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Der große Test: Mainzer Absack-Kneipen

Stitched Panorama
von Julius Braun, Fotos: Kneipenhorst

„Je später der Abend, desto schöner die Gäste.“ Wer sich bis in die frühen Morgenstunden in Mainzer Kneipen herumtreibt, muss zugeben: Nüchtern betrachtet stimmt dieser Aphorismus leider nicht wirklich. Schwankende Automaten-Helden, melancholische Bierglas-Poeten oder angeschwippste Miniröcke. Das Make- Up ist verschmiert, die Haartolle zusammengefallen und der Alkohol hat tiefe Spuren hinterlassen. In den Mainzer Absack-Kneipen treffen nachts die unterschiedlichsten Gestalten aufeinander. Trotzdem haben alle eine Gemeinsamkeit, die sie verbindet: Sie sind sternhagelvoll. Wir haben uns aufgemacht, die besten dieser Kneipen zu finden und mussten feststellen: Nüchtern kommt man dabei nicht nach Hause.

Jack Inn (Feldbergstraße 3)
Um den Billardtisch stehen langhaarige Rocker mit Totenköpfen auf schwarzen T-Shirts. In der Ecke hängt ein grinsendes Skelett mit Metaller- Kopftuch und an den Wänden kleben Wacken-Poster. Wirklich einladend wirkt das Jack Inn von außen nicht. Doch wer sich hinein traut, wird belohnt. Hinter dem Tresen werkelt seit etwa 13 Jahren Wirtin Erna aus Österreich. „Normalerweise haben wir bis sechs Uhr geöffnet“, erzählt sie und zeigt stolz ihren Kühlschrank mit rund 20 verschiedenen Biersorten. Der halbe Liter Bitburger kostet 3,20 Euro, das Herrengedeck (Bier und Korn) 3,70 Euro. „Eine Speisekarte haben wir nicht, aber eine Tiefkühlpizza gibt‘s immer“, sagt Erna. Viele junge Leute würden am frühen Morgen extra vorbei kommen, um etwas zu essen. Neben einem Billardtisch stehen im Jack Inn auch Spielautomaten und Dartscheiben im separaten Raucherbereich. Einziger Nachteil: Auf dem Herrenklo sollte man sich beeilen, erklärt zumindest das Hinweisschild vor der Türe: „Aus Rücksicht auf unsere anderen Gäste bitten wir, den Geschlechtsverkehr auf dem Abort auf Quickies zu beschränken und keine Kondome ins Klo zu werfen.“ Das nehmen wir uns natürlich zu Herzen, werfen nichts in die Toilette, trinken aus und ziehen weiter. Beim Rausgehen verabschieden sich die Rocker freundschaftlich von uns. Erna und ihr Jack Inn: Sicher einen Absacker wert.

Bierbumb (Frauenlobstraße 57-59)
Laut Facebook soll die Bierbumb am Freitag bis 3 Uhr geöffnet haben. Doch als wir kurz vor 2 Uhr auftauchen, herrscht Aufbruchstimmung. „Nein, bis drei mache ich nicht, sonst komme ich ja gar nicht mehr nach Hause“, sagt der Kellner. Und tatsächlich sind die meisten der rund zehn Gäste auch jetzt schon völlig bedient. An den beiden Spielautomaten schaukeln zwei Rentner hin und her und versuchen verzweifelt mit ihren Münzen in den Automatenschlitz zu treffen. Als einer gewinnt, lässt er sich von seinen Kneipenfreunden frenetisch feiern und zockt beglückt weiter. An einem schweren Holzfass spielen andere Stammgäste das Würfelspiel „Jule“ auf einem Backgammon Feld. Am Tisch daneben flirtet ein stilsicherer Totto-Jogginghosenträger mit einer waschechten Kneipenperle. „Du bist ein echter Gentelman“, ruft ihm sein Kollege zwinkernd zu und drückt seine Zigarette aus. Das 0,3 Liter Binding kostet 1,90 Euro, ein Herrengedeck 3,70 Euro. Die Bierbumb schließt samstags um eins. Geöffnet wird täglich um 10 Uhr (Sonntag ist Ruhetag). Fazit: Nur bedingt absacktauglich. Auch weil es drinnen viel zu hell beleuchtet ist.

