Die Steine der Außenfassade der Neuen Golden Ross Kaserne in der Mombacher Straße 68 scheinen im Licht der Mittagssonne in einem warmen Gelbton. Das hier großer Teile Mainzer Kreativer sitzen wissen gar nicht mal so viele.
Vor 100 Jahren waren in der Kaserne noch Teile der preußischen Armee des vergangenen Kaiserreiches untergebracht. Später hielten verschiedene Initiativen und Unternehmen Einzug, sogar zwei Diskotheken und zeitweise der Kulturverein PENG.
Im Sommer 2017 kam das Areal dann unter den Hammer. Ursula Schramm ersteigerte die ehemalige Kaserne mit einer Fläche von knapp 5.000qm. Hierzu wurde die Firma UB-Projektgesellschaft gegründet, mit Firmensitz in Mainz. „Meine Mutter meinte, das Haus will ich haben und so gingen wir auf die Versteigerung. Sie hat alle überboten und für 3,4 Mio. Euro den Zuschlag erhalten“, erzählt David Wilk bei einem Kaffee.
Aber erst durch die Anfragen der Leute sei es das geworden, was es jetzt ist: ein Co-Office-Space, in dem die meisten Mietenden sich das Büro teilen. So sei er eine Besonderheit und anders strukturiert als etwa das M1 mit seinem Co-Working-Space (Achtung: Verwechslungsgefahr!).
Direkt nebenan gibt es übrigens noch ein ähnliches Projekt: die alte Fahrkartendruckerei. Der Unterschied zu dieser? „Zumindest sind wir mit der Neuen Golden Ross Kaserne deutlich größer. Das ändert wahrscheinlich etwas“, sagt Wilk.
Start-Up Flair
David Wilk ist vor 15 Jahren zum Arbeiten nach Mainz gezogen und hat das Hotelfach gelernt. Ursula Schramm ist seit Jahren im Immobilienbereich in der Projektentwicklung tätig. Mutter und Sohn ergänzen sich in ihrer Arbeit; „Eigentlich schon immer“, meint Wilk. Während seine Geschwister sich in non-familiären Arbeitsstrukturen bewegen, macht es nicht den Anschein, dass beide bald damit aufhören würden – „ist ja nicht so, dass wir erfolglos wären…“ Die Zahlen sprechen für sich: An die 45 Unternehmen, Start-Ups und Selbstständige verteilen sich auf die knapp 80 Räume. Pro qm zahlt man um die 22 Euro warm (inkl. Strom). Dazu zahlt man für „so viel Internet wie in der ganzen Uni“ 20 Euro im Monat. Doch wer sich hier ansiedeln möchte, muss warten, denn die Kaserne ist voll. Wilk und Schramm planen daher den weiteren Ausbau. Eine Dachterrasse soll draufgesetzt und ein Wintergarten dem Gebäude hinzugefügt werden. Der Denkmalschutz sei kein Hindernis, schließlich wollen Wilk und Schramm das Gebäude aufwerten.
Netzwerken
Großbaustelle im Haus ist das Networking. „Es ist gar nicht so einfach, dass der unten rechts weiß, was der oben links macht“, sagt Wilk. Die Neugestaltung der Homepage der Kaserne soll helfen. Jeder und jede kann hier bald auch mit Profil und Firmenbeschreibung aufgelistet werden. Non-virtuell finden zudem gemeinsame Frühstücke statt. Wilk als beinahe Community-Manager sei die Schnittstelle zwischen allen, „was manchmal ein bisschen viel ist“. Mittlerweile sind einige Kooperationen entstanden. Beispielsweise hat der Jazzmusiker Nico Hering für die Filmproduktionsfirma „Eumel Film“ einen Song komponiert. Auch Fotografin Lisa Treusch hat schon Aufträge im Haus gehabt. Es spricht sich eben doch herum, wenn jemand mit Expertise und Handwerk direkt unter einem sitzt. Diese Diversität liegt auch Wilk am Herzen: „Wir schränken nichts ein und wollen möglichst vielfältig sein. Jeder kann hierhinkommen.“
Hippe Unternehmen
Ein Blick auf die Etagenübersicht zeigt so einige Bekannte: IT- und Marketing-Unternehmen wie „pix and stripes“, die Arbeitsgemeinschaft für querschnittsgelähmte Menschen („Arque“), das Netzwerk für Gesundheitswirtschaft Rheinland- Pfalz („InnoNet Health Economy“), das mainzbekannte „N‘Eis“, die aus drei Illustratorinnen bestehende Studiogemeinschaft „Nest“, das Weingeschäft „Vinou“ oder die „Amori“ Kaffeerösterei.
