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Die Jugend von heute – „Generation Z“ in Mainz

Lässig sitzen Sophie und Lola auf einem Ast vor ihrer Schule, dem Gymnasium Mainz-Oberstadt. Eine Dreiviertelstunde brauchen die Zwillinge jeden Morgen mit dem Bus, müssen dreimal umsteigen, bis sie von ihrem zuhause im beschaulichen Marienborn in der Schule sind. „Wir haben sogar Mitschüler, die jeden Tag aus Rüsselsheim kommen“, erzählt Sophie.

Das Gymnasium wurde erst vor acht Jahren eröffnet und ist technisch auf dem neuesten Stand. Es gibt kaum Tafeln mehr, der Unterricht findet mit Smartboards statt, interaktive digitale Tafeln, die mit einem Computer verbunden sind. Mit Hilfe eines Beamers wird der anzuzeigende Bildschirminhalt auf die weiße Fläche des Boards projiziert. Es stellt also primär einen großen Bildschirm dar.

Während der großen Pause auf dem Schulhof geht es eher entspannt zu; Mädchen stehen immer noch in kleinen Grüppchen zusammen, schnattern und zupfen sich gegenseitig an den Klamotten und Haaren herum, Jungs spielen nach wie vor Fußball. Sophie und Lola sind gerade 12 geworden, stehen also noch am Anfang der Pubertät. Sie haben etwas Kindliches, kichern viel und geraten auch immer mal wieder in einen kleinen Streit darüber, dass die eine gerade etwas macht, das die andere nervt. Wenn man sie ansieht, erahnt man aber auch schon die jungen Frauen, die sie bald sein werden.

„Am meisten freue ich mich beim Erwachsenwerden darauf, Entscheidungen allein treffen zu dürfen“, verrät Sophie. Beruflich will sie später etwas Kreatives machen, „bloß nichts Spießiges!“ Ihr Traumberuf ist Choreographin, denn „Leute, die tanzen, haben immer gute Laune.“ Bedenken, dass das eine brotlose Kunst sein könnte, hat sie nicht: „Der Choreograph von Lady Gaga verdient ja auch viel Geld. Und über YouTube kann man ganz leicht verbreiten, dass man gut ist. Und wenn man gut ist, wird man auch gebucht“, weiß Sophie und fügt hinzu: „Wer hätte gedacht, dass YouTuberin mal ein richtiger Beruf sein würde? Man kann mit allem viel Geld verdienen, wenn man es gut macht.“

YouTube, WhatsApp, Instagram

YouTube ist für Teenager heute eine der wichtigsten Informationsquellen. Ihre Idole sind nicht mehr Schauspieler aus Hollywood-Streifen, sondern extrovertierte Vlogger (ein Kunstwort aus „Video“ und „Blog“), die auf ihrem YouTube-Kanal Einblicke in ihr Leben geben und Videos mit Schmink-Tutorials oder Beziehungstipps hochladen. Facebook ist out, dafür nutzen die Kids WhatsApp, schicken per Snapchat Schnappschüsse an Freunde und posten auf Instagram Bilder – mit jeder Menge Hashtags ver sehen, für alle Welt sichtbar. Das kennt man von Models, die ihren Followern den Erfolg ihres neuesten Workouts präsentieren.

Aber was posten Mainzer Schüler den ganzen Tag und wer folgt ihnen? Schließlich macht das Zeigen nur Spaß, wenn auch jemand zuguckt: „Was man gerade gekocht hat, in welcher coolen Bar man mit Freunden ist, sowas eben“, verrät Arne seine Inhalte. Der 17-Jährige geht auf das Frauenlob-Gymnasium in der Neustadt. „Manche inszenieren sich aber auch als Möchtegern-Models“, lacht seine Mitschülerin Lena und verdreht die Augen. Die Generation Z (schlagwortartig als die Nachfolge-Generation der Generation Y bezeichnet) ist mit der Dauerpräsenz „sozialer Medien“ groß geworden. Sie konsumiert nicht nur Inhalte, sondern kreiert sie auch. Dadurch hat sie früh gelernt, sich zu präsentieren und auch mal Kritik von anderen einzustecken.

„Der Ton bei WhatsApp ist hart, aber man lernt, damit umzugehen“, sagen Lena und Arne. Die dadurch gewonnene Bestätigung spiegelt sich auch in ihren beruflichen Zielen wider. Während die Generation Y, also die heute um die 30-Jährigen, in der Arbeit vor allem Sinn und persönliche Erfüllung sucht, möchten die Jugendlichen der Generation Z wieder Karriere machen. Ihnen geht es dabei weniger darum, viel Geld zu verdienen, sondern zum Großteil um Anerkennung: „Man muss sich hohe Ziele im Leben setzen, dann erreicht man auch etwas“, ist sich Sophie mit ihren 12 Jahren sicher.

