von Anne Winterhager Illustration: Lisa Lorenz
„Studenten wie Sie brauchen doch keine Küche. Die essen doch nur Dosenravioli.“ Der Makler lacht herzhaft und leckt sich die Lippen. Wir sind in der Küche bei einer Wohnungsbesichtigung in der Innenstadt und starren auf eine leere Wand. Ein paar einsame Kacheln vom Vormieter hängen noch und Drähte schauen aus dem Putz heraus, an denen man theoretisch Küchengeräte anschließen könnte.
Von einer Einbauküche keine Spur. „Finden Sie es normal, dass man bei einer Mietwohnung erstmal 2.000 Euro in eine Küche investieren muss?“, fragte ein gelockter Interessent. Der Makler hat etwas von einer Schildkröte. Er schaut nicht auf. „Ja, das ist durchaus normal. Leben in der Stadt ist kein Ponyhof mehr“, sagt er stoisch. „Das ist die Gentrifizierung“, flüstert eine rothaarige Frau neben mir ehrfürchtig. Ich nicke unmerklich. „Für 780 Euro bekommt man hier keine Wohnung mit Küche mehr, woanders kriegt man ein ganzes Haus zur Miete“, sagt sie. „Ja, zum Beispiel in einem Dorf irgendwo in Sachsen“, sage ich. Die Frau schaut mich irritiert an.
Gentrifizierung zum Anfassen
Gentrifizierung ist ein kompliziertes und lästiges Modewort und heißt so viel wie Verstädterung. Junge Leute wohnen lieber in einem überteuerten Schuhkarton in der Stadt anstatt sich auf dem Land ein dickes Einfamilienhaus zu bauen und eine achtköpfige Familie zu gründen. Man knubbelt und stapelt sich gerne in bestimmten, sehr zentralen Stadtteilen, wie der Mainzer Innenstadt. Mein Freund und ich suchen eine neue Wohnung in Mainz.
Unsere Höchstgrenze liegt bei 800 Euro warm, daher gestaltet sich unsere Suche oft unfreiwillig komisch. So kostet eine „traumhafte Wohnung mit Balkon“ mit 61 qm 987 Euro warm. Eine andere Wohnung akzeptiert für „ein junges Wohnen mit Flair“ nur Pendler, Singles und Nichtraucher und ein Typ namens „Luxury-Man“ schreibt aus dem Ausland: „Günstige, traumhafte Loftwohnung im Herzen von Mainz. Sie werden es nicht glauben!“ Genau …
Ein Lied für Sie, Herr Makler
Als wir vor drei Jahren nach Mainz zogen, war der Wohnungsmarkt noch hierarchisch organisiert. Die Makler hatten eine gesetzlich verankerte Machtposition inne und überarbeiteten sich nicht. Sie schlossen auf Massenbesichtigungen Türen auf, erwählten mit ausgestrecktem Zeigefinger einen Kandidaten aus der Menge: „Du! Dich will ich haben. Du siehst putzig aus.“ Daraufhin zeigt sich der Kandidat ungemein dankbar, dem Makler 2.000 Euro zahlen zu dürfen. Absurd? Nein, Gentrifizierung. Potenzielle Mieter hatten die Aufgabe, dem Makler irgendwie aufzufallen. Sie mussten am laufenden Band Kopfstand machen und Nasenflöte spielen. Mein Höhepunkt bei einer Besichtigung war ein indischer Opernsänger, der „Candle in the Wind“ sang. Er bekam die Wohnung.
Doch der Maklerjob hat sich nach dem 1.6.2015 grundlegend geändert. Nun gilt das so genannte „Bestellerprinzip“. Die Maklercourtage wird nicht mehr vom schicksalsergebenen Mieter bezahlt, sondern vom Vermieter. Sobald der Makler keinen Feldherren mehr spielen kann, hat er auch keinen Bock mehr auf seinen Job. Er zeigt sich inzwischen selbstmitleidig und möchte eigentlich nur zu Mutti. Unsere erste Besichtigung nach Juni zeichnete sich dadurch aus, dass die Maklerin nicht erschien. Wir warteten eine Stunde umsonst.
Bei einem anderen Termin hatte der Makler es sich zum Ziel gesetzt, die Mieter davon zu überzeugen, dass die Stärkung ihrer Rechte in Wirklichkeit ein gesellschaftspolitisches Embargo war. Ich glaube, es hätte ihm geholfen, hätten wir uns alle synchron selbst geohrfeigt. Das taten wir nicht. Trotzdem hatte ich das Gefühl ihn in den Arm nehmen und trösten zu müssen. Der arme kleine Kapitalist, allein in der verwirrenden Welt der Fairness. Ich legte ihm vorsichtig eine Hand auf die speckige Schulter. Er schluchzte leise.
Überall wird gebaut – nur nicht, was gebraucht wird
Der zweite Teil der Gesetzesänderung Mitte 2015 war die so genannte „Mietpreisbremse“. Sie reguliert Mietsteigerungen, mit Ausnahme aufwendig sanierter und neuer Wohnungen. Sobald sich diese Gesetzeslücke aufgetan hat, mutierten Hausbesitzer zu fleißigen Häuslebauern und Bob der Baumeisters. Vermieter trifft man eigentlich nur noch mit einem possierlichen Rest Bauputz im Gesicht. Außerdem sprießen überall sinnlose Luxus- Wohnungen aus dem Boden, die an die sterile Welt des PC-Spiels „Sim City“ erinnern und mit plüschigen Kleinfamilien werben, während andererseits Wohnungsknappheit und Flüchtlingsunterbringung drängen.
Utopie und Wirklichkeit
Ich habe bei der Sache mit der Gentrifizierung kein gutes Gefühl. Es muss sich wohl sehr bald etwas ändern, auch um den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterbringung zu gewähren. Vielleicht gibt es in der Zukunft eine Initiative, die junge Menschen wieder aufs Land lockt. Dann sitzen wir alle kollektiv melkend in unserer Landkommune und können zusehen, wie die Milch mühsam in den Eimer tropft.
Zum Öko- Trend würde das eigentlich gut passen. Bis dahin werden wir wohl, getrieben von unserem Wunsch in der Stadt zu wohnen, weiter suchen, bei Massenbesichtigungen rumstehen, auf motzige Makler warten und Einbauküchen ohne Einbau und Küche beschauen. Wir werden uns zu viel gefallen lassen, in unserer Neustadtwohnung sitzen und über die Gentrifizierung staunen, deren Teil wir selber sind.