Direkt zum Inhalt wechseln
|

Fliegen, Flattern, Flugmaschinen – Die spannende Mainzer Luftfahrtgeschichte

Mainz und die Fliegerei. Da geht es um Weltkriegsgeschichte mit Jagdfliegern ebenso wie um Fluglärm, den Flugplatz Finthen als Ausflugsziel und die JU-52 Rundflüge mit Absturz-Risiko. Der Flugbetrieb berührt zahlreiche Interessen der Stadt und ist Dauerbrenner im geplagten Rhein-Main-Gebiet.

Die Pioniere

Womit fing alles an? Das war keineswegs in Mainz-Finthen, sondern in Gonsenheim am „Großen Sand“. Kaum vorstellbar, dass damals um 1911 ein gewisser Anthony Fokker aus den Niederlanden hier Flugzeugbau studierte. Mit der Hilfe von Freunden und dem Geld seines Vaters konstruierte er ein Fluggerät und machte damit sein Diplom. Gebaut hatte es der Gonsenheimer Unternehmer Jacob Goedecker. Es bestand aus Stahlrohr, Eschenholz, Bambus und Segeltuch, wog 660 kg, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 115 km/h und trug den schönen Namen „Spinne“. Bis 1914 waren davon 25 Exemplare als Schulflugzeuge und „unbewaffnete Aufklärer“ im Einsatz. Nach dem Ersten Weltkrieg war natürlich erst einmal Schluss mit dem Flugzeugbau. Fokker wanderte 1922 in die USA aus und betrieb dort bis 1939 seine Firma. In Hitlerdeutschland hatten seit langem die Kriegsvorbereitungen begonnen. Und wieder war Mainz beteiligt. Geheim gehalten und als Landwirtschaftsbetrieb getarnt, errichtete man mithilfe von Häftlingen ab 1937 den „Nachtjagdeinsatzhafen“ mit dem Tarnnamen „Limonade“. Ein riesiges Waldgebiet zwischen Wackernheim und Ober-Olm wurde gerodet (Brennholz für die Anwohner!) und es entstand der Flugplatz Mainz-Finthen. Im Grunde so, wie wir ihn heute kennen.

Militär in allen Farben

Die Deutschen planten zudem, im Hinterland der Nordsee-Verteidigungslinie eine Basis für Jagdflugzeuge zu errichten, die britische Bomberverbände abwehren sollten. Viel hat es nicht genützt. Köln, Frankfurt und vor allem Mainz wurden Opfer der alliierten Bombardierungen. In der zweiten Kriegshälfte hatten die kein anderes Ziel als die Demoralisierung der zivilen Bevölkerung. Wer möchte, kann alles von der Nazizeit bis heute nachlesen, in dem überaus reich bebilderten Band „Der Flugplatz am Layenhof“ von Heinz Leiwig. Allerdings ist dem Amateur-Heimat-Historiker, der sein Buch im Selbstverlag veröffentlichte, bisweilen die Faszination für Technik und Nazi-Glamour durchgegangen, wenn er von „strahlenden Gesichtern der Hitlerjungen“ an der Seite von damaligen „Fliegerassen“ berichtet oder Kriegsflugzeuge, die in Finthen stationiert waren, mit ausführlichen technischen Details dokumentiert, von den Abschusslisten der Orden tragenden deutschen Jagdflieger ganz zu schweigen. „Reichsverteidigung“ ja, aber es war immerhin ein Angriffskrieg. Mit der Fliegerei-Romantik samt Heldenlegenden und Technik-Details sieht man sich übrigens häufig konfrontiert, ob auf Websites, in Bildbänden oder in Gesprächen. Fliegerei und Militär sind kaum trennbar. Man denke an die Drohnen – ob vom Amateurfotografen im Elektroshop gekauft oder im Kampf von der US-Army eingesetzt. Die aktuelle Ausstellung „Virtual Insanity“ in der Mainzer Kunsthalle sei dazu empfohlen.

Befreiung und Eroberung

Im März 1945 nahm die vordringende US-Armee den ziemlich zerstörten Fliegerhorst Finthen ein, reparierte notdürftig die Piste und startete von hier aus ihre Eroberungsflüge in das, was vom „Reich“ übriggeblieben war. Bereits im Juli zogen die französischen Besatzer ein. Aus dem „Airfield Ober-Olm“ wurde das „Aérodrome Mayence Finthen“ mit militärischen Flugschulen. Bis 1959 wurde heftig wiederaufgebaut und in großen Paraden vor der Trikolore marschiert. Nach einigen Jahren fliegerischer Ruhe zogen 1961 wieder die Amerikaner ein, vor allem mit schweren Lastenhubschraubern. Über 1.000 GIs und Zivilangestellte brauchten Platz. Daher wurde ebenfalls 1960 die „Clark Housing Area“ errichtet, außerdem zahlreiche Zweckbauten, Hallen, ein Tower, Offizierskasino usw. 30 Jahre später ging das Gelände an das Bundesvermögensamt über. Dieses übertrug die Planungshoheit an Mainz, Wackernheim und Essenheim. Seitdem ist „Konversion“ angesagt. Die Wohnbauten wurden restauriert, in die maroden Gewerberäume zogen Künstler, Agenturen und Firmen, z. B. die Schule für Clowns. Der neue Stadtteil Layenhof entstand. Die immer noch diskutierten Probleme der Infrastruktur, Verkehrsanbindung, Mietkosten usw. sind allerdings ein anderes Thema.

