Direkt zum Inhalt wechseln
|

Cosplay in Mainz

„Du suchst deine Nakama? Sie warten hier!“ lese ich auf dem Flyer von „Maja-Pan“. Naka-was? Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas haben könnte; klingt irgendwie gesund. Internetsuche: Nakama ist ein japanisches Wort für Freund, Kollege oder Kamerad. Die fröhlich bunten Bilder auf dem Flyer lassen auch sprachlich Unversierte verstehen, wofür sich die Gruppe Maja-Pan interessiert: japanische Popkultur. Hier werden Anime-, Manga- und Cosplay-Fans gesucht. Gibt es tatsächlich eine „Cosplay-Szene“ in Mainz? Cosplay ist übrigens ein Kofferwort aus costume und play und wurde in den 80ern in Japan geboren, um sich möglichst detailgetreu als Figur aus einem Manga oder Anime zu verkleiden. Ab den 90ern eroberten Mila, Bunny, Son Goku & Co. auch den Rest der Welt. Wer in den letzten 20 Jahren mal auf der Frankfurter Buchmesse war, dürfte erkannt haben, dass es nicht gerade wenige otakus (so das japanische Wort für Nerd, auch im Westen oft verwendet um Manga- und Anime-Fans zu bezeichnen) sind, die sich diesem Hobby widmen und das mit teils beachtlichem und beeindruckendem Einsatz. Mittlerweile finden sich nicht nur Anime-Charaktere, sondern Menschen(-Gruppen) tauchen auch als Figuren aus dem Marvel- Universum oder als Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band auf.

Maja in Mainz

Wir warten mit den Maja-Pan-Organisatorinnen an der Bushaltestelle am Volkspark auf kostümierte Menschen. „Für meine Oma ist das wie Fastnacht.“, sagt Mit-Organisatorin Kati, die aussieht wie Waisenjunge Ray. Tatsächlich sind die Kostüme aber oft zu filigran für die Straßenfastnacht. Gleich trudeln weitere Verkleidete ein. „Victor?!? Hätte ich das gewusst, hätte ich Yuri angezogen!“. Alle begrüßen sich fröhlich bis hysterisch – manchmal würden angesichts eines Cosplay die Gefühle mit einem durchgehen – und eine illustre Truppe setzt sich in Richtung Wiese in Bewegung. Auf der Wiese werden Picknickdecken und Verpflegung ausgebreitet und man beginnt zu fachsimpeln: „Für welchen Charakter ist die denn?“, wird eine gefragt, die an einer bunten Perücke herumschneidert. Nebenan: „Wie hast du die Augenbrauen hingekriegt?“ – „Pritt-Stift und Foundation. Viel, viel Foundation.“. Das Cosplay zum Eiskunstläufer Victor wird wiederholt erkannt und freudig begrüßt. Ich bestaune derweil Kekse in der Form von Panda-Gesichtern. Ab und an kurvt eine Bimmelbahn vorbei. Die Insassen betrachten die Gruppe teils belustigt, teils verdutzt. Manche winken fröhlich, die bunten Menschen winken zurück. 20 Cosplayer sind schon eine Attraktion in Mainz: „Wir hatten hier mal eine Yoga-Gruppe und die hat sich von uns gestört gefühlt.“, sagt Kati, beziehungsweise Ray. Die Yogis hätten sich auffallend nah neben den Maja- Pans niedergelassen und dann später beim Aufbruch gestänkert: „Wir seien ja ernstlich unerwachsen und würden Drogen nehmen. Und dann noch dieser Lärm.“ Hört sich ein bisschen an wie aus einem Song einer deutschen Punk-Band. „Dabei haben wir nur gegessen, gesungen, was wir immer so machen.“ – „Ich habe ja schon oft unausgeglichene Yoga-Leute getroffen.“, meint ein anderer.

Die Regeln

Ursula und Kati begrüßen die anwesende Gesellschaft: „Willkommen zur 57. Maja-Paaaaaan!“. Wir sensor-Menschen werden vorgestellt und ein paar Regeln kommuniziert: „Seid nett. Immer sagen, was wir verbessern können. Immer schön aufräumen. Und kein Alkohol.“ Ursula erzählt, dass die Treffen seit fünf Jahren stattfinden. Schon in der Uni fanden sich Studis aus unterschiedlichen Fächern zusammen (nein, nicht Japanologie, sondern Architektur oder Geschichte). Die Gruppe aus 13- bis 32-jährigen organisiert dann auch gemeinsame Fahrten zu Conventions und die monatlichen Treffen. Seit drei Jahren stehen ihnen dafür feste Räumlichkeiten im „Berliner Treff“ zur Verfügung. Hier kann man auch mal Karaoke, Filmtage oder sogar einen aufwendigen Cosplay-Ball veranstalten. Im Sommer trifft man sich aber lieber draußen – und so haben auch ein paar Mainzer was zu gucken.

