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Das große Zocken – Zu Besuch in Mainzer Wettbüros

von Florian Barz / Fotos: #noghost75 

Abgestandener Rauch schwängert die Luft, es riecht nach Männerschweiß und billigem Kaffee. Im Wettbüro „mybet“ in der Großen Langgasse neben dem „Sixties“ herrscht am Samstagnachmittag Hochbetrieb. Alle großen europäischen Ligen spielen – ein Feiertag für Zocker.

Leuchstoffröhrengrelles Licht taucht den Raum in kühles Weiß, vereinzelt stehen Stühle und Tische herum. Ein winziger Kühlschrank bietet ein karges Angebot an Getränken. Es ist eine Parallelwelt, beherrscht von Männern, die lieber unter sich bleiben. Etwa dreißig Kerle, überwiegend jung, fast alle mit Migrationshintergrund, starren gebannt auf die Bildschirme, die dicht an dicht an den Wänden hängen.

Nicht Fußball-Übertragungen stehen im Fokus, sondern Zwischenstände und Quoten aus der ganzen Welt. Manche dieser Begegnungen klingen, als hätte jemand Buchstaben beim Scrabble gewürfelt: Mezökövesd spielt gegen Gyirmot, Podgorica trifft auf Grbalj. Die Fangesange würde man gerne mal hören. Was auf den Plätzen in Ungarn, Montenegro oder Litauen passiert, bleibt aber im Verborgenen. Spielt sich vielleicht gerade ein Drama in Mezökövesd ab? Pfeift der Schiedsrichter einen unberechtigten Elfer, trifft der blinde Stürmer wieder nur den Pfosten? Die Zahlen auf den Computern verraten nichts über den Spielverlauf. Was zählt, ist das nackte Ergebnis, und die Frage: Gewinn oder kein Gewinn?

Nikol vermasselt es

Setzen können die Zocker auf alles und jeden. Wer schießt das nächste Tor, wie viele Tore fallen insgesamt und wer gewinnt die letzten 15 Minuten? Beliebt ist die Einzelwette. Dabei setzt man auf den Ausgang eines einzelnen Spiels, gerne auch in Kombinationen mit anderen Spielen. Mit wenigen Klicks kann man sich auf diese Weise Wahnsinnssummen auf seinem Wettschein zusammenstellen. Wie jener Tipper aus Deutschland, der in der Champions League auf ein 6:1 von Barcelona gegen Paris setzte und 100.000 Euro einstrich. Bereits ein Euro Einsatz genügt, um reich zu werden. In der Theorie.

Tatsächlich türmen sich auf den Tischen dutzende zerknüllte Wettscheine. Immer wieder sind leise Seufzer zu hören, wenn irgendwo ein Tor gefallen ist. Emotionale Ausbrüche gibt es selten, man freut oder leidet im Stillen. Nur einmal ruft ein Mann mit dunklem Bart und Glatze „Scheiß Nikol“ in den Raum, knallt seine Coladose auf den Tisch und verlässt das Lokal. Zurück bleiben Fragen. Wer ist Nikol? Ein Verein? Ein Stürmer mit Ladehemmung? Oder doch ein gegnerischer Torwart, der am Tag seines Lebens keinen Ball vorbeilässt? Selbst Google kann das Rätsel nicht lösen. Nur eines ist sicher, Nikol hat den Mann um Geld gebracht.

20 Euro auf Köln

Wir wollen es besser machen und wagen eine Wette. An einem der vielen Wett-Computer scrollen wir durch das Tagesangebot. Es gibt hunderte Spiele und für jedes Spiel unzählige Möglichkeiten. Überforderung macht sich breit. Verunsichert konzentrieren wir uns auf die deutsche Bundesliga, tippen auf eine Halbzeitführung des 1. FC Köln beim FC Ingolstadt. Die Quote hierfür beträgt 3,2 zu 1. Für einen Euro Einsatz bekäme man also bei einem richtigen Tipp 3,20 Euro zurück. Wir setzen zwanzig Euro, was die Gewinnsumme auf 64 Euro erhöhen würde. Die Maschine spuckt per Knopfdruck einen Wettschein aus, den wir an der Kasse bezahlen.

Kaum haben wir die Wette abgeschlossen, schießt Köln ein Tor. Wir sind auf Siegkurs. Ein angenehm kribbelndes Gefühl macht sich breit, das muss er sein, der Zauber des Wettens. Ein junger Schwarzer mit modischer Basecap und adrettem Outfit grinst uns an. Er reckt den Daumen in die Luft. Der gemeinsame Tipp macht uns zu Verbündeten. Er erzählt in gebrochenem Deutsch, dass er fast jeden Tag hierher kommt: „Fußball schauen, Leute treffen, ein bisschen spielen.“ Es ist genau dieses Angebot, dass viele junge Männer reizt. Kostenloser Fußball, eine Portion Adrenalinkick und Fachsimpeln mit Kollegen. Hier ist jeder geduldet, auch wenn er nichts konsumiert.

