Vor ein bis zwei Jahren war die Aufregung groß. Flüchtlinge kamen, Unterkünfte wurden geschaffen. Jetzt werden so einige wieder geschlossen. Doch ein Zurück gibt es für die meisten Menschen, die seit September 2015 nach Mainz gekommen sind, nicht. Die Stadt am Rhein ist ihr neues Zuhause geworden, nachdem sie ihr altes durch Krieg, Gewalt und Zerstörung verloren haben. Obwohl viele von ihnen mittlerweile im Alltag angekommen sind, gibt es noch viel zu tun.
Zahlen gehen zurück
Um die 5.700 Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen leben derzeit in Mainz. 4.622 von ihnen haben eine Aufenthaltsberechtigung. Andere befinden sich noch in Asyl- oder Abschiebeverfahren. Während immer mehr ihre eigenen Wohnungen beziehen, leeren sich die neun Gemeinschaftsunterkünfte: 1.379 der verfügbaren 1.795 Plätze sind aktuell noch belegt (76 Prozent). Im Juli lag die Belegung noch bei knapp 82 Prozent. Ein rückläufiger Trend, der sich seit geraumer Zeit abzeichnet. Die Unterkunft Elly-Beinhorn-Straße wurde bereits geschlossen, auch die provisorische Container-Siedlung auf der Zitadelle und drei Gebäude der Housing Area in Gonsenheim, zuletzt auch das Heim in der Wilhelm- Quetsch-Straße Bretzenheim. Zum 31. März 2019 wird die vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebene Unterkunft auf dem Layenhof in Finthen geräumt. Im Herbst wird voraussichtlich eine weitere Unterkunft wegfallen.
Gewinn für alle?
Welche Unterkünfte geschlossen oder umgenutzt werden, entscheidet die Sozialverwaltung. So soll in Bretzenheim eine Kita entstehen und die Housing Area als Wohnraum an die Mainzer Wohnbau verkauft werden. Was mit dem ehemaligen Hotel auf dem Layenhof geschieht, bleibt noch offen. Das Ganze geht wiederum mit Umzügen für die Flüchtlinge einher, die von einer Unterkunft in die – vollere – nächste geschoben werden. Zwar legen Stadt und Träger Wert darauf, die Umzüge sanft und mit Vorlauf durchzuführen, trotzdem lebt es sich in weniger vollen Flüchtlingsheimen deutlich angenehmer. Als etwa im Januar Flüchtlinge aus Bretzenheim ins ehemalige Allianzhaus auf die Große Bleiche zogen, wurden einige der Zimmer neu verteilt und mit weiteren Betten bestückt, wie eine Recherche der Allgemeinen Zeitung ergab. Aus Vier- und Fünfbettzimmern wurden Sechs- und Achtbettzimmer und die ohnehin maroden Sanitäreinrichtungen müssen seitdem für weitere 40 Menschen ausreichen.
Straftaten werden weniger
Dass Konflikte in diesem Zusammenhang und nach traumatischen Fluchterlebnissen unvermeidbar sind, liegt auf der Hand. 2017 wurden 99 Straftaten registriert, davon 38 Körperverletzungen und eine versuchte Tötung. Im Juli wurde eine Frau von einer herabstürzenden Mülltonne aus einem Fenster vor dem Allianzhaus verletzt. Allerdings kehrt auch hier Entspannung ein: Wo anfangs noch Polizeistreifen vorbeugend Besuch abstatteten, kommen die Beamten mittlerweile nur noch, wenn sie gerufen werden. Auch die Betreuer müssen seltener eingreifen. Eine Nachtwache stellen die Bewohner mittlerweile selbst. Straffällige Flüchtlinge werden zudem vom rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt überprüft, um „Risikopersonen“ herauszufiltern. Bisher wurde jedoch kein „potenzieller Gefährder“ ermittelt.
