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Die Könige des Krempels – Mainzer Krempelmarkt am Rheinufer

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von Mara Braun, Fotos: Anna Thut

Das Wort zum Sonntag, pardon, Samstag, spricht Mario gelassen aus: „Ohne Kaffee geht bei mir nix.“ Den gießt sich der gemütliche Mann im Trainingsanzug heiß dampfend aus seiner Thermoskanne in den weißen Plastikbecher. Dabei nickt er einem Jugendlichen am anderen Ende des Tapeziertisches zu: „Das ist echte Handarbeit, junger Mann.“ Der Angesprochene wirkt fast erschrocken und macht sich eilig davon. Es ist kurz nach sieben.
Offiziell beginnt der Aufbau für den Krempelmarkt am einzigen Termin des Jahres vor der Umstellung auf die Sommerzeit um acht, der Markt selbst um neun Uhr, doch am Ufer des Rheins herrscht längst Betriebsamkeit – die Trödelkönige können den Start in die Saison kaum erwarten. Immerhin, inzwischen ist es hell geworden und es scheint, als ob das Wetter entgegen der Voraussagen hält. Mario streicht sich über seinen Schnauzer, ein Windstoß fährt ihm in die gelbe Blousonjacke. Neun Jahre war er alt, als seine Liebe zum Flohmarkt ihren Anfang nahm. „Damals habe ich mit meinem Bruder beklebte Coladosen als Sparschweine verkauft.“ Was macht für ihn den Reiz aus? „Na, das Handeln. Ich sag’ immer, hier muss viel mehr gehandelt werden. Die Leute hören den Preis und gehen weiter: totaler Quatsch!“

Der Wein von letzter Nacht
Den Stand teilt sich Mario mit Kumpel Wolf, den er zärtlich-ironisch „Wolle“ nennt. „Das darf aber nur er“, brummt der Hüne mit dem 05-Aufnäher an der Jacke. Tipps fürs heutige Auswärtsspiel? „Ich hoffe auf ein 2:1, aber leicht wird’s nicht.“ Seine Ware generiert er vor allem bei Haushaltsauflösungen, die er kostenlos übernimmt. Heute fällt ihm alles ein wenig schwerer als sonst: „Ich bin am Montag erst an der Schulter operiert worden.“ Aber deshalb zu Hause zu bleiben, das kam für ihn nicht in Frage: „Das war so ’ne absolute Vorfreude auf den Tag, endlich geht’s wieder los!“ Stereoboxen, Magazine und Modelleisenbahnen liegen sorgsam angeordnet auf seinem Verkaufstisch, nebenan sortiert ein Mann Bücher voll alter Postkarten und Briefmarken, während eine junge Frau tütenweise Spielzeug anschleppt und überall Tapeziertische aufgeklappt und dekoriert werden. Doch nicht nur besonders eifrige Verkäufer und neugierige Kunden sind zu früher Stunde am Rheinufer, auch Jogger sind unterwegs – sichtlich erstaunt über die ungewohnte Masse an Menschen; im Herbst und Winter konnten sie hier schließlich samstagmorgens beinahe unbeobachtet trainieren. Nun aber steigt so langsam auch die Lautstärke zwischen den ausladenden Bäumen, deren noch nackte Äste als Kleiderständer dienen. Viele Verkäufer kennen sich untereinander und schnacken gut gelaunt, an einem Stand knallen Sektkorken. Auf dem Weg künden leere Dosen und ein zertretener Wein-Tetrapak von den Flaneuren der letzten Nacht. Der Himmel sieht inzwischen wieder nach Regen aus.

Nackte Haut und nordische Power
Von den nackten Ästen ist es selbst bei diesen empfindlichen Temperaturen kein weiter Weg bis zur nackten Haut. „Wartet, wartet, ich ziehe mich kurz aus!“, verspricht Helga – und hat damit sofort die Aufmerksamkeit der Umstehenden. Flugs wedelt sie ihre Arme aus der Jacke und zieht den dicken Pullover über ihren Kopf, bevor sie schließlich das Shirt ein Stück den Arm hochzieht und eine etwa 25 Zentimeter große Kriegerin freilegt. „Toll was? Die hab ich mir am Montag tätowieren lassen!“ Während etliche Kinnladen vom Boden zusammengefegt werden müssen, fragt eine junge Frau: „Sie kommen ursprünglich aber nicht von hier, oder? Sie sind oben aus Neustadt am Rübenberge, das höre ich.“ „Na logo, Mädchen“, bestätigt die 66-Jährige und die Frauen werfen ihre Hände zum High Five in die Luft: „Nordpower!“ Zigarettenpause derweil am benachbarten Stand von Ulla. „Früher bin ich hergekommen, um den Brass der Arbeitswoche loszuwerden, inzwischen vergeht bei mir kein Wochenende ohne Flohmarkt“, erzählt sie. Besteck, Schmuck, Telefone, Geschirr oder uralte DSDS-Magazine – am Verkaufstisch der Saulheimerin gibt es nichts, was es nicht gibt. „Was kostet die Jacke?“ „Sechs Euro.“ „Ich gebe dir vier!“ „Sagen wir fünf?“ Die Kundin kräuselt die Nase, beharrt auf vier – und während Mario an ihrer Feilscherei wohl seine Freude gehabt hätte, ist Ulla unerbittlich. „Die habe ich im Winter selbst gestrickt, für vier Euro kriege ich nicht mal die Wolle wieder rein.“ Die Interessentin trottet schimpfend davon und weicht dabei einem im Wind wippenden Schaukelpferd aus. Vielleicht wird sie ein paar Stände weiter glücklich, wo neben zahlreichen Bekleidungsstücken ein Schild die Kundschaft lockt, das verspricht: „Alles 2 Euro, ausgenommen teure Sachen.“

Warenlager in der heimischen Garage
„Wir kommen seit 15 Jahren hierher“, erzählt Klaus, der seine Sachen über den Herbst in der Garage lagert: „Die ist bis oben voll.“ Weil die Freunde längst von seiner Trödelleidenschaft wissen, geht ihm und seiner Frau ihre Ware nie aus: „Wir kriegen immer neue Sachen.“ Am Stand findet sich Porzellangeschirr mit Goldkante neben alten Telefonen oder Duschgel, alles liebevoll herausgeputzt und angeordnet. „Die Leute kaufen alles“, sagt der Hesse mit einem Nicken und verrät auch sein Geheimnis: „Weil 90 Prozent der Besucher immer gleich sind, bringen wir jedes Mal andere Ware mit. Mal die eine Kiste, mal die andere. Das wissen die Leute zu schätzen!“ Auch Willy, der „echte Meenzer aus der Neustadt“ am Stand nebenan, schwört auf seine treue Stammkundschaft. „Die kommen immer wieder.“ Einer von ihnen hat sich gerade noch vorm offiziellen Verkaufsbeginn Schaufensterpuppe Oskar gesichert, der die letzten Tage als Open Air-Mitbewohner auf Willys Balkon verbracht hat – dabei hat Willy ihn schon ein wenig ins Herz geschlossen. Aber man muss sich eben auch mal trennen können …

Gut zu wissen: Verkäufer wie Kunden sprechen zwar gerne vom Flohmarkt, tatsächlich heißt er aber Mainzer Krempelmarkt. Die nächsten Termine sind am 5. & 19. April und am 10. Mai, dann immer von 7 bis 16 Uhr. Standvergabe über das Amt für Wirtschaft und Liegenschaften unter 06131/12 24 71. Gebühr 25 Euro für ca. 4m plus 5 Euro Parken.