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Die Corona-Semester: Studieren in der Pandemie nervt

Stadt, Studierende und Uni leiden unter der menschenleeren Corona-Zeit. Jetzt soll der Präsenzbetrieb wieder aufgenommen werden.

Die Tische und Bänke vor den Lehrgebäuden vereinsamen auf dem sonst so belebten Uni- Campus der Gutenberg Uni. Lediglich vor dem Georg-Forster-Gebäude und in der Nähe des Barons und des Qkaffs lassen wenige Studierende eine Art Campusgefühl aufkommen. Der eingeschränkte Regelbetrieb seit dem 7. Juni 2021 lässt mehr nicht zu. Das hat Folgen: In einer Umfrage gaben 64 Prozent der befragten Studierenden an, es sei schwieriger geworden, Kontakt zu anderen Studierenden zu haben. Für Selina, Publizistikstudentin, war es vor allem belastend, kaum auf das Unigelände zu dürfen: „Das ist ein großer Bestandteil vom Studieren, dass man auch seine Leute sieht und auf dem Campus ist, in die Bib geht.“ Im Gegensatz zu vielen ihrer Mitstudierenden wohnt Selina nicht in Mainz, sondern in Rüsselsheim. Von dort aus sei es für sie schwer gewesen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten: „Man ist ja auch in einer Bubble durch die Uni und durch das Studium. Meine Bubble war halt die ganze Zeit in Mainz.“

Hannah, 21, Psychologiestudentin

Rückgang bei den Vermietungen
In einer Stadt studieren, in der man nicht wohnt, ist für viele während der Digitalsemester traurige Realität geworden. Das spüren auch die Mainzer Vermietenden: „Es herrscht momentan schon Leerstand, auch, wenn es wieder anzieht“, sagt Manuel Rosselit, Geschäftsführer von Rosselit Immobilien in Mainz. Besonders für Einzelapartments sind die studentischen Anfragen zurückgegangen. Wurden diese vor der Pandemie bei Rosselit noch zu 90 Prozent an Studierende vermietet, sind es nun zu gleichen Teilen Studierende und Handwerkende, die in den Wohnungen leben. Von 4.200 verfügbaren Plätzen in den Wohnheimen des Studierendenwerks Mainz sind im Sommer 3.671 an Studierende vergeben, erklärt die Einrichtung. Sonst boomt die Nachfrage in der Studentenstadt, jetzt veranlassen Leerstände bis 10 Prozent und mehr das Studierendenwerk dazu, Zimmer zeitweise auch an Nicht-Studierende zu vergeben. Neben Mietzahlungen brechen dem Studierendenwerk auch die Einnahmen aus den Cafeterien und Mensen weg. Selbst nachdem diese unter strengen Hygieneauflagen wieder öffnen durften, ist die Gastierendenzahl nicht mit den Besucherzahlen vor Corona zu vergleichen. Um Kündigungen vorzubeugen, wurde ein Teil der Belegschaft in Kurzarbeit geschickt.

Rückgang bei den studentischen Jobs
Ein wichtiges Mittel der Studienfinanzierung abseits von staatlichen und institutionellen Hilfenstellen in der Regel Nebenjobs dar, vor allem in Bereichen der Kultur und Gastronomie. Seit den großen Schließungen suchen viele Unternehmer aber auch hier händeringend nach Personal. Nima Khalatbari, Geschäftsführer der Cocktailbar „Der große Gatsby“ und des „Daisy“ in der Gaustraße berichtet, dass vor allem Bewerbungen aus Eigeninitiative stark zurückgegangen seien: „Viele haben im Testzentrum für 20 Euro die Stunde gearbeitet oder im Einzelhandel, das ist sicherer.“ Doch nicht nur als Mitarbeitende, auch als Gastierende fehlen die Studierenden. Philipp Meier von mainzplus Citymarketing bestätigt: „Studierende (und jüngere Menschen generell) machen einen großen Teil unseres Publikums aus – bei Partys, Konzerten, Poetry Slams und sonstigen Events. Selbst jetzt, wo wieder mehr Veranstaltungen möglich sind, sind gefühlt weniger Studierende zu Gast als noch vor der Pandemie.“

