Direkt zum Inhalt wechseln
|

So wohnt Mainz – Gemeinschaft im Grünen

boensch_sensorIMG_9893_web
von Monica Bege Fotos: Frauke Bönsch

„Man wird extrem ausgehfaul. Besonders im Sommer.“ Fatmir lehnt sich entspannt zurück. Mark nickt zustimmend. Ein paar Sonnenstrahlen finden Lücken im Blätterdach der riesigen Bäume, werfen ein Schattenspiel auf Wiese, Gartenbeete und Hängematten. Die Schaukel will die Gonsenheimer WG in den nächsten Tagen im großen Weidenbaum aufhängen. Eine Schaukel, die sich weniger als schnödes Sitzbrett, sondern mehr als komplettes Futonbett versteht. Mit welchem Lockruf können die Ausgeh-Locations der Innenstadt da noch kontern?

Nichts ist von der Stange

Eva pflückt saftige unter Gonsenheimer Sonne gereifte Erdbeeren. Die angebaute Gemüsepalette reicht von Erbsen über Mangold bis zur Zucchini. Liebevoller Pflege folgt köstlicher Geschmack ohne Zusatzstoffe. Spätestens beim Anblick der üppig wachsenden Küchenkräuter in der dekorativen Kräuterspirale werden Erinnerungen an Omas Garten wach – Omas großen Abenteuergarten. Die Kultivierung nimmt zum abgelegenen hinteren Bereich ab, die botanische Artenvielfalt dagegen zu. Erst nach geschätzten fünfzig Metern lässt sich im Strauchwerk ein Grenzzaun ausmachen. Auf dem Weg dorthin hat man ein Indianertipi, eine Feuerstelle und einige alte Mirabellen- und Zwetschgenbäume passiert. „Früher war hier ein landwirtschaftlicher Betrieb. Das Obst wurde im kühlen Scheunenkeller gelagert“, erzählt Fatmir. Der Keller sei heute ein Partykeller, wenn auch mit klarer Tendenz zur feuchten Raumluft. Doch mit genügend Gästen falle das weniger auf. Fatmir bezog vor einem Jahr mit Eva das Vorderhaus. Ihr Wohnzimmer, komplett aus zweiter Hand möbliert, erstrahlt mit Originalbestandteilen im Charme der siebziger Jahre. „Das Hinterhaus teilen sich Lukas, Betty, Lias, Alex und Mark. Und zwischen den Häusern und dem Garten liegen noch zwei Scheunen“, gibt Eva einen Überblick über das Grundstück. Der wertvolle Stauraum in den Scheunen wird diszipliniert genutzt. In der einen parken die Autos der WG-Bewohner, in der anderen hat sich Alex eine Holzwerkstatt eingerichtet. Sein Talent be- legt der selbstgebaute Tischkicker. Im Partyraum des Hinterhauses lädt dieser zwischen kleiner Bar und bequemem Polstermöbel-Konglomerat unterschiedlichster Stilepochen zum Spiel ein. Und weil der Raum ehemals eine extrem breite Garage war, lässt sich bei Bedarf sogar die komplette Seitenwand in Richtung Hof hochklappen. Alltäglich scheint hier nichts zu sein.

Schweigen ist Silber, reden ist Gold

Bei so vielen Partyspots möchte man auf lange, laute Nächte schließen. Mitnichten, die breite Altersspanne von ein bis fast vierzig Jahren wirkt selbstregulierend. Aber von vorne: Betty und Lukas wohnen von allen am längsten hier. Vor acht Jahren hatten sie mit ihrer damaligen WG-Besetzung den einst zugewucherten Garten kultiviert. Heute durchwandert ihr 15 Monate alter Sohn Lias den Garten, steuert zielstrebig auf seinen Sandkasten zu. Aber wie funktioniert eine Wohngemeinschaft mit Kind? Ist doch die Familiengründung ein logischer Zeitpunkt, der WG „Adieu“ zu sagen. „Die Wohnsituation hier ist genial, wir hätten uns dahingehend nicht verbessern können. Also sind wir geblieben“, sagt Lukas. „Mit Kind definiert man das Zusammenleben immer wieder neu, redet miteinander, schaut, was funktioniert und was nicht. Nur weil wir uns diese Lebensform ausgesucht haben, darf Lias nicht darunter leiden. Das ist das Wichtigste für uns.“ Das Grundstück bietet viel Ausweich- und Rückzugsfläche an, die Mitbewohner nehmen Rücksicht. Auch die Raumverteilung im Hinterhaus bietet gute Voraussetzungen für ein dauerhaftes Miteinander mit Kind. Mark wohnt in einer Einliegerwohnung neben der Partygarage. Im ersten Stock hat Alex sein Zimmer und mit Küche, Wohnzimmer und Bad ist hier die zentrale Wohnetage. Das Dachgeschoss hat die Familie mit Schlafräumen und einem weiteren Bad für sich alleine. Was Lias von alledem hält, kann er bislang nur mit seinem sonnigen Gemüt ausdrücken. „Wir rätseln schon, was von seinem Charakter Anlage und was sozialisiert ist“, sagt Lukas. „Er hat viele vertraute Menschen um sich herum. Ist er deshalb so fröhlich und unkompliziert? Nun ja, außer wenn es um’s Essen geht.“ Lukas lacht. Für das Babysitting werden die anderen WG-ler nicht eingespannt. Es sei denn, es ergäbe sich aus der Situation heraus. „Sitzt Mark ohnehin beim Abendessen, schaut er natürlich auch kurz nach Lias“, weiß Betty um den Vorteil, Dinge schnell zwischendurch erledigen zu können. Zu den Küchenkräutern in dem Garten sind es ja schon einige Meter… Für spontane oder geplante WG-Aktivitäten ist das Kollektiv kein Muss. Die unangestrengte Atmosphäre basiert auf offener Kommunikation und respektvollem Umgang miteinander. Der Blick für Notwendigkeiten ist geschult und so erübrigen sich leidige Dienstpläne. „Wenn jeder seinen Dreck wegmacht, ist es letztlich nicht mehr viel“, spricht Mark eine WG-typische Problemzone an. „Und wer draußen mit einer Arbeit anfängt, bleibt auch selten lange alleine“. Überrascht es da, dass niemand die grüne Gonsenheimer Oase verlassen möchte?