„Als Grieche“ bietet Michalis Thessalonikis mir direkt einen Kaffee an, als er mich an einem sonnigen Spätherbstvormittag in seiner Wohnung in Wiesbaden-Schierstein empfängt. Vor zwanzig Jahren ist Michalis, als Michael Schmidt in einer deutsch-griechischen Familie geboren, an Multipler Sklerose erkrankt. Heute ist der 44-Jährige nicht mehr berufsfähig, einzig die unentgeltliche Beschäftigung als DJ konnte er aufrechterhalten. Um die Einrichtung des schönen Zuhauses kümmert sich Michalis Lebensgefährtin Rosa, verrät er. Sie möchte, dass er sich zu Hause besonders wohlfühlt, weil er so viel Zeit dort verbringen muss. Im Musikzimmer befinden sich neben den Schallplatten auch ein Klavier. Krankheitsbedingt kann er auch dieses jedoch nicht mehr spielen.
Ein DJ-Kollege als starke Stütze
Als DJ, auch unter dem Namen Michalis Boumbalis, ist er bekannt mit den Projekten „Schlafcola“, dem Kollektiv „Mach mal Langsam“ und dem Duo „Oriental Tropical“, das er zusammen mit seinem Kollegen und Weggefährten DJ Janeck betreibt. Getroffen haben die beiden sich 2010. Jemand gab Michalis eine CD mit Janecks „großartiger Arbeit“ mit „La Bolschevita“. Die osteuropäische Musik habe ihn überwältigt, erinnert sich Michalis. Janeck Altshuler, gebürtiger Ukrainer jüdischer Abstammung, ist überhaupt eine zentrale Figur für Michalis in den letzten Jahren: „Er unterstützt mich andauernd.“ Janeck brachte auch einen riesigen musikalischen Reichtum mit in sein Leben. „Und er beamte mich musikalisch zurück in die eigene Kindheit”, erzählt Michalis. Auf Hochzeiten und Familienfesten in der Familie seiner Mutter im griechischen Tripotamas sei diese Musik gespielt worden. Dort habe er auch Griechisch gelernt und etwas Kirchenslawisch aufgeschnappt.
Erweckung im „Omen“ bei Sven Väth
Sein eigenes Erweckungserlebnis als DJ hatte Michalis Mitte der 90er Jahre, als er 16 war. Der erste Disko-Besuch: das legendäre „Omen“ in Frankfurt, wo Sven Väth als DJ tätig war. Es folgten weitere Events, auch mit Chillout-Pionier Stefan Kreuzer. Manchmal fanden die Sets mitten im Wald statt. „Alles war analog organisiert, jede Woche rief man eine bestimmte Nummer an, die ich noch heute auswendig kenne“, erzählt er lachend. Auf dem AB war dann der neue Ort beschrieben. Irgendwann ergab sich die Gelegenheit für Michalis und er konnte selbst auflegen. Auf diesem Weg machte er sich nach und nach einen eigenen Namen als DJ, sowohl in Hessen als auch in Rheinland-Pfalz. So ging er schon als Azubi auf Tourneen, unter anderem sogar mit Manu Chao. Doch irgendwann beeinträchtigte die MS das Leben von Michalis so sehr, dass er seinen Beruf als Fachkraft für Veranstaltungstechnik nicht mehr ausüben konnte und verrentet werden musste. Seitdem gibt ihm allein die Tätigkeit als DJ Erfüllung und Spaß am Leben.
Pandemie hat alles genommen
Wie aber geht das Auflegen mit dieser Krankheit überhaupt? Die Antwort: mit viel Willenskraft und Unterstützung von außen. Allein die Pandemie habe ihm alles weggenommen, wird Michalis ernst. Früher habe er 56 Mal pro Jahr aufgelegt, seit Pandemiebeginn waren es nur noch zehn Mal. Er habe den Fortschritt der Krankheit durch seine Auftritte als DJ etwas anhalten können. Nach manchen Sets habe ihn die Nachbarin normal nach Hause laufen sehen. Als dann jedoch noch starke neuropathische Schmerzen dazukamen, habe eine Ärztin sich gegen eine Corona-Impfung für Michalis ausgesprochen. Es sei mit einer Verschlechterung seines Zustandes zu rechnen. Das fehlende Impfzertifikat führt nun jedoch zwangsläufig zu noch mehr Einschränkungen in Michalis ohnehin komplizierter Existenz. In Mainz könne er einfacher auflegen, da man dort bisher noch die „2G+“ Regelung angewendet hatte. Wünschen würde er sich dies auch für Hessen.
Geniale Idee für die Zukunft
Auf die Frage, was als Nächstes komme, leuchten Michalis‘ Augen wieder auf: „Janeck hat sich etwas Geniales ausgedacht“, er finde immer Mittel und Wege. Geplant ist ein Sound System- Projekt: bunt dekoriert und mit einer Rampe für DJ-Equipment und Box und Akku unterm Sitz, ließe sich Michalis Rollstuhl, auf den er seit zwei Jahren angewiesen ist, in eine autonome und Corona-konforme Wanderbühne verwandeln. Damit möchten die beiden Künstler barrierefreie Touren machen, zum Beispiel in den Rheingau. Mit angepasster Lautstärke könnten sie dann auch Winzer bei der Arbeit oder als Walking Act kleine Wandergruppen begleiten. Das soll „Der rollende Leierkasten“ werden, damit Michalis weiterhin als DJ Lebensmut schöpfen und am öffentlichen Leben teilnehmen kann.
Text Marta Moneva
Fotos Kai Pelka