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Echte Hufarbeit – Wie Esel heutzutage ihr Geld verdienen (und wo man sie treffen kann…)

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von Ulrike Melsbach und Jonas Otte (Fotos):

Herbert, Ida, Milan und Lilli würden am liebsten in der Innenstadt wohnen. Doch mit der Nachbarschaft gibt es Probleme. „Esel sind zu laut“, sagt Bernd Seifried, während er zur Weide schreitet. „IIIIIE OOOOOOH“, ruft Herbert zur Begrüßung. Dann wird es ruhiger. Und die Esel-WG verbreitet eine gelassene Stimmung. Als Paartherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie kam Seifried vor einigen Jahren auf die Idee, Esel mit in die Therapie einzubeziehen. Die Tiere sind sanftmütig, beruhigen und motivieren.

Menschen, die häufig in Kontakt mit ihnen sind, sind ausgeglichener und lebensfroher. Zudem sind sie geduldig, anhänglich und treu. Ein Esel braucht ein stabiles soziales Umfeld (mindestens vier bis fünf Esel) sowie Abwechslung und Input, ansonsten wird er depressiv oder aggressiv. Sie scheinen ganz ähnlich gestrickt zu sein wie wir Menschen. Im Umgang mit ihnen lernt man sich in Achtsamkeit und Gelassenheit. Mit ihnen unterstützt Seifried seine Patienten im Kampf gegen Depression, Burn-out, Ängste oder bei Beziehungs- und Kommunikationsproblemen. Die Idee gewann vor vier Jahren den Mainzer Gründerwettbewerb „Leinen Los“.

Gefüllte Tage

Derzeit wohnen die Therapie-Esel auf dem Laurenziberg bei Gau-Algesheim. Hier kann man es sich als Esel so richtig gut gehen lassen. Morgens öffnet ein Mensch die Weide (Esel brauchen es steppen-trocken und karg) und mittags gibt es ein Verdauungsschläfchen. Nachmittags variiert das Programm: Wenn keine Patienten-Termine anstehen, trainieren sie im Sandkasten für schwieriges Terrain. Manchmal muss auch Gras gemäht werden und alle paar Wochen schaut die Hufpflegerin vorbei. Milan, Herbert, Ida und ihre Tochter Lilli verdienen ihren Lebensunterhalt selbst. Die Menschen buchen sie gerne für Wanderungen. Hier schalten sie hin und wieder in den Schmuse-Modus und lassen sich von den Gästen führen und tragen sogar deren Gepäck.

30 bis 40 Kilo kann man auf ihnen verteilen, also gut gefüllte Packtaschen oder auch ein Kind. Auch Besuche statten sie bei Gelegenheit ab. Viele Mainzer Einrichtungen konnten schon bereichernde Erfahrungen machen; sei es im integrativen Kindergarten, der Kinderklinik oder im Seniorenheim. Ist man erst einmal „auf den Esel gekommen“, bietet Bernd Seifried den „Eselführerschein“ an. Entweder mit der schüchternen Ida, dem wilderen Herbert, der lieben Lilli oder dem Herden-Ältesten Milan auch mal eine Tour alleine unternehmen.

Esel-Selfies

Ein überraschender neuer Geschäftszweig hat sich vor Kurzem aufgetan: Junggesellen-Abschiede. Denn das Esel-Selfie fehlt noch in vielen Handy- Galerien. Natürlich würde Bernd Seifried die vier Langohren niemals mit einer gröhlenden Truppe durch die Nacht schicken; aber es spricht nichts dagegen, wenn eine Gruppe einen netten Nachmittag hier verbringt. Eine weitere Einnahmequelle ist der sehr gefragte Dünger, den Milan und seine Kameraden sorgfältig herstellen. Mehr davon gibt es bei der Gruppe von Astrid Fölling.

Die Biotop-Pfleger

Zwölf weitere Esel, eine hoch-effiziente Gruppe von Biotop-Pflegern und Naturdung-Produzenten, sind meist im Mainzer Umland unterwegs. In akribischer Sorgfalt wird gegen die Verbuschung und das aggressive orientalische Zackenschötchen gekämpft. Brennnesseln und Disteln vernichten sie und Kiefern wird „auf die Wurzeln“ geholfen. Alles ohne Freischneider oder Rasenmäher, denn die zehn Damen und ihre zwei Buben haben alle wichtigen Werkzeuge direkt „am Esel“ dabei. Astrid Fölling behält hier den Überblick. Als Biologin macht sie schon immer Landschaftspflege und war viel ehrenamtlich tätig.

Auf den Esel kam sie, als sie mit ihrem Mann René Reifenrath einen Kollegen traf, der Sandbiotope mit Eseln bewirtschaftete. Ideale Bewirtschafter waren die Esel: „Und wenn man dann mal Kontakt hatte, hat man auch so einen kleinen Virus“, gesteht sie, während der kleine Grejo an ihrer Hose knabbert. Sanft und bestimmt wird er zur Seite geschoben und getätschelt. Mittlerweile sind die Esel für einige Mainzer Flächen unentbehrlich geworden, aber Esel und Fläche müssen gut zusammenpassen. Saftige Wiesen sind das Gegenteil ihres Geschmacks: Zu „fettes“ Essen führt zu Verdauungsproblemen, die tödlich enden können und feuchter Boden macht die Hufe kaputt. Daher: viel Sand. Um sich selbst zu pflegen, legen sie hier sogar Bäder an, in denen sie sich wälzen – ein unvergesslicher Anblick.

Viel auf Tour

Ende April war die Truppe das erste Mal für ein paar Wochen auf den Streuobstwiesen „In dem Bohlen“ bei Bretzenheim, was ein großes Echo in der Lokalpresse verursachte. Alle lieben eben Esel. Allerdings zum Leidwesen der Jungmütter, die durch den Besucherstrom wenig Privatsphäre für ihre im Mai geborenen Fohlen hatten. Mittlerweile haben sie die Streuobstwiese gepflegt hinterlassen und sind weiter auf den Silberberg bei Bodenheim / Gau-Bischofsheim gezogen. Zwischen den Wingerten kann man sie hier besuchen. Zutritt ist aus Sicherheitsgründen allerdings verboten. Hunde in der Koppel wären zudem in Lebensgefahr.

Nächste Station ist das Laubenheimer Ried, dann geht’s weiter nach Stadecken-Elsheim, anschließend auf die Mordkaute bei Bingen, bis der Lennebergwald wieder ruft. Die Jahresplanung wird jedoch immer wieder sich ständig ändernden (Wetter-)Bedingungen angepasst. Astrid Fölling hat ihren Eseln einen Traumjob organisiert, mit dem sie sich ihren Lebensunterhalt gemeinsam mit Freunden und Familie verdienen können. In der Herde gibt es zwei Halbschwestern, zwei Mütter mit ihren Töchtern – Naomi ist nicht nur Jungmama von Grejo, sondern auch die von Nazan, die ihrerseits Mama von Gaius ist. Und die Männer? Die müssen sich aufgrund des erhöhten Konfliktpotenzials in einer separaten Kleinherde umtreiben: Zwei Hengste und zwei Wallache halten sich zurzeit südlich vom Lennebergwald auf. Esel sind übrigens auch äußerst wehrhaft: ihre Hinterläufe haben es in sich. Kein Wunder, dass man Esel auch als „Bodyguards“ für Schafherden einsetzt. Wer einem Esel aber ohne Gewalt und mit Geduld begegnet, wird dagegen belohnt werden.