andere Gruppen haben sich der Übermittlung keltischer Tradition verschrieben. So war „CARNYX“ aus Rottenburg am Neckar (benannt nach der keltischen Kriegstrompete) 2017 zu Gast im Mainzer Landesmuseum. Sie zeigten als „Living History“ handwerkliche Techniken aus der Keltenzeit. Die keltischen Stoffe, vor allem das feingewebte Leinen, sollen auch bei den eleganten Römerinnen sehr begehrt gewesen sein und gehörte zur Handelsware, die über weite Strecken transportiert wurde. Spinnräder kannte man damals noch nicht. Sowohl Wolle als auch die dünnen Leinengarne wurden mit einer Fallspindel gesponnen. Die Farben wurden zumeist aus Pflanzen gewonnen, auch für die Karostoffe, wie sie vor allem für die Hosen der Männer typisch gewesen sein müssen.
Wie lebten die Kelten noch?
Bei Steinbach am Donnersberg konnte man ab 2003 eine keltische Siedlung am Originalplatz rekonstruieren und aufbauen. Umgeben von einem Palisadenzaun – der Eingang geschützt von zwei Wachtürmen – liegen die fünf Gebäude: Fachwerk mit tief herabgezogenen Schindeldächern. Die Anlage bot einer Sippe mitsamt ihrer Tierherde eine sichere Heimstatt. Das größte der Gebäude war das Haus des Häuptlings, über demEingang prangt archaisch ein behornter Tierschädel. Die ganze Familie lebte und arbeitete in einem Raum zusammen, auf einer offenen Feuerstelle wurde gekocht. Kamine gab es nicht, der Rauch zog durch das Dach ab. Im Museumsdorf wird nicht nur die Bauweise der Häuser dargestellt, die Ausstellung zeigt Rekonstruktionen der schlichten Möblierung, handwerklicher Gerätschaften, Waffen, Schmuck und keltische Kleidung. Bei Führungen können vor allem Kinder einfache keltische Handwerkstechniken ausprobieren. Eine große keltische Siedlung lag auf dem Donnersberg selbst. Der Berg war in keltischer Zeit nicht bewaldet. Die Stadtanlage, „Oppidium Donnersberg“ genannt, muss weithin sichtbar gewesen sein. Um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. war sie wohl wirtschaftliches, politisches und vielleicht auch religiöses Zentrum der hiesigen keltischen Stämme. Am Originalplatz rekonstruiert wurden Teile der beeindruckenden fünf Meter hohen Bruchsteinmauer, von der die Stadt umgeben war. Beim Hunsrückdorf Bundenbach wurde ebenfalls eine keltische Siedlung rekonstruiert. Um die Zeit des 1. Jahrhunderts v. Chr. errichteten die Bewohner eine mehrere Kilometer lange Befestigung, ähnlich der Trockenmauer um das Oppidium auf dem Donnersberg. In der Mitte der Siedlung befand sich ein freier Platz für Versammlungen, Rechtsprechung und kultische Handlungen. Die dort errichtete hölzerne Stele eines keltischen Häuptlings verweist mit ihrem mistelblattartigen Kopfschmuck auf die am Glauberg in Hessen aufgefundene, überlebensgroße Sandsteinstatue. Diese stammt aus einem Fürstengrab, das mit seinen reichen Funden zu den wichtigsten Ausgrabungsstätten keltischer Kultur gehört. Der Grabhügel wurde rekonstruiert. Die Funde sind im nahen Forschungszentrum mit angegliedertem Museum „Keltenwelt am Glauberg“ ausgestellt.
Was aßen und tranken die Kelten?