N’Eis
Die beiden pastellblauen Roller von N’Eis-Inhaberinnen Julia von Dreusche und Anke Carduck sind im Hof vor ihren Räumen im Untergeschoss geparkt. Da wo ehemals ein Pool war, ist heute ihr neues Tiefkühlhaus, in dem der Fahrer täglich „tapfer das Eis einpackt“, erzählt von Dreusche. Am Tag arbeiten vier bis sieben Leute in der Küche und mischen bekannte und neue Eissorten, um Stadt und Land zu versorgen.
pix and stripes
Seit etwa einem Jahr findet man die Agentur pix and stripes im Haus. Am Anfang saßen Lisa Beck und Johannes Krämer im Saal einer alten Tanzschule, bevor sie vergangenen Oktober hier einziehen konnten. Zwischendurch waren sie im M1 Co-Working untergebracht. Das war jedoch suboptimal für ihre Arbeitsweise als Agentur. Nun können die beiden ihr Büro abschließen, in Ruhe arbeiten und gleichzeitig die Vorzüge der Kaserne wahrnehmen.
Studiogemeinschaft „Das Nest“
Franziska Ruflair (28), Seda Demiriz (29) und Julia Bernhard (27) bilden zusammen „Das Nest“. Die drei Frauen haben Grafikdesign in Mainz studiert. Mit zwei weiteren Illustratorinnen unterhalten sie zudem das Kollektiv „Crush-Club“, in dem sie sich über Illustration austauschen. Dieses Jahr feiern die drei vom Nest zudem ihr Comic-Debüt: In Seda Demiriz‘ Comic „Betty Hill“ (Feb. 2019), schildert eine exzentrische alte Dame ihre übernatürliche Begegnung auf einem Highway der 60er Jahre. Der in schwarz-weiß gehaltene Band lässt sich stilistisch vom Klassiker „Persepolis“ von Marjane Satrapi inspirieren, in dem ebenfalls in schwarz-weiß gezeichnet wird. „Adventure Huhn“ heißt Franziska Ruflairs Comic, der Anfang September im avant-Verlag erschienen ist. Er dreht sich um ein Huhn und eine Raupe, die heldenhaft versuchen, eine Welt zu retten, die gar nicht gerettet werden möchte. Der Comic folgt dem Schema der klassischen Helden- und Fantasygeschichte, um in jedem Moment damit zu brechen. Julia Bernhard unterrichtet seit zwei Semestern als Lehrbeauftragte für Illustration in Mainz und an der Freien Kunstakademie in Frankfurt. Für US-amerikanische Websites liefert sie zudem sog. Comic-Journalismus, kürzlich zum Thema Fellproduktion in China. Ihr Comic „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ ist im August ebenfalls im avant-Verlag erschienen. „Bei mir geht es vor allem um das Scheitern zwischenmenschlicher Kommunikation“, sagt sie. Genau beobachtend entwirft Bernhard Dialoge, die konsequent schieflaufen und während des Lesens ein unbefriedigendes Gefühl auslösen. „Die Hauptperson schafft es nicht, dem etwas entgegenzusetzen. Und die Konsequenz ist, dass sie sich am Ende auflöst.“ – „Wobei die Themen bitterschwarz sind“, wirft Ruflair ein. Bitterschwarze Themen also, eingefangen in pastellrosa farbigen Bildern.
Die Neue Golden Ross Kaserne bietet Raum zum Austausch, Kooperation und Inspiration. „Home-Office wird ja dann auch irgendwann langweilig“, meint David Wilk. Das mag stimmen, zumindest werden in seinem Co-Office- Space Ideen und Impulse gesetzt und ein interessanter Büroraum für die Stadt und ihre Kreativ-Unternehmen geschaffen – und hin und wieder auch für die Öffentlichkeit: wie das arc-Filmfestival oder die ein oder andere Party. In Zeiten in denen die Start-Up-Kultur in Mainz eher wieder totgeredet wird, ist die Neue Golden Ross Kaserne eine willkommene Abwechslung!
Victoria Kühne
Fotos: Stephan Dinges