Fliegen ist im Verein am schönsten

Schon seit den Zeiten von Fokker organisieren sich die Flugenthusiasten in Vereinen. 1911 wurde der „Verein für Flugwesen Mainz“ ins Vereinsregister eingetragen, 1927 folgte die „Interessengemeinschaft für Flugsport“, 1930 die Damen-Segelfluggruppe Mainz-Wiesbaden, 1951 der Aero-Club Mainz und 1952 schließlich der Luftfahrtverein Mainz e.V. Er zählt heute über 500 Mitglieder, die sich auf die Fachgruppen Motorflug, Ultraleichtflug und Segelflug verteilen. Es gibt eine Reihe vereinseigener Flugzeuge und die Ausbildung in allen drei Gruppen. Der Verein besitzt Grundstücke auf dem Gelände, hat im Laufe der Jahre verschiedene Gebäude gebaut und 2008 eine Betriebsgesellschaft gegründet, die gewerbsmäßig den Flugplatz betreibt. 2011 wurde ein neuer moderner Tower eingeweiht, in dem zwei Flugleiter die An- und Abflüge lenken. Sie sind gleichzeitig Beauftragte für Flugsicherheit, das heißt vertreten hier auch die Luftfahrtbehörde. Im ersten Stock des Gebäudes ist das gut gehende Restaurant „Tower One“ beherbergt, von dessen Sonnenterrasse man einen guten Blick auf die Flugbewegungen hat.

Wer fliegt denn da?

Unter den etwa 20.000 Flugbewegungen pro Jahr nehmen an den Wochentagen die Ausbildungsflüge von immerhin vier Flugschulen den größten Raum ein. Dazu kommen Geschäftsflieger, viele medizinische Flüge mit Organen zur Transplantation oder mit Ärztecrews. Dazu Hubschrauberstaffeln der Polizei aus Rheinland-Pfalz und Hessen, und auch das ZDF fliegt bisweilen Stars über Finthen ein. An den Sommerwochenenden sind die Privatpiloten unterwegs. „Christoph 77“. Der ADAC Rettungshubschrauber und die Polizei haben jederzeit freie Bahn und können zwischentanken, falls erforderlich. Und wenn nachts mal ein Sondereinsatz ansteht, wird der Geschäftsführer der „Flugplatz Mainz Betriebsgesellschaft mbH“, Michael Dernbach, aus der Bereitschaft geklingelt und schaltet die Beleuchtung der Landebahn an. So z. B. kürzlich, als DJ Ötzi für eine Show im Hyatt einflog. Um Mitternacht sollte er auftreten. Sein Chauffeur wartete allerdings in Frankfurt, also fuhr Dernbach selbst ihn in 10 Minuten in die Stadt.

Flugplatz als Naturschutzgebiet

Vielleicht überraschend: Der Flugplatz Finthen ist Naturschutzgebiet. Das liegt nicht zuletzt an dem 1986/87 von den Amerikanern gebauten Zaun, der Spaziergänger, Hunde usw. abhält. Abseits der Start- und Landebahnen ist alles geschützt. Daran wirken auch einige Hundert Schafe als natürliche „Rasenmäher“ mit (wir berichten im separaten Artikel). Der Naturschutz ist auch der Grund, warum Großereignisse wie die legendären Flugplatzrennen zwischen 1964 und 1990 oder Flugshows und Open-Airs nicht mehr stattfinden können – und auch nicht eine Papstmesse mit 200.000 Besuchern wie 1980 mit Johannes Paul II.. Autor Leiwig kritisiert die „teils ins Hysterische ausartende Umweltbewusstseinspflege“. Doch der Luftfahrtverein scheint sich trotz der „Beschränkung der Einnahmemöglichkeiten“ mit der Situation abzufinden. Autorennen finden nur noch im kleinen Maßstab am Rande des Geländes statt. Und der Fluglärm? Die Ortsvorsteher von Finthen, Drais, Lerchenberg und Wackernheim führen keine Beschwerdeliste. An der Landebahn verzeichnet das Lärmkataster eine Belastung, die niedriger liegt als in jedem ruhigen Wohngebiet. Das Gedröhn kommt von ganz woanders. Und immerhin trifft man sich zweimal pro Jahr im „Fluglärmbeirat“, um Probleme zu besprechen. Die Platzrunden der Flugschüler führen nur über unbebautes Gelände. Die Starts und Landungen sind auf 23.500 pro Jahr begrenzt. Und die relativ lauten Tragschrauber dürfen sowieso nur über dem umzäunten Gelände kreisen. Die JU 52 soll ihre etwa sechs ausgebuchten Rundflüge pro Jahr ab Finthen vor allem über den Autobahnen und dem Rheintal absolvieren. Also alles happy? Nicht ganz. 2028 läuft der Pachtvertrag mit den Gemeinden aus, und eigentlich sind umfangreiche Sanierungen dran: vor allem die Landebahn (mit einer Befeuerungsanlage aus den 50er-Jahren) und manches andere. Der Luftfahrtverein kann nicht alles stemmen, und der Flugplatz ist schließlich kein Hobbyareal, sondern Verkehrslandeplatz und eine öffentliche Anlage wie eine Autobahn oder eine Brücke. Gemessen an den Flugbewegungen ist Finthen der größte Flugplatz von Rheinland- Pfalz. Er übertrifft Hahn und Zweibrücken. Zudem schreibt er keine roten Zahlen. Zuständig ist die städtische Grundstücksverwaltungsgesellschaft, die treuhänderisch das Gelände für den Zweckverband verwaltet. Hier stehen vermutlich noch harte Verhandlungen an.

Text Minas Fotos Stephan Dinges