von Fiona Sara Schmidt, Fotos: Andreas Coerper
Dass Rosemarie Ottstadt-Leist das elterliche Geschäft übernehmen würde, war ihr immer klar. Schon als kleines Mädchen wurde sie von der Freude der Erwachsenen angesteckt, wenn Ware aus der englischen Besatzungszone eintraf. 1959 stand sie mit 19 Jahren als Lehrling hinter dem Tresen. Seitdem wacht sie über eine riesige Auswahl an Zigaretten, Zigarillos, Zigarren, Pfeifen und Tabak.
Doch von vorne: 1877 wurde das erste Zigarrenhaus Leist von Jacob Leist in der Nähe des Römischen Theaters gegründet. Als der Hauptbahnhof an den heutigen Standort verlegt wurde, zog Rosemarie Ottstadt-Leists Urgroßvater mit dem Geschäft in die Schottstraße. Der jüngste Enkel Ludwig übernahm das Geschäft, baute es nach dem Zweiten Weltkrieg mühevoll wieder auf und öffnete noch vor der Währungsreform 1948. Der fleißige Vater blickt heute noch vom Foto mit runder Nickelbrille auf Kundschaft und Einrichtung, die seit den Fünfzigerjahren unverändert ist und den besonderen Charme des Geschäfts ausmacht. Die Familie wohnt über dem Laden, der im Dezember sein 135-jähriges Jubiläum feiert. Rosemarie ist und bleibt Genussraucherin. Ihr Mann Karl, gelernter Drogist, war noch Nichtraucher, als die beiden sich in der Tanzstunde kennen lernten. Irgendwann konnte er der Verlockung aber auch nicht mehr widerstehen, probierte von der „neuen“ Ware und stieg 1968 in das Geschäft ein. Heute steht das Ehepaar gemeinsam mit Tochter Gisela hinter der Ladentheke – in der fünften Generation.
Von Steuern und Moden
Früher zog das Zigarrengeschäft in den Wintermonaten noch so richtig an: Wenn es kalt wurde, hat man es sich zu Hause oder im Lokal mit Zigarre oder Pfeife gemütlich gemacht. Heute gibt es eine gegenteilige Entwicklung: Die Zigarre wird lieber im Freien im Sommer genossen und Pfeifenraucher sind rar geworden. Zudem machen rund 80 Prozent des Zigarettenpreises die Steuern aus. Bei Zigarren ist die Gewinnspanne höher, weil die Herstellung mit größerem Aufwand verbunden ist. Auch die Belieferung mit kubanischen Zigarren ist über die letzten Jahrzehnte wesentlich einfacher geworden, so führt Leist seit einem Jahr die „Habanos Point“-Kollektion. Kubanische Zigarren, die je nach Größe und Qualität zwischen 1,40 und 30 Euro kosten. Longfillerzigarren mit ganzen Blättern kommen aus Honduras und Nicaragua, aus Deutschland und Holland sind die günstigeren Shortfiller, gemischt mit gehackten Blättern und Stängeln. Diese „Schätze“ in den schönen kleinen Holzkisten werden bei mindestens 60 Prozent Luftfeuchtigkeit gelagert und tragen teils literarische Namen wie „Montecristo“ und „Romeo y Julieta“. Angeblich, weil diese Geschichten während der Herstellung den Arbeitern vorgelesen wurden …
Rauchen wie Sherlock Holmes
Viele Stammkunden kaufen im Zigarrenhaus Leist. Bei manchen braucht es nicht mal mehr Worte. Nur wundert sich Rosemarie immer noch über den Rückgang der Pfeifenraucher und warum ausgerechnet Frauen nicht zur aromatischen Pfeifenvariante greifen. Denn der Geruch von Pfeifentabak kann auch ein Parfum ersetzen. Wer Pfeife raucht, nimmt überdies viel weniger Tabak auf und besitzt über Jahre einen schönen Talisman, erklärt die Fachfrau und hält uns duftende Tabakmischungen unter die Nase. Die – zum Teil handgemachten – Pfeifen aus Bruyèreholz, Meerschaum oder Flaschenkürbis liegen zudem verlockend gut in der Hand, besonders das Modell „Sherlock Holmes“ ist geradezu ein Handschmeichler. Vielleicht also ist die Pfeife der nächste Trend für den Winter … Weitere interessante Nischenprodukte führen Leists in Form von Kautabak (früher beliebt bei Steinmetzen und Bergleuten), der übrigens nicht gekaut, sondern in die Backentasche gelegt wird; oder das „Pulver der Königin“: Schnupftabak. Katharina von Medici war bereits im 16. Jahrhundert begeisterte Konsumentin dieses Nasenputzers. Die Möglichkeiten des Tabakkonsums sind also groß, doch Achtung: Übertreiben Sie es nicht mit dem blauen Dunst, denn Rauchen ist nicht nur gesund …