Kleines Andechs (Holzhofstr. 13)
Bier Nummer drei. Langsam werden wir immer lustiger. Aus den Boxen schaukelt uns Sacrifice von Elton John in den Wohlfühlmodus. Selbst jetzt, um 2 Uhr, ist im Kleinen Andechs fast jeder Tisch besetzt. „Das geht immer erst spät los bei uns“, sagt Wirtin Irina. Von Sonntag bis Samstag ist hier von 17 Uhr bis um 4 Uhr geöffnet – mit durchgehend warmer Küche. Spezialitäten sind Hummus (6 Euro) oder Rindswurst (4 Euro). Der halbe Liter Bitburger schlägt mit 3,50 Euro zu Buche, Früh Kölsch kostet 1,80 Euro. Insgesamt finden sich neun Biersorten auf der Karte. Für gewöhnlich hängen dicke Zigaretten-Schwaden in der Luft. Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt, die gelben Hängelampen spenden schummriges Licht. Die urige Altstadtkneipe hat Flair und hohes Versack-Potenzial.

Zum Heringsbrunnen (Heringsbrunnengasse 1)
„Hier bin isch de Scholly de Oberscheff.“ So lautet das erste der zehn Gebote im Heringsbrunnen. Wie lange die Kneipe offen hat, könne man nicht genau sagen, meint Wirt Scholly. „Morgens um 10 Uhr war unser Rekord.“ Am Wochenende hat der Heringsbrunnen meistens bis 3 oder 4 Uhr geöffnet, aber auch unter der Woche kann es mal 4 Uhr werden. „Das kälteste Bier der Stadt“ soll es hier geben, beteuert Scholly und zeigt uns, wie man ein Pils richtig einschenkt. Erst Anzapfen, dann warten, Hochzapfen und fertig. „Der Schaum muss immer cremig sein und das Glas sauber.“ Und tatsächlich: Das vom Bierexperten gezapfte Pils ist eiskalt und lecker. Vielleicht lautet auch deshalb das sechste Gebot von Scholly: „Du därfst nit em onnere soi Bier wegtringge.“ Insgesamt gibt es 15 Biersorten im Heringsbrunnen. 0,5 Liter Bitburger kosten 3,60 Euro, ein Herrengedeck 4,80 Euro. Ab 24 Uhr wird auch im Gastraum geraucht. Als wir kurz vor drei aus der Kneipe stolpern, ist sie immer noch gut gefüllt und wir haben ein paar mehr Bier „getestet“.

Onkel Willi’s Pub (Binger Straße 5)
„Nix 18, nix rein“, steht auf der Eingangstüre zu Onkel Willis Pub geschrieben. Wer diese Hürde meistert, tritt in einen wunderbar bunt gestalteten Schankbereich mit Lichterketten, Fotos von James Dean bis Marilyn Monroe, Che Guevara-Postern, Schildern und Lampen. Der Pub atmet Geschichte. Seit 1973 gehört „Onkel Willi“ der Laden. Mit weißem Rauschebart, Hut und Brille sitzt er meistens rauchend vor dem Tresen. Im hinteren Bereich der Bar stehen Billardtische, Tischkicker und Dartscheiben. Als wir kurz nach drei ankommen, schenkt uns Willis Tochter Rebecca kein Bier mehr aus. „Ich hab die Abrechnung schon gemacht“, sagt sie. Jetzt müsse sie nur noch warten, bis alle ausgetrunken haben. Dann ist Schluss. Freitag und Samstag hat Willi bis 3 Uhr geöffnet. Das Herrengedeck gibt’s für 4,30 Euro.

