von Anna Sacco
Ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch schlafend – das sind ungefähr 25 Jahre bei guter Lebenserwartung. Doch nicht jeder hat immer eine gute Nacht. 7,4 Mio. Deutsche leiden unter Schlafproblemen.
Am Tag äußert sich das Defizit u.a. durch Schläfrigkeit, Irritierbarkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Leistungseinschränkungen oder Kopfschmerzen und Magen-Darm- Problemen. In so genannten „Schlaflaboren“, zum Beispiel an der Unimedizin Mainz, aber auch dem Katholischen Klinikum sowie der Römerwallklinik, können Betroffene eine schlafmedizinische Untersuchung machen lassen und gegebenenfalls eine Therapie in Anspruch nehmen. Des Nachts erfolgt die Aufzeichnung verschiedener Körperfunktionen. Aufgrund dieser Messwerte kann am Morgen danach ein Schlafprofil erstellt werden. Dieses lässt Rückschlüsse auf die Schlafqualität und die Ursachen zu, welche den Schlaf beeinträchtigen.
Mainz als Expertenstadt
Über die Ursachen und Auswirkungen von Schlafstörungen diskutieren im Dezember in der Rheingoldhalle über 2.000 Mediziner auf der europaweit größten Tagung dieses Fachgebietes. „Seit der Entwicklung des elektrischen Lichts 1879 ist es möglich, rund um die Uhr zu arbeiten. Nur der Mensch ist die Schwachstelle, denn er braucht Schlaf“, erläutert Tagungspräsident Dr. Hans-Günter Weeß, der sich seit über zwanzig Jahren mit Schlafstörungen befasst. „Nur ein Sechstel der Bevölkerung kommt mit dem frühen Arbeits- und Schulbeginn gut klar.“ Tausende Deutsche dagegen erleben einen „sozialen Jetlag“. Sie sammeln über die Arbeitswoche ein Schlafdefizit an, das im schlimmsten Fall zur einer chronischen Schlafstörung wird.
Die Non-Stop-Gesellschaft
Aufgrund von Industrialisierung, Schichtarbeit, Stress, aber auch exzessiver Mediennutzung schlafen wir weniger als früher. Auch die ständige Erreichbarkeit setzt uns unter Druck. Eine nächtliche „Grübelneigung“ führt zudem zu emotionaler Anspannung. Wer aber nicht mehr richtig „abschalten“ kann, ist ständig gestresst. „Entspannung ist der Königsweg zum Schlaf, daher sollten Vielnutzer von Smartphones ihr Handy nachts aus dem Schlafzimmer verbannen und mindestens eine Stunde, bevor sie ins Bett gehen, aus der Hand legen“, rät Weeß.
Mit moderner Diagnostik und gezielter Behandlung können Schlaf-Gestörte ihren Schlaf wieder ins Gleichgewicht bringen. Die Erzieherin Helene Schwarz ging vor 15 Jahren mit massiven Schlafstörungen in ein Schlafzentrum. Nach mehrwöchigem Training und mit viel Disziplin konnte sie ihren Schlaf ohne Medikamente wieder selbst regulieren und leitet nun eine Selbsthilfegruppe. „Bettzeit ist nicht das gleiche wie intensive Schlafzeit. Ich habe gelernt, dass es besser ist aufzustehen, anstatt stundenlang vor mich hin zu grübeln.“
Lerchen und Eulen
Die meisten Erwachsenen brauchen sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht. Manche sind aber auch nach nur sechs Stunden fit, während andere erst bei zehn Stunden ihre Spitzenform erreichen. Berücksichtigt man die Uhrzeit der Leistungsfähigkeit, so kann man zwei „Chronoypen“ feststellen: die Lerche und die Eule. Lerchen sind Morgenmenschen, werden dafür aber abends früher müde. Eulen sind abends leistungsfähiger und kommen dagegen morgens schwer aus dem Bett. Viele Wissenschaftler sind sich heute einig, dass gleitende Arbeitszeiten, die dem individuellen Schlafrhythmus von Lerchen und Eulen gerecht werden, wünschenswert und sinnvoll wären.
Auch Familien-Ministerin Schwesig fordert einen späteren Schulbeginn aufgrund der neuesten Erkenntnisse. Hat man ausreichend und natürlich geschlafen, wirkt sich das positiv auf unser Gedächtnis aus. Die aktuelle Forschung bestätigt die Stärkung von Leistungsvermögen, Aufmerksamkeit sowie Lern- und Gedächtnisprozessen. Das wiederum lässt die Lebenserwartung steigen, während jahrelanger schlechter Schlaf ein erhöhtes Demenz-Risiko mit sich bringt.
Überoptimierung des Körpers
In der Arbeitswelt wurde ein konstantes Schlafdefizit lange Zeit akzeptiert und als Preis des Erfolgs angesehen. Nun ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schlafmangel ähnliche Auswirkungen auf den Organismus hat wie Trunkenheit. Gleichzeitig geben 20 Prozent der Manager, Führungskräfte und Politiker in Deutschland an, weniger als fünf Stunden am Tag zu schlafen. Politiker wie Michael Hartmann (SPD) nahmen Amphetamine, um auf der Höhe zu bleiben. Was für Folgen dieses Verhalten auf Entscheidungen hat, die über unser Leben und unsere Gesellschaft getroffen werden, darüber kann nur spekuliert werden.
Insbesondere Arbeiter im Drei-Schicht- Betrieb sind von Schlafstörungen betroffen. Jeder Dritte leidet hier an Einund Durchschlafproblemen, weil sie entgegen ihrer inneren Uhr arbeiten und schlafen. „Bei Schichtarbeitern ist das Unfallrisiko auf dem Nachhauseweg auf das bis zu Achtfache erhöht“, weiß Dr. Weeß. Darüber hinaus haben sie ein höheres Risiko für Magen- Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Wir gönnen uns keine Ruhe mehr“, sagt Helene Schwarz. „Wir neigen so sehr zum Perfektionismus und vergessen dabei unseren Körper.“ Aber der Mensch, der funktioniert so nicht. Nach rund 50 Jahren Forschung an der Stanford Universität kann William Charles Dement, der Gründer des ersten klinischen Schlaflabors in den USA, nur eines sicher sagen: „Soweit ich weiß ist der einzig wirklich stichhaltige Grund, warum wir schlafen müssen, weil wir schläfrig werden.“
Öffentliches Patientenforum in Mainz, Samstag, 5.12. von 10.30–13 Uhr
Rathaus, Eintritt frei
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