Die Kelten bauten Gerste, Dinkel und Emmer an, die man gemahlen und gebacken oder als Brei gekocht servierte. Hirse, Kohl, Linsen und Erbsen ergänzen den Speiseplan, der wohl eher schlicht war. Fleisch wird es nicht täglich gegeben haben. Rinder und Schafe wurden gehalten, der Milch und Butter wegen. Besonders gerne verzehrt wurde Schweinefleisch – nicht nur von Wildschweinen, wie durch Obelix kolportiert. Gepökeltes Schweinefleisch war eines der Handelsgüter. Wichtigstes Küchengerät war der große Kessel, aus Ton oder Bronze, in dem über offenem Feuer der Eintopf gekocht wurde. Er diente sicher auch zum Vergären von Honigwasser zu Met oder dem Brauen eines Bieres – und vielleicht auch für den Zaubertrank… Wein aus Trauben kam – bis die Römer in Rheinhessen den Weinbau einführten – über die zahlreichen Handelswege in die keltischen Regionen und muss entsprechend teuer gewesen sein.
Fernstraßen und Handel
Die keltischen Siedlungen waren durch Straßen miteinander verbunden, deren Reste vereinzelt noch heute aufzufinden sind. Ein Beispiel ist der vorzeitliche Steinweg am Meisenberg bei Mehlingen, wo auch eine Steinallee und ein Menhir erhalten sind. Viele der „Pflasterstraßen“ wurden in der gallo-romanischen Zeit dann natürlich von den Römern weiter genutzt und ausgebaut. Die Handelswege führten aber schon in vorrömischer Zeit bis in entfernte Regionen. Wichtiges Handelsgut war Salz und vor allem auch Metalle und Geschmiedetes. Hierin erreichten die Kelten große Fertigkeit: Messer, Schwerter, Helme und Kettenhemden ebenso wie Schmuckstücke, Gewandnadeln und Fibeln, verziert mit den typischen Ornamenten. Wollstoffe und Leinen, keramisches Geschirr und keltisches Glas, zu Armreifen oder Perlen verarbeitet, sind als Funde lange nicht so gut erhalten, wie diese Metallarbeiten. Zwar waren die Kelten selbst nicht Urheber der zahlreichen Handwerkstechniken, aber sie übernahmen rasch Kenntnisse und Fertigkeiten von anderen Völkern und brachten sie zur Blüte. So kann man sagen, dass die Kelten zwar das Rad nicht erfunden haben, aber den zweiachsigen Wagen entwickelten – der Vorläufer der bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlichen Kutsche. Andererseits wurden Waren, chinesische Seide zum Beispiel, auch von weither „importiert“. Der Gott „Teutates“, der die Reisenden schützte, war auch der Beschützer der Geschäftsleute.
Keltische Mystik und Religion
Die Kelten glaubten an ein Leben nach dem Tod. Speisen als Grabbeigaben sind ein Hinweis darauf. Es existierte eine „Anderswelt“, in der, parallel zur wahrnehmbaren Realität, mehr als 400 Götter und Göttinnen neben Kobolden, Feen und anderen mystischen Wesen lebten. Die Druiden, als Gelehrte, Heiler und Priester, konnten die Verbindung zu dieser Welt herstellen. Da es keine schriftlichen Überlieferungen aus keltischer Zeit gibt, stützt sich die Forschung auf griechische oder römische Beschreibungen. Ob eine Opferschale, wie sie auf dem Orensberg gefunden wurde, auch zu Menschenopfern diente, ist nicht überliefert. Menhire, hohe, aufrechte, unbehauene Steine, die Kultstätten markierten, wurden in Rheinhessen zahlreich gefunden; einzelnstehend und natürlich längst nicht so spektakulär wie im englischen Stonehenge oder wie bei Carnac in der Bretagne. Leider wurden viele davon nicht am ursprünglichen Ort belassen. So wurden in Armsheim der „Dicke Stein“ und der „Spitze Stein“ im Zuge von Flurbereinigungen versetzt. Der dritte, „Hinkelstein“ genannte, Stein wurde in der Nähe seines ursprünglichen Standorts aufgestellt und immerhin verweist beim Autobahnrastplatz „Menhir“ zumindest der Name auf das steinerne Relikt. Die Funde aus dem Armsheimer Fürstengrab sind, zusammen mit den anderen zahlreichen Funden aus Rheinhessen und Mainz, im Landesmuseum zu besichtigen, wo sich auch der Kreis zu unserer Keltin schließt.
Text Ulla Grall Fotos Stephan Dinges