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Das sensor 2×5 Interview: Anja Obermann (Handwerkskammer Rheinhessen)

„Es ist wichtig, sich nicht jeden Tag mit allen Weltproblemen zu beschäftigen, sondern das zu tun, was man wirklich beeinflussen kann.“

Die Handwerkskammer Rheinhessen vertritt rund 8.400 Betriebe und unterstützt sie in Ausbildung, Digitalisierung und betriebswirtschaftlichen Fragen. Im Interview spricht die Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Anja Obermann über die Herausforderungen des Fachkräftemangels, Bürokratie und die Rolle der Digitalisierung im Handwerk. Persönlich engagiert sie sich in der Fastnacht, reist gerne und bringt auch privat ihre handwerkliche Seite zum Einsatz.

Beruf

Was macht die Handwerkskammer Rheinhessen eigentlich so?
Die Handwerkskammer Rheinhessen ist die Organisation, der alle Handwerksbetriebe in der Region angehören. Aktuell sind etwa 8.400 Betriebe bei uns Mitglied. Unsere Aufgaben sind vielfältig. Zum einen übernehmen wir hoheitliche Aufgaben, also Aufgaben, die uns vom Staat übertragen wurden. Zum anderen kümmern wir uns um zahlreiche weitere Themen im Interesse unserer Mitgliedsbetriebe. Ein Beispiel für hoheitliche Aufgaben ist die sogenannte „Meisterpflicht“ in einigen Handwerksberufen. Ein weiteres Beispiel ist die Ausbildung: Jeder Auszubildende muss in unserer Lehrlingsrolle eingetragen werden. Wir stellen sicher, dass der Betrieb die nötige Qualifikation hat, um auszubilden, und dass die Ausbildung ordnungsgemäß verläuft. Daneben bieten wir auch betriebswirtschaftliche und rechtliche Beratung für Handwerksbetriebe an, helfen bei der Digitalisierung und unterstützen vor allem in der Berufsorientierung.

Wie attraktiv ist das Handwerk?
Das „Handwerk“ umfasst über 130 Berufe, die alle ihre eigenen Herausforderungen und Chancen bieten. Besonders in den sogenannten „Klimahandwerken“ wie Elektroniker, die etwa Photovoltaikanlagen installieren, oder Heizungsbauern, die sich mit Wärmepumpen beschäftigen, gibt es aktuell eine hohe Nachfrage. Natürlich gibt es auch Berufe, die rückläufig sind. Dennoch bleibt das Handwerk ein dynamisches Berufsfeld, das sich ständig wandelt. Viele junge Menschen entscheiden sich mittlerweile auch mit Abitur für eine duale Ausbildung, da sie sehen, dass man damit sehr praxisnah arbeiten und sogar schneller Karriere machen kann – insbesondere wenn man sich selbstständig machen möchte.

Wie steht es um den Fachkräftemangel?
Wir erleben einen wachsenden Bedarf in vielen Bereichen, besonders in den technischen Gewerken. Die Herausforderungen im Fachkräftemangel sind jedoch nicht nur auf das Handwerk beschränkt – in fast allen Wirtschaftsbereichen gibt es einen großen Bedarf. Trotzdem haben wir in Rheinhessen das Glück, die Zahl der Ausbildungsanfänger im Handwerk konstant halten zu können, auch wenn sie in anderen Regionen rückläufig ist. Es bleibt jedoch ein Ziel, diese Zahl weiter zu steigern.

Und wie sieht es mit Digitalisierung aus?
Wir sind eine der am weitesten digitalisierten Handwerkskammern Deutschlands. Aber auch im Handwerk selbst spielen immer mehr KI und ähnliche Dinge eine Rolle: natürlich bei allen Bürotätigkeiten, aber auch für die eigentliche handwerkliche Tätigkeit gibt es Hilfsmittel, etwa 3D-Scanner für Aufmaßarbeiten oder automatisierte Berechnungstools. Doch das Handwerk an sich bleibt handgemacht – ein Dachdecker wird auch künftig noch auf dem Dach stehen.

Welche Herausforderungen sehen Sie noch, Stichwort Bürokratie?
Das ist ein Dauerthema. Die Politik bringt immer wieder Entlastungspakete, doch in der Realität spüren die Betriebe kaum eine Verbesserung. Oft kommt zu jeder abgeschafften Regelung eine neue hinzu. Weniger Zeit am Schreibtisch, mehr Zeit für Kunden. Viele Inhaber verbringen mittlerweile drei Tage pro Woche mit Verwaltungsaufgaben. Das sind drei Tage, die sie produktiv in ihren Betrieb investieren könnten.

Mensch

Kommen Sie aus Mainz?
Ja, ich bin in hier geboren und in Nierstein-Schwabsburg aufgewachsen. Nach meinem Abitur in Oppenheim habe ich an der Uni Politikwissenschaft im Hauptfach sowie Jura und Publizistik im Nebenfach studiert. Danach war ich in der Unternehmensberatung tätig, später in der Wirtschaftsförderung, zuerst in Lörrach, dann in Frankfurt. Seit zehn Jahren bin ich nun Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer.

War das eigentlich Ihr Traumberuf?
Eigentlich wollte ich Journalistin werden. Schon als Schülerin habe ich für die Lokalredaktion der Allgemeinen Zeitung in Oppenheim gearbeitet. Während des Studiums haben sich dann neue Möglichkeiten ergeben, und mein Berufsweg hat sich in eine andere Richtung entwickelt.

Welche Lebensphasen haben Sie besonders geprägt?
Es gibt viele Phasen, die mich geprägt haben. Eine ist sicherlich, dass ich früher viel Jugendarbeit gemacht habe. Ich bin also geübt, vor einer Gruppe zu präsentieren oder zu erzählen. Das habe ich eben im Ehrenamt als Jugendliche viel gemacht, etwa in der evangelischen Jugend, aber auch beim DLRG war ich sehr engagiert.

Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Ich bin leidenschaftlich in der Fastnacht aktiv, speziell beim MCC, wo ich auch als Rednerin auftrete. Außerdem verbringe ich viel Zeit im Garten und bin gerne unterwegs – meine Frau und ich, wir machen viele Reisen und versuchen, nie zweimal an denselben Ort zu fahren. Mit unserer Tochter sind wir meistens in Europa unterwegs, im Sommer vermutlich in Polen. Ansonsten bin ich auch gerne zuhause und dort handwerklich aktiv, ich streiche viel und gestalte unseren Garten in Ebersheim, aber natürlich nicht auf professionellem Niveau.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Ich versuche, pragmatisch zu bleiben und mich nicht mit unnötigem Ballast zu belasten. Es ist wichtig, sich nicht jeden Tag mit allen Weltproblemen zu beschäftigen, sondern das zu tun, was man wirklich beeinflussen kann.

Interview: David Gutsche & Leo Rosch
Foto: Jana Kay

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