Nedim, 21, studiert Publizistik und
audiovisuelles Publizieren

Hannah, die Psychologie im zweiten Semester studiert und während Corona ins Studium startete, erzählt: „Ich saß super viel am Schreibtisch. Man hat nicht viel Abwechslung.“ In Bezug auf den Uni-Stoff habe auch ihr die Interaktion gefehlt. „Ich finde es schwierig, sich so den Stoff zu merken.“ Nedim, der Publizistik studiert, fühlte sich besonders durch die Eintönigkeit der Digitallehre und die fehlende soziale Rückkopplung belastet: „Du gehst nicht hin und tauschst dich über die Themen aus, sondern machst im Prinzip einfach deine Aufgaben. Du sitzt da, klapperst das ab und bist froh, wenn du fertig bist.“ Gerade als die digitale Lehre zu Beginn Neuland war, habe sich Nedim allein gelassen gefühlt. Etwa 30 Prozent der Studierenden geben an, dass es für sie schwieriger geworden sei, den Veranstaltungen und Inhalten zu folgen.

Präsent in den Winter
Der Lernerfolg von Studierenden liegt auch im Interesse der Hochschulen. Daher planen sowohl die Universität wie auch die Hochschule Mainz, im Wintersemester weitgehend zur Präsenzlehre zurückzukehren für Geimpfte, Genesene und Getestete. Die Uni Mainz bot im Juli Studierenden an, sich auf dem Campus impfen zu lassen. Mit 3.450 verabreichten Dosen bewerte die Universität die Aktion als Erfolg, auch wenn das Potenzial von 5.000 bereitgestellten Impfdosen nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Die Hochschulen erhalten darüber hinaus die Möglichkeit, Veranstaltungsräume entweder mit Abstand im Schachbrett-Muster oder ohne Abstand mit Maskenpflicht am Platz zu besetzen. Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität (JGU), Prof. Dr. Georg Krausch, begrüßt die größere Autonomie der Hochschulen: „Auf diese Weise sind wir in der Lage, wesentliche Teile des kommenden Wintersemesters wieder in Präsenz anzubieten, was im ausdrücklichen Interesse der Studierenden und Lehrenden liegt.“ Der Unterricht war lange nicht präsent, psychische Probleme dafür schon. Viele Studierende suchen vermehrt Hilfe bei der Psychotherapeutischen Beratungsstelle (PBS) der Uni Mainz. Das liege zwar nicht nur an Corona, sondern sei auch auf die gestiegene Bereitschaft, psychotherapeutische Unterstützung anzunehmen, zurückzuführen, erläutert die Leiterin, Dr. Maria Gropalis. „Es hat sich ein Anstieg in der Wartezeit von 28,9 Tagen (2019) auf 41,1 Tage (2020) gezeigt. Die aktuelle Wartezeit auf einen Erstgesprächstermin beträgt 11,5 Wochen (Stand 30.7.2021). Die Nachfrage nach Einzelberatung ist also gestiegen.“

Selina, 22, studiert Publizistik
und Buchwissenschaft

Bezüglich der Pandemie würden Studierende über Probleme hinsichtlich fehlender sozialer Einbindung, Motivations- und Konzentrationsschwierigkeiten, fehlender Struktur und erhöhter Belastung aufgrund eingeschränkter Planungssicherheit berichten. Es gibt also kaum jemanden, der nicht von den Folgen betroffen ist: Branchen wie die Gastronomie, Kultur und der Immobiliensektor leiden unter einer verminderten Nachfrage durch Studierende oder fehlender studentischer Arbeitskraft. Die Studierenden sehen sich mit Problemen im Hinblick auf unsichere Arbeitsplätze, erschwerte Studienbedingungen, ihre finanzielle Situation und psychische Herausforderungen konfrontiert. Nicht nur die Hochschulen, auch viele andere freuen sich daher auf den geplanten Präsenzbetrieb in der kommenden Zeit.

Text Alex Schweitzer
Fotos Till Scharhag