Über Vorwürfe älterer Leute wie „Die hängen den ganzen Tag am Handy und können gar nicht mehr richtig kommunizieren“ können sie nur müde lächeln. Man kennt hier eben kein VOR und NACH dem Internet, es war „schon immer“ da. Für sie ist das Digitale der Alltag. „Wir kommunizieren nicht weniger, im Gegenteil, wir sind ständig im Kontakt miteinander. Wir kommunizieren einfach anders“, sagen Arne und Lena.

Für Eltern und Lehrer ist das eine Herausforderung. Manche Schulen, wie das Gymnasium Mainz-Oberstadt, haben ein Handyverbot eingerichtet, damit die Schüler nicht permanent abgelenkt sind. Am Frauenlob-Gymnasium gibt es einen Medienbeauftragten, der die Schüler über die Gefahren des Internets aufklärt. „Die meisten Streits in unserer Klasse entstehen über Missverständnisse bei WhatsApp“, erzählen Lola und Sophie. Sie selbst blieben bisher davon verschont, denn ihre Eltern halten sie noch zu jung für WhatsApp. „Das ist schon krass, was da abgeht. Ich bin aus allen Gruppen ausgetreten, die die Schule betreffen. Ich will mich da nicht mit reinziehen lassen“, sagt Lena. Lola und Sophie verhandeln trotzdem täglich mit ihren Eltern, wann sie die App endlich installieren dürfen. Der Sog der Sozialen Netzwerke ist zu groß

Freshe Neustadt-Kids

„Ich habe WhatsApp seit ich zehn war“, erzählt Jamie stolz. Da war der heute 13-jährige noch in der Grundschule. Danach ging er auf ein Gymnasium, aber „das ging dort viel zu schnell“. Heute besucht er zusammen mit seinen gleichaltrigen Kumpels Joshi und Benjamin die Anna-Seghers-Realschule in der Innenstadt.

„Wir achten selbst darauf, was wir verschicken. Ich will ja nicht als Witzfigur im Internet landen“, sagt Benjamin, ein großer, kräftiger Kerl mit bosnischen Wurzeln. An seiner Schule wurde Aufklärung über die Gefahren des Internets betrieben, das meiste hat er aber von seinen Schwestern gelernt. Wie seine Kumpels hat Benjamin drei Geschwister: „Da bringt man sich gegenseitig viel bei.“ Demnächst wollen sie anfangen, Zeitungen auszutragen, um eigenes Geld zu verdienen. „Dann spare ich auf einen Flug nach Amerika. Da wohnt meine Tante“, verrät Jamie.

An den USA orientieren sich auch Klamottenstil und Sprache der Jugendlichen: Sneaker, überdimensionierte Basecaps und jede Menge englische Ausdrücke wie „fresh“, „nice“ oder „bruh“, eine Abwandlung von „bro“ sind Programm. Auf dem Schulhof tanzen die Kids den „Dab“ (gesprochen: Däb), einen HipHop-Move, bei dem man die Arme schräg nach oben hält. „Alle machen das, das ist eine richtige Bewegung“, erklärt Benjamin.

Die aktuelle Jugendsprache kennt aber auch Wortkreationen mit ernsterem Hintergrund: „merkeln“ heißt so viel wie Nichtstun, keine Entscheidung treffen oder Äußerungen von sich geben. Und mit „Smombie“ ist ein Mensch gemeint, der durch den ständigen Blick auf sein Handy so stark abgelenkt ist, dass er seine Umgebung kaum noch wahrnimmt, also ein Smartphone-Zombie. Kritik an der eigenen Generation ist erlaubt.

Erwachsenwerden in Mainz

Den Kids gefällt Mainz, sie mögen die Größe der Stadt, die sie nicht mit zu vielen Möglichkeiten erschlägt und ihnen trotzdem Raum gibt. Der 17-Jährige Arne geht abends schon mal mit Freunden ein Bier trinken, am liebsten im Eisgrub. Dass das Angebot an Kneipen im Vergleich zu anderen Städten begrenzt ist, stört ihn (noch) nicht. „Gerade weil die Stadt so überschaubar ist, lassen die Eltern einen auch mal alleine losziehen“, erklärt Lena. Arne ist Mainzer mit Leib und Seele. Er liebt Fastnacht und hat diese Saison schon seine dritte Dauerkarte bei Mainz 05. Seine Freizeit ist vor allem durch die Schule organisiert, dort macht er Musik und ist in der Theater-AG.

