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Franziska Voigt – Die Radfahrbeauftragte im Interview

Du bist seit 5 Jahren Radfahrbeauftragte in Mainz. Eines der aktuellen Projekte ist die Digitalisierung des Radverkehrs. Was wird auf uns zukommen?
Wir haben Fördergelder für Digitalisierungsmaßnahmen bewilligt bekommen. Darunter fällt zum Beispiel ein Projekt für smarte Beleuchtung in Form von Solarlampen auf einer Pilotstrecke. Wenn Räder kommen, werden die Leuchten aktiviert und erlöschen nach dem Vorbeifahren. Das schont Flora und Fauna und ermöglicht auch die Erfassung von Rad-Aktivitäten. Auch eine FahrradApp wird kommen, mit der man besser durch die Stadt navigieren kann. Oder Radboxen an Bus- und Bahnhaltestellen, wo man sein Rad einschließen kann samt Helm & Gepäck, um auf den ÖPNV umzusteigen. Auch Bike-Flashs sind geplant, also ein Warnsystem mit blinkenden LEDs zur Vorbeugung von Unfällen. Die leuchten, sobald sich Radfahrende nähern. Das ist aber noch Zukunftsmusik und wird erst in den nächsten Monaten und Jahren umgesetzt.

Auch neue Radrouten sind geplant. Werden im Zuge dessen alte Radwege saniert?
Die Herausforderung in Mainz ist die enge Bebauung – und damit der begrenzte Platz. Um alle Verkehrsmittel mit ausreichend Raum auf die Straße zu bekommen, bräuchten wir für ordentliche Gehund Radwege an die 20 Meter Gesamtbreite. Das ist nicht realisierbar. Die Devise lautet daher: Wir brauchen Lösungen auf der Fahrbahn, wo Rad, Autos und Busse gemeinsam fahren. Denn der Radverkehrsanteil steigt und liegt im Binnenverkehr bei 25 Prozent, im Gesamtverkehr ist er von 17 auf 21 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Autos liegen bei etwa 32 Prozent. Der Straßenraum muss also gleichberechtigter verteilt werden! Die schmalen Bestandsradwege haben bei Sanierung zudem das Problem der angrenzenden Bäume. Daher: Zukunftsfähige Rad-Infrastruktur findet auf der Fahrbahn statt!

Und welche Routen sind nun geplant?
Es soll aus allen Stadtteilen Routen in die Innenstadt geben. Und auch die Stadtteile untereinander sollen verbunden werden. Für Mainz-Hechtsheim konnten wir das schon auf einem längeren Abschnitt umsetzen. Als nächstes sind Verbindung für Finthen, Gonsenheim und Hartenberg-Münchfeld geplant. Darüber hinaus wurde im letzten Stadtrat beschlossen, dass wir mit einem externen Büro Varianten für Radrouten zwischen Hauptbahnhof und Rheinufer untersuchen. Das wird noch etwas dauern. Aber das Radparkhaus inklusive Reparaturwerkstatt wird dort bald eröffnen.

Auch die Stellen für Radverkehr sind nun besser besetzt.
Genau. Mainz war zu Beginn der 90er Jahre die erste Stadt mit einem Radfahrbeauftragten. Ich bin seit fünf Jahren dort. Seit Juni gibt es nun mit dem fahrRad Büro neben mir noch drei weitere Personen. Die Schwerpunkte liegen neben der Planung auf Kommunikation und dem Radparken. So können wir den ansteigenden Radanteil und die damit verbundenen Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen und besser bearbeiten.

Wird es auch wieder eine Bürgerbeteiligung zum Thema Rad geben?
Ja, dafür haben wir den „Runden Tisch Radverkehr“ wiederbelebt. Hier sitzen wir drei bis vier Mal im Jahr mit interessierten Bürgern zusammen und diskutieren Projekte. Zusätzlich entsteht der sogenannte „Radkonsens“, bei dem die Verwaltung mit Politik und Interessenvertretern Leitlinien für die weitere Entwicklung des Radverkehrs erarbeitet. Das Ganze wird von einem externen Auditor begleitet, der bei der Evaluierung des Ist- und Soll-Zustandes unterstützt. Auch dazu wird es bald wieder eine Bürgerinformation geben.

Kommst du eigentlich aus Mainz?
Nein, ich bin 2003 aus einer Brandenburger Kleinstadt im Berliner Speckgürtel nach Mainz gekommen. Nach einer eher zufälligen Einladung zur Johannisnacht war ich so begeistert von der Stadt, dass ich beschlossen habe, hier zu studieren: Geografie mit Nebenfach Ethnologie und Öffentliches Recht. Im Studium gab es schon Themen wie Verkehrsgeographie und Raumplanung / Stadtplanung. Das hat gut gepasst. In der Zeit habe ich mir mit Verkehrszählungen meine Studentenkasse aufgebessert und bin so in Kontakt mit dem Stadtplanungsamt gekommen. Da lag es nahe, auch mein Praktikum dort zu absolvieren, wodurch ich noch tiefer in die Thematik Mobilität und Verkehr eingestiegen bin. Schließlich habe ich auch meine Diplomarbeit über ein verkehrsgeographisches Thema geschrieben. Als die Stelle als Radfahrbeauftrage ausgeschrieben wurde, konnte ich mich unter 100 Bewerbern durchsetzen.

Bist du auch selbst ein Rad-Freak?
Ich bin eher die klassische Alltags- und Gelegenheits- Radfahrerin. Ich gehe auch gerne mal zu Fuß oder fahre Bus und Straßenbahn. Ich habe trotzdem zwei Räder, eins mit Motor und eins ohne, eins schwarz, das andere weiß. Damit lege ich vor allem berufliche Strecken zurück.

Warum zieht man von Berlin nach Mainz?
Berlin ist Geschmackssache. Die Stadt ist mir zu groß und hat eine gewisse „Ellbogen-Romantik“, die mir nicht so liegt. Daher bin ich nach dem Studium gerne hier geblieben. Mainz macht es einem leicht, anzukommen und ich mag die Geschichte der Stadt. Und jetzt noch für diese Stadt zu arbeiten und etwas bewegen zu können, das ist für mich eine win-win- Situation.

Wie erlebst du Corona persönlich?
Für mich macht das kaum einen Unterschied. Wir sind täglich im Büro. Man kann sich vereinzelt mit Freunden treffen. Ich empfinde die Einschränkungen als nicht besonders gravierend. Nur die Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen, das fehlt mir schon. Ich hatte einige Tickets für das unterhaus oder für Dieter Thomas Kuhn auf der Zitadelle, eine geheime Leidenschaft von mir. Das ist jetzt alles erst einmal verschoben.

Hast du noch andere Hobbies und Interessen?
Ich reise noch gerne; meistens Städtetrips nach Hamburg, Leipzig oder Köln, um Freunde zu besuchen. Einmal im Jahr bin ich auch in Ägypten. Dorthin habe ich in meinem Geographiestudium eine Exkursion gemacht und das finde ich seitdem historisch und kulturell super spannend. Ansonsten bin ich aber auch gern in Mainz unterwegs und mache hier zum Beispiel auch Stadtführungen mit dem Verein „Geografie für alle“. Die kann ich wärmstens empfehlen – etwa den Rundgang „Mainz mal anders“ oder „Legende und Wahrheit“: Was hat es zum Beispiel mit dem 11.11. auf sich – woher kommt die „11“ eigentlich? Woher kommt das Mainzer Wappenrad oder was bedeuten die blauen und roten Straßenschilder? Lasst euch da mal überraschen…

Interview David Gutsche Foto Jana Kay