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Der ehemalige Postler: Wohnen im ehemaligen Haus der Deutschen Bundespost

Mainz-Oberstadt: Seit über 55 Jahren wohnt Wilfried Jung gemeinsam mit seiner Frau Margret gegenüber der Universitätsmedizin. Aufgewachsen ist der Metzgersohn im rheinhessischen Spiesheim, wo er auch Margret kennenlernte, bevor das Ehepaar mitsamt ihrer vier Kinder nach Mainz übersiedelte. Damals waren die beiden mit Abstand die Jüngsten in der Nachbarschaft – ihr jüngstes Kind war beim Einzug gerade einmal neun Wochen alt. Heute gehört das Ehepaar zu den ältesten Bewohnern des Hauses und hat bereits einen Urenkel.

Haus mit Patina

Seit über einem halben Jahrhundert ist hier das Zuhause von Margret und Wilfried Jung

Bei dem Haus, in dem die Deutsche Post Angestellten nach sozialen Gesichtspunkten Wohnraum bot, handelt es sich um einen Altbau aus dem Jahr 1924. Im Eingangsflur wird man von einem Terrazzo-Mosaikboden und dem Geruch der alten Holztreppe begrüßt. Ein Schild warnt: „Achtung, frisch gebohnert“, obwohl das letzte „Bohnern“ gut 30 Jahre her sein dürfte.

Gartenparadies im Hinterhof

Gerade einmal 118 DM kostete die junge Familie die Miete in der Oberstadt in den 70er Jahren. Geheizt wurde mit Kohle und Öl. Das Zusammenleben mit den Nachbarn im Haus sei schon immer von Gemeinschaft geprägt gewesen, erklärt Margret. Man trifft sich beim Gießen im Garten, immer sei jemand für einen kleinen Plausch zu haben, auch ehemalige Nachbarn kommen gerne zu Besuch. War der dazugehörige Garten für die junge Familie nach dem Einzug der beiden eine Gelegenheit, günstig an Lebensmittel zu kommen, so ist er inzwischen zum Hobby und Gemeinschaftsort geworden. Salate werden hier ebenso angebaut wie Bohnen, Erbsen, Radieschen, Gurken, Tomaten und rote Bete. Und auch die gemeinschaftlich genutzte Fläche im Hinterhof hat das Ehepaar mit zahlreichen Topfpflanzen und Blumen begrünt. Die beiden sind auch Hobby-Ornithologen und berichten: Eine Waldohr-Eule hat hier im Garten schon einmal genistet, zurzeit tut dies ein Turmfalke. Ständige Besucher sind Halsbandsittiche, Eichhörnchen sowie die heimischen Spatzen und andere Vogelarten.

 

 

Passionierter Postler und Politiker

Im Sommer spielt sich das Leben im angrenzenden Garten ab

Wilfried Jung ist ein sozialer Mensch, der den Kontakt mit seinen Mitmenschen liebt. Dieser Passion ging er in seinem Arbeitsleben zunächst als Briefträger, dann als Leiter der Postgewerkschaftsjugend nach. Im Rahmen dessen fuhr er mit je 50 bis 60 jugendlichen Postmitarbeitenden zu Fortbildungs- und Ferienfahrten in Schulungsheime nach Bad Kreuznach und Marburg, aber auch bis nach Scheidegg ins Allgäu. Später arbeitete er als Sozialbetreuer. Außerdem war Wilfried Jung über 30 Jahre im Mainzer Narrenclub aktiv und auch Bestandteil des Närrischen Komitees. Zudem spielte er eine Rolle in der Politik und übernahm für die SPD zwanzig Jahre lang die Position des Ortsvorstehers in der Oberstadt. Im Stadtrat brachte er sich besonders in die Verkehrspolitik ein und konnte in der Oberen Zahlbacher Straße die Aufschüttung eines begrünten Erdwalls als Abtrennung von Straße und Fuß- bzw. Fahrradweg durchsetzen. Dieser entspannte die Parksituation und prägt noch heute das Straßenbild. Viel gesehen habe sie ihren Mann in diesen Jahren nicht, so Margret Jung, die die Erziehung der Kinder und den Haushalt übernahm, mit einem Augenzwinkern.

 

 

 

 

Ferien, Frankreich, Freundschaft

Das Treppenhaus mit Terrazzoboden und
dem Geruch nach altem Bohnerwachs

Die beiden seien in der knappen Freizeit gerne gereist, erklärt sie mit leuchtenden Augen. Im Rahmen eines Besuchs in der französischen Partnerstadt von Mainz, Dijon, haben sie sich mit einem französischen Briefträger-Ehepaar angefreundet. Obwohl die Kommunikation aufgrund der Sprachbarriere mit Händen und Füßen stattfand, sei die Freundschaft durch jährliche Besuche und gemeinsame Urlaube 30 Jahre lang gepflegt worden und von Bestand gewesen. Und auch in die Hausgemeinschaft bringen sich die beiden noch immer ein, wissen Bescheid, wie es ihren Nachbarn ergeht, und sind nicht nur das Gedächtnis, sondern auch die gute Seele des Hauses.

 

Text: Julian Hienstorfer

Fotos: Manuela Pirozzi

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