Bei unserem Freund geht ein Favoritentipp in Italien in die Hose, fünf Euro in den Sand gesetzt. „That´s life“, sagt er achselzuckend und pilgert zurück an die Wettmaschine. Neues Spiel, neues Glück. Bis das Geld nicht mehr reicht. Auch unsere Wette ist nicht von Erfolg gekrönt. Ingolstadt schießt kurz vor dem Pausenpfiff den Ausgleich. Es fühlt sich an, als hätten wir nicht zwanzig, sondern 64 Euro verloren. Frust macht sich breit. Zeit für einen Ortswechsel.

Besiktas patzt

Unsere zweite Station ist die „Tip-Win Sportsbar“ in der Roonstraße in Mainz-Kastel. Das Interieur ist hier gemütlicher. Tischecken mit Sitzen aus Leder erzeugen ein Bargefühl. Das Publikum ähnelt sich indes, junge Männer mit dunklem Teint, viele Jogginghosen. Ein muskulöser Schwarzer hält einen ganzen Bündel Wettscheine in der Hand. Immer wieder zieht er sie unter einem Scanner durch, um die Zwischenstände zu kontrollieren. TOR flimmert es plötzlich über die Bildschirme. Besiktas Istanbul hat soeben das 1:2 kassiert, zu Hause, gegen einen Underdog. Allgemeines Murren im Raum, ein sicherer Tipp droht zu platzen. „Hab euch doch gesagt, dass die Jungs von Kayser gut drauf sind“, ruft der einzige Angestellte hinter der Theke, „die haben ’nen Lauf.“

Wir kommen mit Mitko ins Gespräch, einem älteren Stammgast. Er kommt ursprünglich aus Mazedonien, ein Land der Zocker, wie er sagt. Die Wettleidenschaft brachte er in den 70ern mit nach Deutschland und verspielte viel Geld. Zum Ärger seiner Frau. Heute hat er die Sucht unter Kontrolle, spielt nur noch selten und um kleine Beiträge. „Viele Jungs hier haben das Wetten nicht im Griff“, sagt er und nimmt einen tiefen Zug an seiner Zigarette. „Selbst wenn sie mal gewinnen, spielen sie einfach weiter, weil sie  glauben eine Glückssträhne zu haben. Und das Angebot ist riesig. Du kannst jederzeit im Internet spielen. Zu jeder Uhrzeit gibt es irgendwelche Wetten.“ Zur Not tippen echte Zocker sogar auf Kricketspiele in Indien. Genau das macht das Regulieren der Wettbranche so schwierig.

Rechtliche Grauzone

Offiziell sind Zockerbuden in Rheinland-Pfalz nur geduldet, denn das Glücksspielmonopol liegt beim Staat. Strenggenommen macht sich also jeder strafbar, der bei Tipico, MyBet & Co. Geld setzt. Die Behörden lassen Wettbüros und Zocker aber gewähren. Anders als im Internet gibt es hier wenigstens feste Öffnungszeiten, wer wettet, muss Bar bezahlen und die Angestellten sind angehalten, bei auffälligem Spielverhalten einzugreifen. Doch nicht alle halten sich an diese Regeln. Die Branche ist voll von schwarzen Schafen. Und Wetten werden auch gerne mal zur Geldwäsche genutzt. Wer sein Schwarzgeld gestaffelt auf Siege des FC Bayern setzt, bekommt mit großer Sicherheit den Großteil oder mehr wieder heraus, per Quittung beglaubigt. Die zuständigen Behörden sind häufig machtlos. Schließen sie einen Laden, machen am nächsten Tag zwei neue an anderer Stelle wieder auf.

Den meisten Zockern ist das ohnehin egal. Es sind Männer in zu dünnen Jacken, die Kette rauchen und nicht viel vom Leben zu erwarten haben. Dafür wissen sie, wer in Litauen gerade die Torschützenliste anführt oder wer die türkische Mannschaft der Stunde ist. Wir besitzen kein Expertenwissen und verlieren wohl auch deshalb heute alle Wetten. Es geht zurück ins Tageslicht unserer langweiligen Mittelschicht-Welt. Das Wettprogramm haben wir mitgenommen. Am nächsten Tag spielt La Coruna gegen Barcelona. Quote 11:1 für einen Sieg des Außenseiters. Das müsste man nochmal ausrechnen.

Fotos: #noghost75