Seitens der Stadt vermissen die Jugendlichen Angebote und Orte, die nur für sie sind. Besonders die Neustadt-Kids wünschen sich mehr eigene Plätze, auf denen sie sich austoben können. „Vor allem was, wo nicht so viele Assis rumhängen und ihre Zigaretten überall hinschmeißen“, sagt Benjamin. Fast jeden Tag trifft er sich mit Joshi und Jamie im Goethepark. Es gefällt der kleinen Gang hier eigentlich ganz gut, mit dem Skatepark, der großen Wiese und dem Basketballplatz. Der Park ist aber auch Treffpunkt für allerlei zwielichtige Gestalten, die hier auf den Bänken rumhängen.

Im Sommer ziehen die drei deshalb durch die Neustadt auf der Suche nach verlassenen Ecken, in denen sie sich ihr eigenes Reich schaffen können: „Einmal haben wir auf den Dächern von alten Garagen eine Art Baumhaus gebaut. Neben einer Garage stand ein Baum, an dem man hochklettern konnte. Wir hatten da Werkzeug und alles“, erzählt Joshi begeistert. „Irgendwann kamen wir hin und jemand hatte alles kaputtgemacht.“

Ein anderes Mal haben die drei eine Anzeige kassiert, als sie sich auf verlassenen Bahngleisen die Zeit vertrieben. „Da war ein Typ, der hat uns die ganze Zeit vom Fenster aus beobachtet. Der hat geschimpft, dass wir zu laut sind. Irgendwann hat er sogar die Polizei gerufen. Vollkommen sinnlos!“ Es wirkt, als könnten die drei die Situation immer noch nicht begreifen. „Als die Polizei kam, hat er behauptet, er würde sich nur Sorgen um uns machen“, schüttelt Benjamin den Kopf. Eine Art Zufluchtsort finden die Jungs im Neustadtzentrum, wo Sozialarbeiter und Pädagogen mit ihnen kochen, Sport machen und die Hausaufgabenbetreuung übernehmen.

Obwohl Benjamin, Joshi und Jamie ziemlich tough aussehen, scheint der geschützte Raum in dem Jugendzentrum wichtig für sie zu sein: „Wir können auch zu den Betreuern gehen, wenn es bei uns mal nicht so gut läuft. Die reden dann mit uns.“ Was sie sich wünschen? „Ein Trampolinpark wäre cool“, ruft Jamie. Dort wäre es auch im Winter warm. Bis der Sommer kommt, zocken die Jungs sonst zu Hause nämlich lieber Videospiele.

Von dreckigen Bahnhöfen und Treffpunkt-Evergreens

Auch Jan aus Oppenheim liebt das Zocken an Konsolen. Sobald ein neues Videospiel herauskommt, steigen er und seine Kumpels in den Zug nach Mainz, um es im Elektrofachmarkt auszuprobieren. „Wir verbringen schon mal einen ganzen Samstag im Saturn. Das meiste von meinem Taschengeld geht für Videospiele drauf“, erzählt der 15-Jährige. Auf der Fahrt nach Mainz fallen ihm vor allem die dreckigen Bahnhöfe auf: „Die sind irgendwie immer schäbig. Wir hängen trotzdem oft im McDonalds ab, weil man da immer jemanden trifft. Danach laufen wir einfach draußen herum und reden.“ Nicht nur Fast-Food-Restaurants, sondern auch Starbucks-Cafés sind ein beliebter Treffpunkt bei Jugendlichen.

Lena findet die Wahl des Standorts im Hauptbahnhof aber nicht ideal: „Es wäre cool, wenn es das auch an anderen Orten in der Stadt geben würde, irgendwo, wo die Umgebung nicht so hektisch ist und man ein bisschen rausgucken kann.“ Andere Orte, an denen die Mainzer Kids im Sommer das Leben genießen, kennt auch manch alter Hase noch: Arne und Lena sind viel am Rhein, Lola und Sophie treffen ihre Freundinnen in der Eisdiele oder auf dem Sportplatz. Manchmal gehen sie mit ihrer Mutter an lauen Abenden in den Sommerferien auch an den Rheinstrand. Dort tanzen sie dann zusammen unter freiem Himmel.

Die Zwillingsmädels sind in einem Alter, in dem alles möglich scheint und jeder Tag ein Abenteuer ist. Und auch die Neustadt-Jungs haben große Träume: Benjamin, Jamie und Joshi wollen später mal zusammenziehen und eine eigene Firma aufmachen. „Vielleicht als KFZ-Mechaniker, denn Autos gehen immer“, lacht Joshi verschmitzt. Mit 16 wollen sie ihren Roller-Führerschein machen und sich irgendwann „ein richtig geiles Auto kaufen“. Manches ändert sich dann eben doch nie …

von Sophia Krafft und Katharina Dubno (Fotos)