Good Time (Hintere Bleiche 18a)
Inzwischen haben wir nach reichlich Bier schon eine „really, really, really good time“. Da kommt die Rock-Kneipe im Bleichenviertel gerade recht. Als wir um halb vier einschwanken, schlägt uns dichter Rauch entgegen. Es ist proppenvoll. An den beiden Dartscheiben wird fleißig geworfen, die Spielautomaten sind besetzt. „Mal haben wir bis 6 Uhr auf, mal bis 9 Uhr. Open End“, erklärt mir Kellnerin Ewa mit polnischem Akzent. Geöffnet wird ab 17 Uhr. Unter der Woche geht es bis um 3 Uhr. Inzwischen weiß ich nicht mehr so genau, welches Bier ich bestelle. Den Preis von 3,30 Euro merke ich mir aber und kritzle die Summe gewissenhaft auf meinen Block. Aus den Boxen dröhnt Country-Musik. An den lila Wänden hängen Metallica- Poster. Neben Bier gibt es über 50 Whiskey-Sorten und Honig-Met aus einem Trinkhorn. Eine Goldgrube für Absack-Freunde.

Bavaria (Bahnhofstraße 12)
Ende Oktober musste Bavaria Wirt Faro die Bahnhofskneipe „Oberbayern“ schließen. „Es war einfach zu viel“, sagt er. Jetzt hat er noch das kleinere Bavaria eine Straße weiter. Seine Schicht geht immer von 24 Uhr bis um 5 bzw. 6 Uhr morgens, erzählt er. Und das seit 1998. Als wir um halb fünf eintrudeln, sind noch etwa 15 Leute in dem hell erleuchteten Laden. Frauen sind keine zu sehen. Über uns hängt ein kleines Bild vom Bayern- König Ludwig und eine weiß-blaue Uhr, die rückwärts tickt. Ein blonder Trunkenbold lungert am Tresen und streckt uns jedes Mal die Zunge raus, wenn wir ihn ansehen. „Die Spielautomaten ziehen negative Gäste rein“, sagt Faro und schildert uns seine Vision von einem gemütlicheren Bavaria. Für unseren Kurzen zahlen wir 2,50 Euro, das Herrengedeck kostet 4,30 Euro. Wer einige unheimliche Begegnungen ignorieren kann, findet im Bavaria einen herzlichen Wirt und lustige Gestalten. Beim Rausgehen brüllt uns jemand auf der Straße entgegen „Alle Dicken heißen Silke!“ und verschwindet im Bavaria. Na dann.

Nachtschicht (Parcusstraße 3, Bahnhof)
Wenn alles zu hat, bleibt nur die Nachtschicht. Von Sonntag bis Donnerstag geht es hier von 22 bis 6 Uhr und Freitag und Samstag von 22 bis 8 Uhr. Bis vor kurzem stand Kultfigur Ulli Willenbacher mit blonden Haaren und schwarzem Stirnband hinter dem Tresen. Doch jetzt ist sie weg – „wurde gekickt“ – sehr schade!!! „Wir haben auf, solange die Leute es aushalten“, sagt Inhaber Attila. „Die Leute kommen zu uns, weil sie etwas anderes hören wollen. Wir laufen keinen Trends hinterher.“ Als wir kurz nach fünf eintreffen, ist es gesteckt voll. In der Mitte des Raumes wird getanzt, daneben stehen Bänke. Das Publikum in der Nachtschicht ist bunt gemischt. Studenten grölen Hits der Neunziger und Oldies schunkeln weltverloren im Takt. Und wenn wirklich jeder lautstark Backstreet Boys mitsingt, weiß man: Ja, wir sind in der Nachtschicht. Und ja, wir sind endgültig betrunken.

Fazit
Die Absack-Kneipen in Mainz haben einiges zu bieten. Wer zu später Stunde nicht nach Hause will, kann auch in Bars wie dem Deja-Vu, der Piano Bar, der Dorett Bar oder dem Comodo versumpfen. Doch der Kneipen-Charme fehlt dort gewöhnlich.

Mehr Wissenswertes über die Mainzer Kneipen bietet der KNEIPENHORST mit seinem Kneipenführer-Bonusheft für ausgewählte Schankwirtschaften und dem Mainzer Kneipenquartett. Infos unter KNEIPENHORST.de und facebook. com/Kneipenhorst.MZ.
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