Breites Hilfsangebot
Dass die sinkenden Bewohnerzahlen zur Ruhe beigetragen haben, liegt nahe. Der Umzug in eigene Wohnungen bietet ersehnte Selbstbestimmung und Privatsphäre, die in den Unterkünften nicht gewährleistet ist. Gleichzeitig ist eine Integration noch lange nicht abgeschlossen. Sprach- und andere Kurse sowie der Einstieg in Beruf oder Ausbildung sind weitere Hürden, die ohne Hilfe von außen kaum zu bewältigen sind. Rahmenvereinbarungen zwischen der Stadt und den Betreuungsorganisationen (Malteser, DRK und Stiftung Juvente) sehen deshalb auch eine Nachbetreuung vor. Darüber hinaus helfen Vereine und Ehrenamtliche als Paten bei Übersetzungen, Amtsbesuchen und alltäglichen Aufgaben. Die Volkshochschule hat seit 2016 den IHK-Zertifikatslehrgang „Sprachmittler“ im Programm, der Menschen für Übersetzungen und Dolmetschen im Alltag ausbildet und so ein gesellschaftliches Miteinander fördert. In fast allen Fällen ist es die individuelle Begleitung, die ein Ankommen im Alltag erst möglich macht.
„Wichtiger wäre es, die Fluchtursachen zu bekämpfen“
Behrouz Asadi – Flüchtlingskoordinator bei den Maltesern
Hallo Herr Asadi, wo sind wir hier?
Das ist unser Haus der Kulturen in Weisenau. Wir haben hier einen großen Veranstaltungssaal, einen Außenbereich mit Bühne, Proberäume, Küche, Bar und vieles mehr. Es ist ein Zentrum für alle Menschen, das ist uns wichtig! Man kann hier proben und malen und Sprachkurse besuchen. Bald bieten wir auch Computerkurse an. Außerdem planen wir viele Veranstaltungen. Und draußen ist Platz für Partys, da hatten wir im Sommer schon ein paar. Wir arbeiten da auch eng mit anderen Vereinen und Veranstaltern zusammen.
Wie helfen Partys bei Integration?
Wir sind mittlerweile bei einem Ist-Zustand angekommen, mit dem wir arbeiten müssen. Es kommen nicht mehr so viele Flüchtlinge. Jetzt bleibt die Frage: Wie bringen wir den Menschen, die hier bleiben, unsere Werte, Normen und Regeln bei? Wir bieten ihnen die Gelegenheit, gesellschaftliche Angebote und Aufgaben kennenzulernen und schaffen gleichzeitig Strukturen. Bei der Integration geht es schließlich um Teilhabe. Ich bin selbst Exil-Iraner und weiß, wie schwierig diese Situation ist. Aber ich weiß auch, dass man die Leute fordern muss. Zum Beispiel schicken wir die Männer los, ihre Frauen mit ins Stadion zu nehmen, um sich ein Spiel anzuschauen. In ihrer Heimat würden sie das niemals machen, hier schon. Oder wir erklären ihnen, warum sich hier an Fastnacht alle verkleiden und an Weihnachten einen Baum aufstellen. Das alles gehört dazu.
Gibt es denn noch besondere Brennpunkte?
Das Wichtigste sind die Sprachkurse. Sprache ist das Tor zur Integration. Die Menschen müssen sofort einsteigen können, um auch eine Chance auf Arbeit zu haben. Da müsste man noch mehr bürokratische Hürden abbauen. Denn wenn die Leute nichts zu tun haben und bloß warten und ihnen langweilig ist, kommen sie auf dumme Gedanken. Dabei kann Deutschland gerade die jungen Menschen gut gebrauchen. Viele von ihnen haben Potenzial und bringen Bildung mit. Das muss man nutzen! Wir haben schon einige Fachkräfte vermitteln können. Ein ehemaliger Bewohner absolviert gerade sein medizinisches Praktikum an der Uniklinik. Ein anderer kam als Analphabet her und sollte zwischenzeitlich sogar abgeschoben werden – jetzt arbeitet er als Ingenieur.
Was entgegnen sie Behauptungen von AfD & Co., Flüchtlinge würden es sich hier auf unsere Kosten gemütlich machen?
Natürlich gibt es auch Leute, die nicht arbeiten wollen. Die gibt es überall. Doch das muss man differenziert betrachten. Denn in erster Linie kommen diese Menschen hierher für Schutz und Sicherheit. Niemand kommt aus Jux und Dollerei. Leute, die das behaupten, nutzen sozialschwache Menschen als Sündenbock, um damit Politik zu machen. Das sind falsche Argumente. Viel wichtiger wäre es, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Denn die Menschen fliehen vor Armut und Zerstörung, vor Waffen, Krieg und Gefahr. Ich war selbst gerade an der syrischen Grenze zum Libanon, wo Geflüchtete in provisorischen Zelten leben, weil sie sich nicht mehr in ihre Heimat trauen. Man kann von niemandem verlangen, dorthin zurück zu gehen.
Text&Interview Ida Schelenz Fotos Domenic Driessen