Die Gutmenschen versammeln sich seit Mitte Januar zur Anti-Pegida, und wenn dieser sensor erscheint, ist Pegida womöglich schon Geschichte. Dann müssen die Gutmenschen sehen, ob sie anderweitige Anti-Interessen finden. Deshalb habe ich mir überlegt, Pegida zu unterstützen, denn ohne Pegida keine Anti-Pegida. Wenn Pegida stirbt, sind die Gutmenschen arbeitslos und kommen auf dumme Gedanken. Pegida zu unterstützen fällt mir schwer, denn ich finde Pegida eigentlich doof.
Die Abkürzung allein ist falsch. Patriotische Europäer Gegen Die Islamisierung Des Abendlandes ergibt als Abkürzung Pegdida, nicht Pegida. Das unterschlagene D im Wort Pegida ist schon ein deutliches Zeichen, dass etwas nicht stimmt. Und auf bedeutungsschwangere Begriffe wie „patriotisch“ oder „Abendland“ reagiere ich auch misstrauisch. „Patriotisch“ wird schnell zum Patriarchat, und „Abendland“ klingt zwar sehr poetisch, aber jedem Abend folgt die dunkle Nacht.
Eine Bürgerbewegung in Dresden hat Angst vor der Islamisierung Europas. Es gibt zwar kaum Muslime in Dresden, das ist aber auch kein Wunder, wenn man dort Angst vor ihnen hat. Ich würde mich jedenfalls unwohl fühlen, wenn ich als Einwanderer oder Ausländer allen Angst einjagen würde. Gastfreundschaft sieht anders aus. Die Statistiken zur Religionszugehörigkeit in Mainz zeigen allerdings tatsächlich eine Tendenz zur Islamisierung. Waren einst die Katholiken in der absoluten Mehrheit, so haben inzwischen die Protestanten in Mainz mächtig aufgeholt, ebenso die Muslime mit inzwischen fast 10 Prozent Bevölkerungsanteil. Den größten Zuwachs hatten in den letzten Jahrzehnten die Atheisten. Von der Gefahr einer Atheistisierung hat bislang noch niemand gesprochen. Die Atheisten haben jedoch die niedrigste Geburtenquote und werden in absehbarer Zeit aussterben. Übrig bleiben dann tatsächlich die Muslime, weil sie die höchste Geburtenquote haben.
Ich bin schwul und Christ. Als Schwuler setze ich keine Kinder in die Welt, und als Christ ist mir der Islam ziemlich egal. Ich glaube nicht, dass ich mich islamisieren lasse, genauso wenig, wie ich mich atheistisieren lasse. Aber bei Pegida geht es ja nicht um den Einzelnen, noch nicht einmal um eine Stadt wie Mainz oder Dresden oder wenigstens um die Nation, sondern gleich um ganz Europa. Von Yekaterinburg bis Reykjavik, von Hammerfest bis Nicosia sieht man in Zukunft nur noch Kopftuchmädchen und Burka-Gespenster. Ehebrecherinnen und Schwule werden öffentlich gesteinigt, und die Ungläubigen müssen höhere Steuern zahlen. Das also ist die Pegida-Vision, dagegen wehrt man sich nun in Dresden, was deutschlandweit Proteste ausgelöst hat.
Selbst in Mainz gab es Anti- Pegida-Proteste, obwohl es gar keine Pegida-Proteste gab. Das ist gut so, ich wünsche der Anti-Pegida-Bewegung, dass sie eine starke Stimme im Volk erhält. Leider hängt Anti-Pegida aber von Pegida ab, deshalb müsste ich nun Pegida unterstützen, sonst bricht Anti- Pegida ein und löst sich, gegenstandslos geworden, auf. Das wäre schade. Aber ich will Pegida nicht unterstützen, nur damit die Gutmenschen endlich mal wieder einen gemeinsamen Gegner haben. Ich will Pegida gar nicht unterstützen. Wie gesagt finde ich dieses unkonstruktive Geschimpfe auf eine religiöse Gruppierung doof, und patriotische Europäer können auch Muslime sein oder Atheisten.
Man stelle sich vor, dass muslimische und atheistische Europäer-Patrioten sich unabhängig voneinander zusammenrotten, um unser geliebtes Abendland zur Nachtruhe zu schicken. Diese Möglichkeit haben weder Pegida noch Anti-Pegida bislang ins Auge gefasst. Da ich also Pegida nicht unterstützen werde, wird diese Bewegung bald Geschichte sein, und damit leider auch Anti-Pegida. Bleibt die Hoffnung, dass die Bezeichnung „Gutmensch“ danach endlich kein Schimpfwort mehr ist. Es ist ja gut, gut zu sein – gut zu sich selber und gut zu anderen, egal welcher Religion sie angehören.