Das Bewegungsproblem

Die Gruppe setzt sich für ein Gruppenfoto in Bewegung; für manche eine Herausforderung: „Typische Cosplayer- Probleme: Man kann nicht laufen, man kann nicht aufs Klo…“ Besonders eingeschränkt ist ein pinkhaariges Mädel mit beeindruckendem Geweih auf dem Kopf und noch beeindruckenderen Schuhen: Ein selbstgebautes Plateau in Paarhuf-Form und abgesägter Absatz ergeben ein tierisches Schuhwerk, in dem man sich ohne Assistenz nur schwer bewegen kann. Die Zwillinge Sarah und Lea kommen immer gemeinsam und immer als OCs (Own Characters); sie imitieren keine vorhandenen Figuren, sondern denken sich eigene Kostüme aus, die trotzdem dem Manga-/ Anime-Stil entsprechen. Sarah gefallen insbesondere apokalyptische Szenarien, für die sie „steampunkige“ kämpferische Kleidung mit ganz viel angebrachter Eisenware herstellt. Lea erscheint immer als minotaurisches Zwitterwesen. Schuhe und Hose bleiben stets gleich, aber Hörner und Accessoires variieren. Das hört sich arbeitsökonomisch an, aber an den Hörnern hat sie mit ihrer Schwester acht Stunden geschnitzt. Insgesamt 20 Stunden braucht sie für ein Komplettkostüm. Hufe und Hörner bestehen aus Styrodur und dem „Cosplayer- Gold“ Worbla, einem thermoplastischen Kunststoff-Holz-Gemisch. Ich fragte eine gelbhaarige Crossplayerin (als Crossplay bezeichnet man, wenn man eine Figur darstellt, die eine andere Geschlechtsidentität als man selbst hat), wen sie darstellt. „Das ist eine laaange Geschichte…. Ich bin eigentlich tausende von Jahren alt und besitze eine Taverne…“ Es folgen konkrete Schilderungen von Vorgängen aus einer mir fremden Welt, bis sie von ihrer türkishaarigen Nachbarin unterbrochen wird. „Ich glaube sie wollte nicht die gesamte Geschichte deines Charas hören. Also wir alle sind Charaktere aus Seven Deadly Sins; wir kämpfen gegen Dämonen und wollen einfach die Welt retten, vor den Hauptbösewichten, den 10 Geboten. Wir sind Meliodas, Elizabeth und Diane; eigentlich haben wir noch ein Wildschwein als Begleiter.“ Alles klar. Warum sie gerade diese Charaktere verkörpern? „Momentan machen wir, was wir feiern und lieben. Mal ist man gerne ein Weib mit kurzem Rock, mal ein Mann mit flacher Brust.“

Ab zum Foto

„Wir gehen jetzt mal shooten.“, melden sich kurz darauf die Minotaurin und die türkishaarige Elizabeth. Das Fotografieren gehört unabdingbar zum Cosplay. Schließlich muss die ganze Arbeit ja auch irgendwie konserviert werden. Dass die Fotografierende dann genauso extravagant aussieht wie das Model, ergibt ein ungewohntes Bild, doch ansonsten sind sie professionell zugange: präziser Posenwechsel, klare Kommandos, Wechsel der Perspektive mit vollem Körpereinsatz. Ein Mädel, das den Mafiosi Akutagawa verkörpert erklärt mir, dass Cosplay und die damit verbundenen Shootings für sie auch eine Stärkung des Selbstbewusstseins bedeutet. Insgesamt ist das Hobby wesentlich vielfältiger als Unwissende erst einmal denken mögen. Auslöser ist die Liebe zu Geschichten und deren Figuren, aber was dann folgt ist mit aufwendiger Recherche und handwerklichen Herausforderungen verbunden. Auf die Buchmesse im Oktober bereiten sich die meisten Cosplayer schon jetzt vor. In der Gruppe achtet man aufeinander und hilft sich. Zumindest die Mainzer Community scheint auch keinem großen Konkurrenzdruck erlegen zu sein (tatsächlich gibt es auch einen deutschen Verein, der bundesweite Meisterschaften mit strengen Kriterien veranstaltet). Durch Cosplay haben so einige ihre Zeichen- und Modellierfähigkeiten, ihr Selbstbewusstsein und ihren fotografischen Blick geschult. Ab und an fährt die Bimmelbahn vorbei. Nur Yogis tauchen heute keine auf.

Text Ulrike Melsbach Fotos Jonas Otte